1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Rekord-Pendler aus der Altmark

Arbeitsweg Rekord-Pendler aus der Altmark

Für Bauarbeiter aus dem Landkreis Stendal sind Anfahrtswege von mehr als 100 Kilometern keine Seltenheit.

Von Siegfried Denzel 21.06.2020, 23:01

Stendal l Rund 2000 Einwohner des Landkreises Stendal sind nach Zahlen der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt in der Baubranche tätig. Doch nur wenige könnten wohnortnah ihren Lebensunterhalt verdienen, gibt Klaus Hartung zu bedenken. Der stellvertretende Gewerkschafts-Regionalleiter für den Bereich Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen spricht von durchschnittlichen Pendelstrecken von 90 bis 110 Kilometern, die Bauleute aus dem Landkreis Stendal auf sich nehmen müssen – für die einfache Strecke.

Wer nicht in irgendeiner Monteurs-Unterkunft nächtigen will, ist also bis zu 220 Kilometer täglich unterwegs. „Vielfach sind die Leute bis nach Magdeburg oder Wolfsburg unterwegs“, weiß Hartung. Der bundesweite Pendel-Durchschnitt für Bauleute, zitiert die Gewerkschaft eine Untersuchung des Pestel-Instituts in Hannover, liege „nur“ bei 64 Kilometern.

Damit gehe gerade Bauleuten aus der Altmark besonders viel „Lebenszeit im Auto flöten“, kritisiert der Gewerkschafter. Und IG Bau-Bezirksvorsitzende Elke Bobles ergänzt: „Darunter leiden Familie, Freunde und Freizeit.“

Erschwerend hinzu komme, dass es bislang kaum einen Ausgleich fürs Pendeln gebe – weder in Zeit noch in Geld. Und deshalb wollen die Gewerkschafter bei der Fortsetzung der laufenden Tarifrunde am 25. Juni in Wiesbaden erreichen, dass Bauarbeiter für die sogenannten Wegezeiten vertraglich fixierte Entschädigungen erhalten. Die Erwartungen freilich sind nach Worten Vize-Regionalleiter Hartung aber gering: „Wir haben zwei Verhandlungsrunden durch, und die Arbeitgeber haben dazu gar nichts gesagt.“

Einer der „Pendel-Bauleute“ ist Kevin Schober aus Stendal. Der 36-jährige Baugeräteführer arbeitet derzeit auf einer Baustelle in der niedersächsischen Kreisstadt Gifhorn – gut 100 Kilometer von Frau und Tochter entfernt. Allerdings muss er nicht selbst fahren: Sein Chef setze auf Firmenkosten einen Kleinbus ein, der auf der Strecke nach Gifhorn unterwegs auch noch weitere Kollegen „einsammelt“.

Damit allerdings erhöhe sich die Fahrtzeit: Bis zu zweieinhalb Stunden dauere es von der Wohnungstür bis zum aktuellen Arbeitsplatz. Deshalb übernachte er ein- bis zweimal pro Woche in einer Pension vor Ort – zahlbar aus eigenem Portemonnaie, denn dafür gebe es keinen Zuschuss vom eigenen Unternehmen.

Für Gewerkschafter Hartung sind die oft erschwerten Bedingungen für die Bauleute aus der Altmark auch der Grund dafür, dass „Betriebe händeringend nach Fachkräften suchen“. Neben den weiten Pendelstrecken sind es aber auch finanzielle Gründe, die altmärkische Baufirmen bei dieser Suche oft nur zweite Sieger werden lassen. Schober und seine Familie werden demnächst wegziehen – nach Braunschweig, wo er bei einer dortigen Baufirma anfängt und seine zuletzt arbeitslose Frau einen Job als Bäckereifachverkäuferin gefunden hat. Unterm Strich, sagt der 36-Jährige, „haben wir in Braunschweig monatlich fast 1800 Euro mehr als in Stendal“.