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Stendaler Markt Flaschenfund am 1. April

Eine 132 Jahre alte Weinflasche in Stendal gefunden - leider nur ein Aprilscherz.

Von Donald Lyko 02.04.2016, 00:00

Stendal l Was den Archäologen nur ein müdes Lächeln entlockt hat und mit dem unspektakulären Kommentar „zu neuzeitlich“ quittiert wurde, ist für Christian Frankenberg schon eine kleine Sensation – für ihn als Weinkenner, als Stendaler und ganz persönlich, denn seine Recherchen haben ihn weit zurück in die eigene Familiengeschichte geführt.

Aber erst einmal zum Anfang der Geschichte. Am Mittwoch vor Ostern stand plötzlich einer der Mitarbeiter, die seit Wochen mit archäologischen Grabungen auf dem Marktplatz beschäftigt sind, bei ihm im Laden, dem nur wenige Meter entfernten „Olivenbaum“. Christian Frankenberg kann sich noch ganz genau erinnern: „Der Mann konnte nicht so gut Deutsch, da sind ja ausländische Helfer mit im Einsatz.“ Mit Englisch, Händen und Füßen und auch etwas Deutsch habe man sich verständigt, erzählt der Gewerbetreibende. „Er hat immerzu auf meine Weinregale gezeigt, dann nach draußen zur Baustelle und mich mit der Hand herangewunken. Er wollte offensichtlich, dass ich mitkomme.“ Der Kaufmann folgte dem Grabungshelfer hinter die Absperrung, bis zu einem Loch nahe der Straße Am Markt.

Dort, nicht sehr tief im Erdreich, lag eine noch gut erhaltene Flasche – eingebettet in Kies. Ein Grund vermutlich, warum sie die Erschütterungen der Jahrzehnte unbeschädigt überstanden hat. „Da war natürlich auf Anhieb mein Interesse geweckt“, erzählt der Delikatessenhändler am Donnerstag bei einem Vor-Ort-Termin, bei dem er Medienvertretern die Fundstelle zeigt und für ein Foto die Bergung noch einmal nachstellt (die Flasche war allerdings deutlich schmutziger, als sie gefunden wurde).

Die Archäologen hatten nichts dagegen, dass er die Flasche mitnimmt – wie gesagt, nicht alt genug – und sie sich etwas näher anschaut. Als er die Flasche vorsichtig reinigte, kam ein Schriftzug zum Vorschein: „Stendaler Rotsporn – Max Schwieger – 1884 – Zur Konfirmation“. Zuerst machte ihn die Beschriftung etwas stutzig, denn schon aus Hansezeiten ist ja der Rotspon bekannt. „Vielleicht haben sich die Leute, die die Flasche zur Konfirmation verschenkt haben, nur verschrieben. Vielleicht gab es auch kurzzeitig diese Schreibweise mit r hier in der Region“, versucht Frankenberg eine Erklärung, obwohl sie mit dem Wortursprung nicht zu erklären wäre (siehe Infokasten). In der Fachliteratur habe er dazu nichts gefunden.

Beim Lösen weiterer Rätsel half, wie so oft bei historischen Funden, der Zufall. „Ich habe meine Mutter gefragt, ob ihr der Name Max Schwieger etwas sagt. Sie kennt ja viele Stendaler und oft sogar deren Vorfahren.“ Und dann bekam Christian Frankenberg eine Antwort, die ihn wirklich verblüfft hat: „Klar, kenne ich den, das war doch der Bruder deines Uropas.“ Die Mutter suchte in ihren Unterlagen und konnte schon am nächsten Tag noch mehr Informationen beisteuern. Max Schwieger, Ackerbauer und später Rentier, wurde 1870 in Stendal geboren und starb im Jahr 1941. „1884 war er dann 14 Jahre, das passt zum Alter eines Konfirmanden“, kombiniert Frankenberg und wertet dies als weiteres Indiz für die Echtheit des Fundes.

Ein Rätsel hat er allerdings bisher nicht lösen können – und wird es wohl auch nicht: Wie ist die Flasche unter das Marktplatz-Pflaster gelangt? „Es muss ja am Markt gearbeitet worden sein. Wie sollte sie sonst in den Boden gekommen sein? Vielleicht hatte Max die Flasche dabei, als er mit Kumpels um die Häuser zog, und sie haben dort an der Baustelle gesessen. Am Markt trifft sich die Jugend ja heute noch gern. Oder jemand hat sich einen Spaß erlaubt, die Flasche versteckt und sie dann vergessen“, mutmaßt der Kaufmann.

Natürlich wäre es auch eine Möglichkeit, dass Max Schwieger mit Absicht die Flasche dort vergraben hat, damit sie später einmal gefunden wird. „So eine Art Zeitkapsel, wie sie bei Grundsteinlegungen ins Fundament oder in die Kugeln bei Kirchturm-Wetterfahnen kommen. Im Roland gibt es ja auch so eine Schatulle mit Dokumenten aus der Bauzeit.“

Auf jeden Fall will Christian Frankenberg demnächst ins Stadtarchiv gehen und in den Bauarchivakten nachschlagen, wann in besagtem Zeitraum am Marktplatz gearbeitet worden ist.

132 Jahre hat die 1,5-Liter-Flasche nun im Stendaler Untergrund gelegen. Guter Wein muss ja bekanntlich lagern, aber ob der noch schmeckt? „Optisch sieht er noch ganz gut aus. Und die Flasche ist mit Wachs gut versiegelt, der Wein könnte also noch schmecken“, gibt sich der Fachmann, der selbst zusammen mit französischen Winzern Stendaler Rotspon „komponiert“, optimistisch, dass er da einen guten Tropfen ausgegraben hat.

Ob der Wein, den Max Schwieger zur Konfirmation geschenkt bekommen hat, nach so langer Zeit noch mundet, „wissen wir aber erst, wenn die Flasche geöffnet ist“. Und das soll heute Nachmittag um 16 Uhr im Delikatessengeschäft „Olivenbaum“ am Kornmarkt geschehen. „Wer ein Gläschen kosten möchte, ist dazu willkommen“, lädt Christian Frankenberg dazu ein, eine weitere Frage des Rätsels zu beantworten – die des Geschmacks.