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Austausch Im Interesse von Europa

Seit zehn Jahren besteht zwischen den Berufsbildenden Schulen und dem französischen Lycée Albert-Bayet eine enge Partnerschaft.

Von Anne Toss 24.03.2017, 00:01

Stendal l „Ich bin es nicht gewohnt, an so schönen, luxuriösen Autos zu arbeiten“, sagt Mathias Antar und schaut auf die Neuwagen, die sich im Ausstellungsraum der B&K Filiale – ein Vertragshändler von BMW – aneinanderreihen. Er und Simon Challes werden in Frankreich am Lycée Albert-Bayet in Tours zu Automechanikern ausgebildet. Als sich den beiden die Chance geboten hat, für vier Wochen ein Praktikum in Deutschland zu absolvieren, haben sie zugesagt.

Der Austausch ist für sie nicht nur die Möglichkeit, die deutsche Kultur kennenzulernen, es ist eine Erfahrung, die im späteren Berufsleben so manche Tür öffnen kann: „Es ist einfach gut, wenn im Lebenslauf steht, dass man ein Praktikum bei BMW in Deutschland gemacht hat“, sagt der 17-jährige Simon Challes. Und sein Lehrer Pierre-Yves Tarpin fügt an: „Durch dieses Praktikum haben beide bessere Chancen, für eine Weiterbildung bei BMW in Frankreich angenommen zu werden.“ In Zeiten, in denen die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich bei über 23 Prozent liegt, wäre das für die Auszubildenden fast wie ein Lotto-Gewinn.

Dabei profitieren die Jugendlichen insbesondere von einer langjährigen Partnerschaft, die die BBS I mit dem Lycée Albert-Bayet seit zehn Jahren pflegt. „Im Jahr 2007 hat der erste Austausch stattgefunden“, erinnert sich Werner Gehlhar, der als Deutsch- und Französischlehrer den Austausch betreut und maßgeblich mitgestaltet. Hervorgegangen ist die Kooperation aus dem Partnerschaftsvertrag, den Sachsen-Anhalt mit der Region Centre im Jahr 2004 geschlossen hat. „Seither besuchen uns pro Jahr rund 20 Franzosen. Und zwischen 15 und 20 unserer Schüler nehmen ebenfalls am Austausch teil, fahren also nach Frankreich.“

Werner Gehlhar muss nach zehn Jahren der Organisation allerdings auch feststellen, dass sich die Bedingungen verschlechtert haben. „Die Bereitschaft, finanzielle Mittel für einen Austausch kompromisslos bereitzustellen, ist einfach nicht mehr da.“ Auf ihn und seinen Kollegen Rolf Birkholz kommt dadurch mehr Arbeit zu, „die Beantragung dauert bedeutend länger, vieles wird einem erschwert“, sagt Gehlhar. „Aber wir lassen uns davon nicht abschrecken.“

Denn die Resonanz, die sowohl die französischen als auch die deutschen Lehrer erfahren, sei phänomenal. „Oft sagen die Schüler: ‚Jederzeit wieder‘. Es wäre traurig, wenn die Sache irgendwann beendet würde – und das auch im Interesse von Europa.“ Seine französische Kollegin, Marie-Noelle Rougeot, stimmt ihm zu. Gerade in Frankreich blicke man zurzeit sehr ängstlich in die Zukunft. Bei den anstehenden Präsidenschaftswahlen Ende April, ist die rechtsnationale Kandidatin Marine Le Pen vor allem der Favorit der jungen Wähler.

„Wir dürfen in der Schule mit den Schüler nicht über Politik sprechen“, sagt Rougeot. In Frankreich sei die politische Diskussion und Meinungsbildung Aufgabe der Eltern. „Aber wir versuchen, durchblicken zu lassen, dass wir gegen den Front National sind.“ Vor Marine Le Pen habe sie Angst. Umso wichtiger sei es daher auch, einen Austausch mit den Nachbarländern zu pflegen.

„Ich denke, man muss ein Land und seine Bewohner immer erst kennenlernen, damit bestimmte Hemmnisse beseitigt werden“, sagt Werner Gehlhar. Man dürfe nicht denken, dass die Schüler für den Austausch Schlange stehen. Oft müssen die Lehrer Überzeugungsarbeit leisten. „Aber die, die wir überzeugen konnten, die bedanken sich dann auch bei uns“, berichtet Gehlhar.

Und, wie fälschlicherweise oft angenommen, sei die Sprache prinzipiell keine Barriere bei einem Austausch. „Wir haben uns mit Händen und Füßen verständigt, das hat funktioniert“, sagt Mathias Antar. Und Simon Challes ist überrascht, dass sich sein Englisch während des Aufenthalts verbessert hat. „Nach dem Monat verstehe ich aber auch bestimmte deutsche Begriffe, zum Beispiel Staubsauger“, fügt Simon an.

In ihrem Betrieb wurden sie „voll in den normalen Ablauf integriert, sie haben an den Fahrzeugen mitgearbeitet“, sagt Filialleiter Michael Seidemann. Er unterstützt den Austausch seit drei Jahren, er findet es interessant zu sehen, wie sich Auszubildende aus anderen Ländern entwickeln. „Man will ja schon wissen: Wie ist der Ausbildungsstand da, haben die eine andere Herangehensweise“, sagt Seidemann. Und auch sein Fazit fällt nach den vier Wochen positiv aus: „Die Praktikanten sind willig, die Kollegen nehmen es gut auf – alles passt.“