Historische Dokumente online abrufbar Citizen Science in Stendal: Bürger schafffen ehrenamtlich Wissen
Peter Lingnau aus Augsburg erfasst seit Jahren im Stadtarchiv Stendal historische Adressbücher. Die Daten stehen Ahnenforschern kostenfrei im Internet zur Verfügung.

Stendal - Sie sind eine wichtige Quelle für Historiker und fast ein Muss für alle, die Familienforschung betreiben: alte Adressbücher der Städte und Landkreise. Dass es mittlerweile 30 Stendaler Adressbücher in digitaler Form im Stadtarchiv der Hansestadt gibt, ist Peter Lingnau zu verdanken.
Denn der gebürtige Stendaler, den es nach der Wende aus beruflichen Gründen nach Augsburg verschlagen hat, hat in den vergangenen Jahren unzählige Stunden im Stadtarchiv verbracht – mit den Adressbüchern, die nun für jedermann online einsehbar sind.
„Es ist schon eine ordentliche Fleißarbeit“, berichtet Peter Lingnau. Seite für Seite wird jedes Adressbuch eingescannt und dann so aufbereitet, dass es vom Nutzer gut gelesen werden kann. Die erfassten Stendaler Adressbücher aus der Zeit zwischen 1867 und 1947/48 stammen aus dem Bestand des Altmärkischen Museums. Adressbücher konnten damals übrigens von jedem gekauft werden. Das Stendaler für das Jahr 1912 gab es zum Beispiel für 3,50 Mark.
Verein für Computergenealogie ist bundesweit aktiv
Das Erfassen der historischen Adressbücher läuft über den Verein für Computergenealogie (CompGen). Peter Lingnau gehört zu den Ehrenamtlichen, die in Vereinsprojekten frei zugängliche Daten erzeugen – für die Geschichtswissenschaft und für die Familienforschung (Ahnenforschung). Dass diese Quellen dank der Vereinsarbeit kostenlos von jedermann genutzt werden können, habe ihn für die Mitarbeit begeistert, sagt Peter Lingnau.
Zum Verein ist er über seine eigene Familiengeschichte gekommen. Als er damit begonnen hatte, über seine Vorfahren in Ostpreußen zu recherchieren, bekam er den wertvollen Tipp, doch mal in alten Adressbüchern zu schauen. Denn dort ist detailliert aufgelistet, wer in welchem Jahr in welcher Straße (inklusive Hausnummer) gewohnt hat. So ist er im Jahr 2008 zum Thema Adressbücher gekommen. Und zum Verein für Computergenealogie, der 2003 in Bremen in Zusammenarbeit mit Archiven und Bibliotheken das Projekt historische Adressbücher gestartet hatte.
Mit dem Erfassen der Stendaler Adressbücher hat Peter Lingnau 2011 im Stadtarchiv begonnen. Immer, wenn er zum Familienbesuch in der altmärkischen Heimat war und ist, gehören ein paar Stunden im Archiv dazu. Dabei hat er nicht nur die Stendaler Adressbücher gescannt und aufbereitet, sondern auch welche aus Salzwedel und Osterburg. Derzeit ist der Landkreis Stendal in Arbeit.

Peter Lingnaus’ Ehrenamt im Verein läuft unter dem modernen Stichwort „Citizen Science“, übersetzt: Bürger schaffen Wissen. Heißt: Interessierte Laien helfen in wissenschaftlichen Projekten mit oder übernehmen diese komplett. Ohne ein solches Ehrenamt hätten viele kleine Städte gar nicht die Möglichkeit, eine solch umfangreiche Arbeit wie das Erfassen der Adressbücher zu leisten. „Aber Archive sind dafür da, dass sie genutzt werden“, sagt Peter Lingnau, der dabei hilft, die einfache Nutzung übers Internet zu ermöglichen.
Heimatverbundene kümmern sich um Wikipedia-Einträge
Bei der Datenbereitstellung geht es sogar noch einen Schritt weiter. Mit dem Daten-Eingabe-System (DES) von CompGen können Adressbücher und andere historische Register transkribiert, also abgeschrieben werden. Zwei Stendaler Adressbücher sind bereits erfasst. Sieben Freiwillige haben das Buch für das Jahr 1900 Eintrag für Eintrag abgeschrieben: 167 Seiten mit 11.960 Einträgen. „Freiwillige für das Transkribieren von Adressbüchern sind immer willkommen“, ermuntert Peter Lingnau zur Mithilfe.
Seine historische Forschung zu Stendal und zur Altmark beschränkt sich übrigens nicht nur auf die Adressbücher. Er gehört zu einer Gruppe von fünf bis sechs Heimatverbundenen, die sich ehrenamtlich um die Wikipedia-Einträge der Städte und Dörfer aus der Altmark kümmern und diese ergänzen, wenn sie bei ihren Recherchen auf Neues und Interessantes stoßen. So hat er zum Beispiel der Bindfelde-Seite im Online-Lexikon eine Anekdote über den Bindfeldschen Kaviar hinzugefügt, mit Verweis auf ihre Quellen.
Information: Die gescannten Stendaler Adressbücher sind bei GenWiki online unter https://wiki.genealogy.net/Kategorie:Adressbuch_für_Stendal zu finden. Unter https://wiki.genealogy.net/Stendal/Adressbuch_1900 ist dann eine Version für das Jahr 1900 zu finden, in der gezielt nach Personen gesucht werden kann, weil alle Daten abgeschrieben und erfasst wurden.