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Gerichtsverfahren Betrug folgt auf Steuerhinterziehung

Um 81.000 Euro soll eine Frau aus Groß Börnecke ihren einstigen Arbeitgeber betrogen haben.

16.11.2020, 23:01

Aschersleben/Groß Börnecke l Der Fall einer Groß Börneckerin, der kürzlich am Amtsgericht Aschersleben eröffnet wurde, sucht seines Gleichen: Sie soll als Buchhalterin von ihrem einstigen Arbeitgeber Zehntausende Euro abgekappt haben, weil sie bei Finanzamt und Krankenkassen hohe Schulden hatte. Sie haftete persönlich für die Steuerhinterziehung der Firma, bei der sie vorher beschäftigt war.

Bei der ersten Verhandlung am Amtsgericht Aschersleben gestand die 54-Jährige ihre Taten: „Alles hat angefangen, als ich Buchhalterin in einer anderen Firma war, die Steuerhinterziehung betrieben haben“, erklärte sie vor Gericht. Die Firma, damals mit einem anderen Geschäftsführer, existiert bis heute in Staßfurt. Sie war als Prokuristin eingesetzt und habe auf Anweisung des Geschäftsführers riesige Summen an Steuer und Sozialkassen vorbeigeführt. Bis heute betragen ihre Schulden beim Finanzamt 310.000 Euro, bei den Krankenkassen 4.000 Euro.

Als die Sache 2016 aufflog, durchsuchten die Finanzbehörden die Firma und forderten die Beitragssummen zurück. „Finanzamt und Krankenkassen wollten das Geld von mir privat haben, da ich die Prokuristin war“, sagte die Angeklagte dem Richter und den zwei Schöffen.

Theoretisch müsse zwar der Geschäftsführer haften, doch in dem Fall ging die Haftung auf sie über, da er als gesundheitlich und psychisch angeschlagen galt. „Eigentlich wollte der Chef zugeben, dass ich nur auf seine Anweisung gehandelt habe“, so die gebürtige Staßfurterin. Doch das sei nicht passiert, der ehemalige Geschäftsführer ist mittlerweile verstorben.

„In dem Moment ist alles auf mich eingestürzt. Es kam der Punkt, an dem ich nicht mehr konnte“, erklärte die Angeklagte weiter. „Ich habe alle diese Straftaten begangen, um diese Schulden zu begleichen.“ Den Druck der hohen Forderungen habe sie geistig nicht mehr verarbeiten können.

Die Straftaten, mit denen sie den Forderungen der öffentlichen Kassen nachkommen wollte, fanden dann 2017 bis 2018 statt. Sie war wieder als Buchhalterin bei einer anderen Firma angestellt, dieses Mal im Bereich der Egelner Mulde. Bei dem Unternehmen mit kleinem Sekretariat war sie für Konto, Buchungen und Rechnungen verantwortlich.

Bei 16 Rechnungen von verschiedenen Zulieferern, die rechtmäßig auf Bezahlung durch die Firma warteten, manipulierte sie Rechnungsnummern und überwies Beträge auf ihr eigenes Konto. Mal waren es 5.178 Euro, mal 8.026 Euro, mal .1545 Euro. Innerhalb von zehn Monaten machte sich die Angeklagte laut Staatsanwaltschaft Magdeburg also 16 mal des „Betrugs“ schuldig. „Sie manipulierte das Buchhaltungssystem und veränderte Rechnungsnummern willkürlich“, so die Staatsanwaltschaft vor Gericht.

Dass die Zulieferer irgendwann nach ihrem Geld fragten und die Sache aufflog, habe die Groß Börneckerin bei ihren Taten verdrängt, erklärte sie: „Ich wollte erstmal zahlen und dann weiter gucken. Das war natürlich großer Mist.“

Sie habe das Geld der Firma immer direkt von ihrem Konto bar abgehoben und dann wieder bar ans Finanzamt oder die Krankenkassen eingezahlt. Insgesamt sind es laut Staatsanwaltschaft 81.434 Euro, um die die Angeklagte ihren Arbeitgeber betrog. Mittlerweile seien durch die Aufklärung des Falls 36.000 Euro an jene Firmen zurückgeflossen, denen das Geld eigentlich zustand.

Da die 54-Jährige von ihrem vorletzten Arbeitgeber wegen der Insolvenz am Ende auch keinen Lohn mehr erhielt, nahm sie ein privates Verbraucherdarlehen auf und verschuldete sich noch mehr. Zu einem geringen Teil habe sie auch diese Schulden vom Geld des letzten Arbeitgebers getilgt. „Den Großteil des Geldes aber habe ich direkt weitergereicht an Finanzamt, Krankenkassen und so weiter.“

Nachdem der Betrug an ihrer Firma aufflog, verlor sie den Job. Mittlerweile ist sie bei einem anderen Unternehmen, etwas weiter entfernt, beschäftigt – wieder als Buchhalterin.

Seit August 2019 stottert die Angeklagte ihre Schulden nun auf „regulärem Weg“ ab. Jeden Monat gehen von ihrem Gehalt in der neuen Firma etwa 90 Euro ab, berichtete ihre Anwältin vor Gericht. Die Angeklagte erklärte: „Ich kann die komplette Forderung nicht leisten und nur versuchen, die Schulden durch Arbeit zurückzuzahlen.“ Dies seien immer nur kleine Beiträge.

Mittlerweile habe sie sich in ihre Situation ergeben. Wichtig sei es jetzt, für ihre Familie da zu sein.

Nach dem Geständnis der Angeklagten endete der erste Prozesstag mit dem Bericht von Dr. Stephan Pecher vom Harzklinikum Blankenburg. Er war mit einem psychiatrischen Gutachten über die Angeklagte beauftragt worden. Der Arzt bescheinigte ihr vor Gericht ein geregeltes Leben, mit Familie, Ehemann und Kindern und ohne längere Arbeitslosigkeit. Dr. Stephan Pecher berichtete von einer „normalen Intelligenz“ ohne psychische Auffälligkeiten. Leichte bis mittelschwere Depressionen der Angeklagten könnten auf die „Schwierigkeit, mit hohen Schulden zu leben“, zurückzuführen sein.

Der Psychiater konnte bei der Angeklagten keinen Hinweis auf verminderte Schuldfähigkeit finden. Man könne ihr zielgerichtetes und planvolles Handeln unterstellen. „Der Begriff des Schwachsinns ist hier nicht erfüllt“, so Dr. Pecher. „Schwachsinn“ ist übrigens ein Ausdruck, der bis heute in der Justiz tatsächlich noch verwendet wird.

Fortgesetzt wird der Prozess in der nächsten Woche.