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Muskelschwäche Und plötzlich geht gar nichts mehr

Siegfried König aus Tangermünde leidet unter einer Muskelschwäche.

29.07.2015, 23:01

Stendal l Siegfried König leidet unter einer progressiven Muskeldystrophie, einer von über 800 verschiedenen Formen der Muskelkrankheit, im Volksmund auch als Muskelschwund bekannt. Mit fortschreitendem Verlauf werden die Muskeln schwächer, bis sie irgendwann ihren Dienst versagen. Der Verlauf der Krankheit ist so individuell wie die Person, die davon betroffen ist. Einige leiden an schmerzenden Krämpfen, zeitweisen Lähmungserscheinungen oder allgemeiner Schwäche, erklärt Professor Stefan Vielhaber, Leiter der Muskelambulanz und des Stoffwechsellabors in der Uni-Klinik Magdeburg. Deutschlandweit sind mehr als 100 000 Menschen betroffen, in Sachsen-Anhalt sind es laut Vielhaber, mehrere Hundert. Genaue Zahlen gibt es nicht, da sich die Krankheit durch verschiedenste Ausprägungen oft erst sehr spät zeigt oder auch, gerade im Anfangsstadium, falsch diagnostiziert wird.

Bei Siegfried König hat die Krankheit schon in seiner Kindheit ihren Verlauf genommen. „Beim Sportunterricht konnte ich überhaupt keine Leistungen mehr abliefern“, erinnert er sich. „Gehen ging ja noch, aber es war beschwerlich. Aber da hat ja niemand an eine Krankheit gedacht. Bis es denn einen Sportlehrer gab, der gesagt hat: ‚Der Junge muss zum Arzt‘. Und wissen Sie, was die diagnostiziert haben? Knick- Senk- und Spreizfüße! “ Es standen weitere Untersuchungen ins Haus, bis ein Neurologe irgendwann den Muskelschwund diagnostizierte und ihm als Therapie viele Vitamine empfahl. „Von da an hat meine Mutter kiloweise Petersilie gehackt. Geholfen hat‘s nicht, sehen Sie ja“, sagt er lachend und zeigt auf seinen Rollstuhl.

An diesem Punkt fällt ihm ein, dass er sich ja über einen Artikel in der Zeitung aufregen wollte. Die Straßensanierungen in Tangermünde. „Ein Gerüttel in meinem Rollstuhl auf dem Kopfsteinpflaster, und davon haben wir ja viel in Tangermünde.“

Deswegen versucht er, die Behörden auf seine Situation aufmerksam zu machen, nicht nur für sich, sondern auch für alle anderen, die im Rollstuhl sitzen oder andere Beeinträchtigungen beim Gehen haben. „Es gibt so wenig abgesenkte Bordsteine, teilweise sind die Gehwege selbst sehr holprig und schief, vor allem in der Innenstadt. Deswegen muss ich bei den Behörden immer wieder auf behindertengerechte Baumaßnahmen aufmerksam machen. Die kennen mich da schon. Aber das ist nicht schlimm.“ Zu selten tritt die Krankheit auf, zu lange dauert die Diagnose. Bei Birgit Timmer aus Bismark immerhin 14 Jahre. Mit Wadenkrämpfen fing es an. „Pubertät“, so die Ärzte.

Als die Krämpfe nicht nachließen, begann für Birgit Timmer eine Odyssee von Arzt zu Arzt, bis dann endlich die Diagnose Muskelschwund feststand. Für sie einerseits eine Katastrophe, aber auch eine Erleichterung, weil sie endlich Medikamente bekam und ist seitdem meist schmerzfrei. „Wenigstens das“, sagt sie.

Gemeinsam mit Siegfried König engagiert sie sich in der Deutschen Gesellschaft für Muskelschwund (DGM). Timmer ist hier Vorsitzende und erste Ansprechpartnerin für alle Betroffenen in der Altmark. „Es gibt zu wenige von uns, deshalb ist es schwierig, Ansprechpartner in der Region zu finden, von Fachärzten ganz zu schweigen. Die nächsten sind in Magdeburg und in Halle. Viele Betroffene kommen da gar nicht hin, sind auf Hilfe angewiesen. Nicht jeder hat eine Familie, die unterstützt und nicht jeder ist in der Lage, für sich selbst die nötigen Schritte bei Krankenkassen und Behörden zu beantragen“, so Timmer. Deswegen will sie für die Altmark eine Selbsthilfegruppe für Muskelkranke und deren Angehörige gründen, „damit auch hier endlich ein Austausch stattfinden kann. Das ist so wichtig. Das Gefühl, nicht allein zu sein mit seiner Krankheit und seinem Kummer, hilft ja manchmal besser als jede Medizin.“ Interessierte können sich an Birgit Timmer unter der Telefonnumer 039089/2478 wenden.