Serie "Gibts das noch?": Jürgen Soisson erzählt vom Aussterben der Blindenbinde mit den drei Punkten Einfach aus der Mode gekommen
Schallplatte, Badekappe, Daumenkino - gibts das alles noch? Die Volks-stimme spürt in einer Serie selten gewordenen Dinge nach. Heute: Die Blindenbinde.
Von Nadin Hänsch
Stendal l Seit einigen Jahrzehnten scheint die gelbe Armbinde mit den drei schwarzen Punkten von der Bildfläche verschwunden zu sein. Nur sehr selten begegnet man noch einem Träger auf der Straße. Nun stellt sich die Frage, warum die Binde augenscheinlich vom Aussterben bedroht erscheint. Sicherlich findet sich die Antwort nicht in sinkenden Zahlen blinder und sehbehinderter Menschen. So bleibt zu vermuten, dass dem Verschwinden vielleicht modische Aspekte oder sogar eine geänderte Gesetzgebung zu Grunde liegen.
Die Armbinde können alle Behinderten tragen
Jürgen Soisson, Leiter der Beratungsstelle Stendal des Blinden- und Sehbehinderten- Verband Sachsen-Anhalt, erzählt, dass die als irrtümlich bezeichnete Blindenbinde den Namen Verkehrsschutzzeichen trägt und im Paragraphen zwei der Fahrerlaubnisverordnung erklärt ist. Demnach gelte die Armbinde nicht nur für Sehbehinderte und Blinde, sondern für alle behinderten Menschen, die sich nicht sicher im Verkehr bewegen können. Die Binde müsse nicht zwingend getragen werden, sagt Soisson. Blinde und Sehbehinderte können statt des Tragens der gelben Binde, an beiden Armen, auch mit einer Begleitperson oder mit einem Blindenführhund mit weißem Geschirr oder eben, wenn sie allein gehen, als Mobilitätshilfe mit dem weißen Stock am Straßenverkehr teilnehmen, damit sie sich selbst und andere nicht gefährden. Der Hauptgrund für das Verschwinden der Armbinde ist nach Angaben von Soisson auf die möglichen Alternativen zurückzuführen.
"Wir halten für unsere Mitglieder die Armbinden bei Bedarf bereit." Für drei Euro kann die gelbe Binde mit den drei schwarzen Punkten erworben werden. Zusätzlich werde für Blinde und Sehbehinderte eine spezielle Armbinde angeboten, auf der ein Mann mit einem Stock abgebildet ist.
Blinde bevorzugen weißen Stock
Soisson, der durch die Unfallfolgen beim Mienenräumen zu Zeiten des Kalten Krieges nach und nach sein Augenlicht verlor, benutze als Verkehrsschutzzeichen den weißen Stock. Dieser habe den großen Vorteil, dass damit die Beschaffenheit des Bodens und eventuelle Hindernisse besser erkannt werden können. So sei der Stock sehr gut für den Straßenverkehr geeignet. "Wenn man jedoch im Bus sitzt, dann sehen die Leute den weißen Stock nicht sofort, daher ist es günstiger, dort die Armbinde zu tragen, um so bei Problemen schneller Hilfe zu bekommen", sagt Soisson. "Die meisten Blinden und Sehbehinderten distanzieren sich von der gelben Armbinde. Es könnte ja beispielsweise jemand kommen und mir ins Ohr schreien, weil er denkt ich sei taub", sagt Soisson. "Schließlich symbolisiert die Armbinde ein Verkehrsschutzzeichen für alle Menschen, die im Behindertenausweis ein "G" stehen haben." Laut Soisson werden in der Beratungstelle durchschnittlich nur zwei bis drei Armbinden im Jahr verkauft. Nur zwei seiner 344 Mitglieder tragen seines Wissens nach die Armbinde.
Modebewusstsein und Angst vor Pöbeleien
Soisson sieht die Ursache darin, dass viele das Gefühl hätten, "die ganze Welt starrt einen an, wenn man sich kennzeichnet". Zudem hätten viele Angst, durch das Tragen einer gelben Binde, Gefahr zu laufen, angepöbelt zu werden.
"Nun stellen sie sich vor, sie hätten einen schönen Mantel an und sollen darüber auf beiden Armen eine gelbe Binde tragen." Selbstverständlich seien auch Sehbehinderte modebewusst, sagt Soisson. "Die einen mehr, die anderen weniger, wie es eben so bei den Menschen ist."
Der "größte Feind" der Blinden sind die Fahrradfahrer, sagt Soisson aus eigener Erfahrung. Im Gegensatz zu Autos, höre man sie nicht kommen und ohne erkennbare Armbinden könne es sehr schnell zu einem ungewollten Zusammenstoß und schweren Verletzungen kommen.