Mit einer Premiere Ein Bahnhof ist Sorgenkind: Inklusionsbereit testet ÖPNV im Kreis Stendal
Der Inklusionsbeirat des Landkreises Stendal geht zum siebten Mal auf Tour, um den öffentlichen Personennahverkehr zu testen. Was läuft gut und wo hapert es?

Stendal. - Wenn sich jemand mit Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) auskennt, dann ist es Marcus Graubner. Der Tangerhütter sitzt im Rollstuhl und ist seit Jahren Mitglied im Inklusionsbeirat des Landkreises Stendal. Der ist mindestens einmal im Jahr unterwegs, um den Bus- und Bahnverkehr inklusive Haltestellen und Bahnhöfen unter die Lupe zu nehmen.
Gemeinsam mit dem Örtlichen Teilhabemanagement und einer Mitarbeiterin der Nasa (Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt) wurde zum siebten Mal eine Tour unternommen.
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Die erste Station ist Tangermünde. Was hier positiv auffällt: Es gibt eine Anzeige, die per Knopfdruck „spricht“ und wichtige Informationen durchgibt. „Allerdings muss man wissen, dass die hier steht. Ansonsten gibt es keinen Hinweis darauf“, sagt Daniela Waiß, 2. Stellvertreterin des Inklusionsbeirates. Sie ist aufgrund einer Sehbehinderung auf einen Blindenstock angewiesen.
Ansonsten fällt in Tangermünde auf, dass das Blindenleitsystem am Boden in die Jahre gekommen ist. „Das könnte mal wieder erneuert werden.“ Teilweise ist es schwer für sie zu erkennen, wo das System aufhört.


„In Tangermünde konnten wir aber schon viel erreichen“, sagt Johanna Michelis vom örtlichen Teilhabemanagement. Bei der vergangenen Begehung in der Kaiserstadt gab es am Bahnhof ein großes Loch im Boden, das nun ausgebessert wurde.
Zum ersten Mal wird ein Tango-Bus getestet
Nach der Besichtigung gibt es eine Premiere. Einer der neu eingesetzten Tango-Busse wird auf die Probe gestellt. Der bestellte Bus ist pünktlich, der Fahrer hilft Marcus Graubner, indem er die Rollstuhlrampe aufbaut.
Allerdings wird das Bezahlen eine Herausforderung. Der Busfahrer ist nicht mit den Wertmarken vertraut, mit denen Menschen mit einer Behinderung kostenlos den ÖPNV nutzen können. Sie müssen nur den Komfortzuschlag von zwei Euro für den Tango zahlen. Der Fahrer wirkt überfordert, Johanna Michelis hilft aus. „Da bieten sich Schulungen an, um das Problem zu umgehen“, sagt Reiko Lühe, Vorsitzender des Inklusionsbeirats.

Der nächste Stop ist Demker. Der Busfahrer fährt nicht direkt an den Bahnhof heran, obwohl es augenscheinlich möglich wäre. „Der Weg ist ja nicht weit“, sagt er und fährt davon. Was er nicht bedacht hat: Der Weg zum Bahnhof führt über eine Steigung. „Für Menschen mit einem Rollstuhl ohne elektrischen Antrieb ist das dann schwierig“, sagt Johanna Michelis. Gemeinsam wird der Weg gemeistert.
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Der Bahnhof in Demker wirkt auf den ersten Blick barrierefrei, wird bei genauer Betrachtung jedoch von der Gruppe zum Sorgenkind ernannt. Die Wege sind breit, doch teilweise stehen Hindernisse im Weg. Es gibt einen Parkplatz in der Nähe, allerdings ohne Behindertenparkplätze. Die Geländer sind mit Blindenschrift versehen, allerdings ist diese irreführend. So werden Reisende auf dem einen Geländer hingewiesen, dass sie sich auf Gleis 2 befinden, auf der gegenüberliegenden Seite steht jedoch „Gleis 1 Ausgang“. „Das ist nicht ganz eindeutig“, sagt Daniela Waiß.


Vorbildlich hingegen präsentiert sich das nächste Ziel: Tangerhütte. Der Bahnhof und sogar der Supermarkt samt Bäcker in der Nähe sind barrierefrei. Kein Wunder. Schließlich setzt sich Marcus Graubner als Tangerhütter seit Jahren dafür ein, dass sein Wohnort für alle Menschen zugänglich ist. „Es hat sich hier viel getan in den vergangenen Jahren“, sagt er stolz.
Trotz einiger Kritikpunkt bleibt das erste Fazit positiv
Und wie schneidet der Bahnhof in Stendal ab? Er ist an diesem Tag das letzte Ziel. Was Daniela Waiß positiv auffällt: Im Bahnhofstunnel stehen mittlerweile alle Mülleimer nur auf einer Seite. „Wenn der Tunnel voll ist, sind das für mich zusätzliche Hindernisse. So ist es angenehmer.“ Die Toiletten sind für Marcus Graubner und seinen Rollstuhl breit genug, aber: „Es fehlt ein Sicherheitsknopf für Notfälle“, mahnt er an. Kritisch ist weiterhin, dass die Rampe ins Hauptgebäude noch nicht fertig ist. Die Behelfsvariante ist etwas steil.


Das Fazit fällt trotz einiger Kritikpunkte positiv aus. „Ich fahre gerne mit der Bahn. Die Mitarbeiter waren alle hilfsbereit und es war sicher“, sagt Marcus Graubner. „Mir sind die Abstände zwischen Bahn und Gleis zu groß. Das fällt mir besonders in Sachsen-Anhalt auf“, fügt Daniela Waiß hinzu.
Die Eindrücke wertet der Inklusionsbeirat nun aus und gibt sie dann an die Verantwortlichen weiter. „Was viele vergessen, Barrierefreiheit ist für alle. Jeder profitiert davon. Zum Beispiel Menschen mit Rollatoren oder Kinderwagen“, sagt Marcus Graubner.