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Frauenhaus Staßfurt Gewalt nicht als Normalität anerkennen

Im Staßfurter Frauenhäusern wird künftig auch Kindern gezielte Begleitung zuteil.

07.11.2017, 23:01

Staßfurt l Gewalt, die Mütter erfahren, ist auch Gewalt, die ihre Kinder mitbekommen und die sie in ihrer Entwicklung beeinflusst. Das Staßfurter Frauenhaus bietet seit Anfang Oktober gezielte Unterstützung an. Ekaterina Müller unterstützt das Team mit Kristin Hacker und Dana Buchmann. In der Schutzeinrichtung, getragen vom Rückenwind-Verein Bernburg, wird sie vor allem Jungen und Mädchen begleiten, die Zeugen psychischer und physischer Auseinandersetzungen geworden sind. „Kinder erleben diese Gewalt unmittelbar und reagieren ganz unterschiedlich darauf“, sagt Ekaterina Müller. „Deshalb bedürfen sie der individuellen Unterstützung, manchmal vielleicht sogar mehr als die Mütter, die als Erwachsene in ihrer Persönlichkeit schon etwas gestärkter sind.“

Häusliche Gewalt löst in Kindern Traumata aus. Sie beeinflusst Verhalten und Wertgefüge der „sensiblen Persönlichkeiten“, sagt die Expertin. „Die Auswirkungen sind ganz verschieden“, so Ekaterina Müller. Ein Teil des Nachwuchses würde sich komplett verschließen, die gemachten Erfahrungen nicht nach außen tragen und im Inneren damit hadern. „Das hat auch damit zu tun, dass Gewaltvorfälle gesellschaftlich stigmatisiert sind, man einfach nicht darüber spricht und das Schamgefühl größer ist als der Mut, sich jemandem anzuvertrauen.“ Ein anderer Teil zeige wiederum Verhaltensauffälligkeiten. „Das macht sich zum Beispiel an den Leistungen in der Schule fest oder am Auftreten anderen Kindern gegenüber.“ Aber auch die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern könnten in ihren Grundfesten zerstört sein, sodass es keine Kommunikation mehr gebe.

In den Frauenhäusern wie in der Salzstadt ist den Kindern auch bisher geholfen worden. Allerdings aufgrund personeller Ressourcen eher im Zusammenhang mit der Begleitung ihrer Mütter. Ekaterina Müller hat jetzt mit ihrem Stellenschwerpunkt die Möglichkeit, gezielt mit Kindern zu arbeiten. Das, so sagt sie, gelinge nur über individuelle Ansätze. „Wichtig ist, das Vertrauen des Kindes zu gewinnen und einen Weg zu finden, die Erlebnisse gemeinsam zu erörtern.“ und die verschobenen Verhaltensmuster, die sie erlebt haben, geradezurücken, damit Gewalt nicht eine Option in ihrem eigenen Leben wird.“

Je nach Ausprägungsgrad der Erschütterung müsste das Team des Frauenhauses abwägen, ob das Kind Hilfe vor Ort erfährt, oder ob Psychologen und Psychotherapeuten hinzugezogen werden. Viel hänge auch von den Eltern, von den Müttern ab. Sie selbst müssten so gestärkt sein, dass sie nicht in bisherige Abhängigkeiten zurückverfielen, sich ihren Gewalterfahrungen stellten, von gewalttätigen Partnern lösten und den Weg zu einem selbstbestimmten Leben finden würden. „Die erfahrene Gewalt darf weder von Müttern noch von Kindern als ‚normal‘ empfunden werden.“ Bei der Begleitung der Kinder komme es im Ergebnis darauf an, dass diese Gewalt niemals als Lösung anerkannt wird. „Deshalb ist es wichtig, auch sofort mit den Kindern zu arbeiten und die verschobenen Verhaltensmuster, die sie erlebt haben, geradezurücken, damit Gewalt nicht eine Option in ihrem eigenen Leben wird." 

Es gebe, so die Expertin, Methoden, um mit den Kindern an der Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu arbeiten. Auf diese Herausforderung ihrer Arbeit sei sie gespannt. Ekaterina Müller hat bereits Erfahrungen in der Arbeit in Frauenschutzeinrichtungen gesammelt. Geboren in Russland, schloss sie zunächst ein Studium der Pädagogik und Sprachwissenschaft mit einem Diplom ab. In Deutschland absolvierte sie dann Lehrgänge in psychologischer Beratung, Psychotherapie und beschäftigte sich mit dem Thema seelische Gesundheit im Kindesalter. Zuletzt wirkte Ekaterina Müller im Frauenhaus Merseburg als Psychologin. Als sich das Angebot aus Staßfurt eröffnete, wusste die junge Frau sofort, dass sie sich bewerben wollte. „Ich habe mir immer gewünscht, viel mit Kindern zusammenzuarbeiten. Hier kann ich meine Erfahrungen gut einbringen.“ Und sie qualifiziert sich weiter. Bis 2019 studiert Ekaterina Müller das Fach Angewandte Sexualwissenschaft an der Hochschule Merseburg berufsbegleitend. Einmal im Monat besucht sie dazu die viertägigen Blockseminare.

Ekaterina Müller wird nicht nur die Kinder im Frauenhaus betreuen – die räumlichen Voraussetzungen mit Spiel- oder Beratungszimmern sind da - sondern ist auch für die Beratungsstelle verantwortlich. „Wir freuen uns auf diese Zusammenarbeit und darüber, dass wir das Angebot des Frauen- und Kinderschutzhauses in Staßfurt damit noch breiter aufstellen, noch gezieltere Hilfestellungen anbieten können“, sagt Kristin Hacker und freut sich, dass das Land den Bedarf dieser Stellen anerkannt hat und den Trägern der Häuser landesweit damit die Möglichkeit offeriert, Personal einstellen zu können. „Denn der Bedarf ist nach wie vor da."

Bei der Beratung sei man jetzt komplett, und wenn im kommenden Jahr die dann frei werdende Bundesfreiwilligendienststelle für Hauswirtschaft im Frauenhaus auch wieder besetzt wird – Interessenten werden durchaus schon gesucht – sei man insgesamt sehr gut aufgestellt. Von Vorteil sei auch, dass Ekaterina Müller Russisch spreche und man dabei weitere Zugänge zu Frauen mit Migrationshintergrund eröffne. Und schließlich, so Kristin Hacker, habe es unter den Kollegen sofort gefunkt. „Das ist wichtig, wir haben es hier mit zum Teil schweren Fällen zu tun. Der vertrauensvolle Erfahrungsaustausch untereinander, Gespräche über Vorgehensweisen, sind da ganz wesentlich.“