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Caritas Zwei Helfer für Menschen in Not

Beim Caritas-Verband in Stendal gehen nach vier Jahrzenten Ewald und Petra Kittner in den Ruhestand.

Von Antonius Wollmann 28.06.2020, 06:00

Stendal l Am Mittwoch wird alles anders sein. Ewald und Petra Kittner werden nicht ins Caritas-Büro in der Brüderstraße fahren. Sie werden keine Klienten betreuen, die in einer schwierigen Situation Hilfe suchen. Werden nicht mehr beratend zur Seite stehen und ihren Anteil daran leisten, dass Suchtkranken der Ausstieg aus ihrem persönlichen Teufelskreis gelingt. Nach 43 Jahren ist ihr Arbeitsleben vorüber. Dienstag erfolgt die offizielle Verabschiedung. Vier Jahrzehnte, in denen sie wesentlich dazu beigetragen haben, Menschen im Landkreis in hoffnungslosen Lagen wieder eine Perspektive zu geben.

Den Caritas-Verband in der östlichen Altmark nach der Wende aufzubauen und damit die Sucht-und Schwangerenberatung zu etablieren – daran hat das Ehepaar einen bedeutenden Anteil. Nach dem Studium der Sozialen Arbeit am Seminar für den kirchlichen karitativen Dienst in Magdeburg zog das Paar eher zufällig nach Stendal. Beruflich und privat sind sie trotzdem schnell heimisch in der Region geworden. Während er sich in erster Linie um Drogen-und Alkoholabhängige kümmerte, war sie für die werdenden Müttter zuständig. Wobei eine eindeutige Trennung nie so richtig zu vollziehen war.

Ein wenig Wehmut schwingt da schon mit, wenn Petra Kittner über den bevorstehenden Abschied spricht: „Langsam wird einem das erst richtig bewusst, dass da bald ein neuer Abschnitt beginnt.“ Bange sei den beiden jedoch nicht davor, die bald im Übermaß zur Verfügung stehende freie Zeit zu füllen. Um die Enkelkinder könne man sich dann intensiver kümmern, fällt Ewald Kittner spontan ein. Zumal zwei ihrer drei Kinder nicht mehr in Stendal zuhause sind. „Dann kann ich vielleicht mehr Motorrad fahren“, fällt dem 65-Jährigen als Zweites ein. Was es den beiden außerdem leicht macht, loszulassen, ist die Überzeugung, den Nachfolgern ein gut bestelltes Feld zu überlassen.

Zu tun wird es für die neue Leitung genug geben. Die Sucht – das wissen die beiden nur zu genau – wird nicht aussterben. Egal, ob es sich um Alkohol handelt oder um Drogen. „Bereits die Gründerin der Caritas in Stendal hat Anfang der 50er Jahre davon geschrieben, dass der Alkohol ein großes Problem ist in der Gegend“, erzählt Ewald Kittner. Wenig Arbeit, wenig Perspektiven, dafür umso größeres Frustrationspotenzial so die Diagnose damals.

Was sich aber tatsächlich geändert hat, ist der Umgang mit der Problematik. In der DDR sei der Alkoholismus systematisch totgeschwiegen worden, erinnert sich der Suchtberater. Dass unter der Oberfläche einiges im Argen lag, wusste trotzdem jeder. An wen man sich wenden konnte, wenn man Hilfe suchte, war jedoch nicht immer so klar. „Vieles lief damals informeller ab. Die Kontakte zu Süchtigen wurden bei uns vor allem über die Kirche hergestellt“, berichtet Petra Kittner. Gab es in den Pfarreien Menschen, die offensichtlich Probleme hatten, sprachen die Caritas-Mitarbeiter sie an und besuchten sie meist in den eigenen vier Wänden.

Drogen spielten damals nur eine untergeordnete Rolle. Erst nach der Wende sprang der Konsum der Betäubungsmittel deutlich in die Höhe. Cannabis und Amphetamine machen dabei seit jeher den Löwenanteil unter den verbotenen Substanzen aus.

Nicht selten kam es dabei vor, dass sich die Arbeitsfelder der beiden überschnitten. Sei es durch Familien, die unter der Sucht eines Partners litten oder werdenden Müttern, die von selbst Probleme mit Betäbungsmitteln hatten. „Oft haben wir uns die Klienten zugespielt“, sagt Ewald Kittner. Seine Frau berichtet in diesem Zusammenhang von Wissenslücken, die in negativer Hinsicht bemerkenswert seien. „Die gefährliche Wirkung von Alkohol in der Schwangerschaft ist manchen Frauen überhaupt nicht bewusst“, sagt die 63-Jährige. Auffällig sei darüber hinaus, dass das Stresslevel bei vielen Müttern in den vergangenen Jahren enorm gestiegen sei.

In einer karitativen Einrichtung zu arbeiten, ist dabei ein Spagat. Egal, in welchem politischen System. Die richtige Mischung zwischen Empathie und Distanz zu finden, ist die große Kunst. Von einer Gratwanderung spricht Ewald Kittner. Nicht jeder Klient sei bereit gewesen, Hilfe anzunehmen. Zumal nicht alle aus eigenem Antrieb bei der Caritas vorstellig wurden. Bei einer zu starken Verweigerungshaltung die Konsequenzen zu ziehen, fiel nicht leicht. Und das ist wahrscheinlich die Quintessenz aus 40 Jahren Beratungsarbeit: Dass man zwar Hilfestellung geben kann, das Schicksal der Klienten jedoch stets in ihren eigenen Händen liegt.