Wo Anhalt endete Warum Großmühlingen eine Insel im Norden des Kreises ist
Groß- und Kleinmühlingen haben im 19. Jahrhundert zum Fürstentum Anhalt gezählt. Und das, obwohl die Enklave lange von Preußen umschlossen war. Auch die Kirche war einst Anhalt zugehörig. Doch das änderte sich in den 1970er-Jahren.

Großmühlingen - Wie ein gallisches Dorf muteten Groß- und Kleinmühlingen seit dem 17. Jahrhundert an. Denn das noch bis zum 16. Jahrhundert der Grafschaft Barby zugehörige Gebiet wurde 1797 als Amt Großmühlingen dem Fürstentum Bernburg zugesprochen und blieb bei Anhalt auch nach dem Aussterben der Bernburger Linie 1863. Und im Kirchenkreis Bernburg.
Pfarrer ist auch Heimatforscher
Das zeigt auch eine in Samt gebundene Bibel, die von Herzogin Friederike zu Anhalt-Bernburg an den damaligen Pfarrer und die Großmühlinger St.-Petri-Kirche gestiftet wurde. Vieles aus der Zeit ist in Großmühlingen noch erhalten. Etwa die Ortschronik, die Pfarrer Friedrich Loose zwischen 1898 und 1930 erstellt hat. Sie erzählt nicht nur die Entwicklung der Gemeinde, sondern auch zahlreiche Karten, Skizzen und Fotos gehören zu den Aufzeichnungen. „Es ist ein Schatz, was wir hier haben“, erklärt Kerstin Becker, Vorsitzende des Ortskirchenrates. Doch wie war das Leben in der Enklave, die von Preußen umgeben war? Das sei nicht so leicht zu sagen, sagt Becker. Denn die Aufzeichnungen Looses beziehen sich zum größten Teil auf Gebietsreformen, Grundrisse und Ackerflächen und weniger auf Einzelschicksale. Ob es Spannungen zwischen den Anhaltern und Preußen gegeben habe, wisse sie nicht.
Aber: Bücher und Kirche spielen in dem Dorf, das ab 1950 zum Kreis Schönebeck gehörte und seit 2007 in Einheitsgemeinde Bördeland eingemeindet wurde, noch immer eine wichtige Rolle. Und das auch über die Grenzen von Anhalt und Preußen hinaus.
Verbindungen zu Anhalt bestehen bis heute
Die Kirche Großmühlingens gehörte noch bis in die 1990er-Jahre zur Evangelischen Landeskirche Anhalts. „1990 wurden die Gemeinden an die Kirchenprovinz Sachsen abgetreten“, erklärt Jan Brademann, Leiter des Archivs der Evangelischen Landeskirche Anhalts. Der Grund: „Es ging in erster Linie um die Vereinheitlichung des Kirchengebietes. Groß- und Kleinmühlingen waren ebenso wie ehemals Klein- und Großalsleben oder Dornburg anhaltische Enklaven.“ Im Gegenzug wurden der Anhaltischen Kirche preußische Enklaven zugesprochen. „Für die Zeit ab 1990 ist das nicht nachweisbar. Aber nach 1945 waren es etwa die preußischen Enklaven Priorau (Raguhn-Jeßnitz), Schierau, Möst, Pösigk (Südliches Anhalt) und Löbnitz an der Linde (Köthen), Ende der 1970er-Jahre auch Altjeßnitz (Anhalt-Bitterfeld).“ Seit 2009 gehört die Region zur Evangelischen Kirche Mitteldeutschland, die sich damals aus der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen gebildet hat.
Doch so ganz sind die beiden Landeskirchen nicht voneinander getrennt, wenn es um Großmühlingen geht. Björn Teichert ist der Pfarrer der Großmühlinger sowie von zehn weiteren Gemeinden. Er fand heraus, dass es in der Kommune einst eine stattliche Pfarrbibliothek gegeben haben soll: „2019 habe ich bei einem Jubiläumsgottesdienst in Wespen Pfarrer Gottfried Werner kennengelernt“, berichtet er. Dieser war selbst einst in Großmühlingen aktiv, hatte in der Gemeinde in den 1960er-Jahren seine erste Pfarrstelle angetreten.
Landeskirchenarbeiten zusammen
„Er hat mir von den Büchern erzählt, die teilweise schon mehrere Jahrhunderte alt sein sollen.“ Doch sie sind, erklärt Teichert, zur Sicherung von der Landeskriche Anhalts zunächst nach Bernburg, später in das Archiv nach Dessau gebracht worden. Gottfried Werner sei seinerzeit regelmäßig nach Bernburg gefahren, um die Bücher zu katalogisieren. Doch schon einige Jahre später ging er nach Coswig.

Teichert erfuhr von den Büchern 2019. Damals konnten sich weder die Ältesten des Gemeindekirchenrates, noch die Mitglieder der Gemeinde an eine Bibliothek erinnern. „Also habe ich einen Brief nach Dessau geschrieben. Ich weiß noch, dass es an einem Freitag war. Und schon am Montag kam die Einladung per E-Mail.“
Lange gezögert haben er sowie Mitglieder des Großmühlinger Kirchen-Ortschaftsrates nicht und sind die Bauhausstadt gefahren. Kerstin Becker war begeistert. „Es war sehr interessant, in die alten Bestände zu blicken“, sagt sie. Auch wenn viele Bände noch nicht katalogisiert sind.
Rund 300 Bücher lagern im Archiv
Jan Brademann schätzt, dass rund 300 Bücher den Großmühlingern gehören. Und die sind auch als Eigentum der Gemeinde anerkannt. Doch zurückhaben möchte sie Björn Teichert nicht: „Wir haben hier keine Möglichkeit, die Bücher unterzubringen und zu sichern.“
Er habe gehört, dass beispielsweise eine Hans-Lufft-Bibel unter den Werken sei – von einem der führenden Drucker der lutherischen Bibelübersetzung aus dem 16. Jahrhundert. „Im Archiv ist der Bestand sehr gut aufgehoben.“ Nur ein Katalog wäre gut, sagt er. Auch für wissenschaftliche Zwecke – und um zu sehen, ob wirklich eine Lufft-Bibel im Bestand ist.
„Es ist geplant, die Bücher in einem großen Projekt, für das das landeskirchliche Archiv in Magdeburg federführend ist, katalogisiert werden“, berichtet Brademann. Doch die Katalogisierung steht vor Herausforderungen: Der Titel muss exakt aufgenommen werden, Besitz- und Widmungseinträge müssen identifiziert werden. Und die Tatsache, dass sich in einem Buch mehrere Werke befinden, erleichtert die Zuordnung nicht. Doch das sei nur noch eine Frage der Zeit.