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Kranzniederlegung auf jüdischen Friedhof: Eindringliche Worte von Bürgermeister und Superintendent "Erst der Niedergang eines Landes öffnete den Menschen die Augen"

Von Nadja Bergling 09.11.2013, 01:09

Egeln l Anlässlich der Pogromnacht vor 75 Jahren fand am Freitag auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof in Egeln eine Gedenkfeier statt. Seit gut zehn Jahren wird im November an die schrecklichen Taten während des Krieges erinnert. Gleichzeitig gilt dies als Mahnung.

Es ist der 9. November 1938. In der Stadt Egeln, in der es neben jüdischen Geschäften eine jüdische Schule, eine Synagoge und auch einen jüdischen Friedhof gibt, beginnen wie im ganzen Land Hetzen und Kampagnen gegen das jüdische Volk. Geschäfte werden geschändet und beschmiert, jüdische Mitbürger beschimpft und gehetzt. Nur durch Glück kann die Synagoge in der Barfüßer Straße vor der Zerstörung gerettet werden. Bauer Wilhelm Otto konnte dies verhindern, da er befürchtete, dass sein Stall in direkter Nachbarschaft ebenfalls von den Flammen erfasst wird. Durch die Weigerung, den Transport des Abrissmaterials über sein Grundstück erfolgen zu lassen, konnte die Synagoge nicht abgerissen werden und wurde später zum Wohnhaus ausgebaut.

Den 9. November nutzt man, um an diese schrecklichen Ereignisse zu erinnen und zu mahnen, dass so etwas nicht wieder geschieht. So auch in Egeln. Dort traf man sich bereits gestern auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof, direkt neben der Jahnsporthalle am Schützenplatz. Neben vielen Bürgern waren auch Schüler und Lehrer des Gymnasiums Egeln und der Sekundarschule gekommen.

Superintendent Matthias Porzelle hielt eine Rede, die die Schüler und anwesenden Bürger sichtlich zum Nachdenken anregte. "Erst der Niedergang eines ganzen Landes hat den Menschen die Augen geöffnet. Erst dann haben sie erkannt, was passiert war. Menschen wurden wie Vieh behandelt und fast alle empfanden das als richtig. Dazu gehörten auch einige Christen. Das Jesus Jude war, kam ihnen damals nicht in den Sinn", machte Porzelle deutlich. Der 9. November 1938 stehe symbolisch für ein ganzes Jahrzehnt voller Hass, Wut und Zerstörung. "Wir stehen nicht in der Verantwortung für das was war, sondern für das, was ist, und was wird", mahnte der Superintendent.

Auch Bürgermeister Reinhard Luckner machte in seiner Ansprache deutlich, dass sich diese Ereignisse nicht wiederholen dürfen. "Egal welche Hautfarbe, welcher Glaube, welche Herkunft - wir alle sollten friedlich miteinander leben und zusammenhalten", so der Stadtchef.

Seit gut zehn Jahren finden die Gedenkfeiern zur Reichspogromnacht in Egeln wieder statt. Reinhard Köpke hat dies wieder ins Leben gerufen. "Zu DDR-Zeiten kümmerte sich Rosel Geißler darum, ich habe es einfach nur übernommen", so Köpke.

Der jüdische Friedhof in Egeln wird als solcher nicht mehr genutzt. Heute ist er ein Ort der Erinnerung und Mahnung. "Die jüdische Gemeinde aus Magdeburg kümmert sich regelmäßig um den Friedhof", erklärt Bürgermeister Reinhard Luckner. Jüdisches Leben gibt es heute in Egeln nicht mehr. Die Synagoge ist ein Wohnhaus, die Schule gibt es nicht mehr. "Im Zweiten Weltkrieg ist viel kaputt gegangen. Jüdische Mitbürger wurden aus der Stadt vertrieben und sind nie wieder zurückgekehrt", so Luckner weiter.