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80. Geburtstag Ein Leben für die Milchbar

Für viele ist Bärbel Festerlings Café Burgstraße seit fast 60 Jahren eine Institution in Wernigerode. Am Sonntag feiert sie 80. Geburtstag.

Von Julia Bruns 25.06.2017, 07:26

Wernigerode l Einst hieß es „Milchbar“, heute ist es das Café Burgstraße. Unzählige Kinder haben hier Fruchtmilch bestellt. Viele Sahnetorten sind hier über den Tresen gegangen. Als Bärbel Festerling hier zum ersten Mal bediente, kostete die Torte 90 Pfennig. „Das Café ist mein Leben. Hier fühle ich mich wohl“, sagt die heute noch 79-Jährige. Sie ist das Oberhaupt des Familienunternehmens in der Burgstraße 18 – und sie feiert am morgigen Sonntag ihren 80. Geburtstag. Dabei steht die Wernigeröderin gar nicht so gerne im Mittelpunkt. Für sie steht dort immer nur einer: der Gast.

Wenn „Tante Bärbel“ im Café Burgstraße hinter dem Verkaufstresen steht, ist sie glücklich. „Sie geht auch für ein Ei quer durchs Haus“, sagt ihre Tochter Beate Hoberg. „Sie ist mit dem Herzen dabei. Die Arbeit im Café ist ihre Berufung.“ Ihre Mutter führe das Personal auf eine „liebe Art, ohne dass Stress entsteht“. „Sie weiß immer, an welchem Tisch neue Gäste sitzen.“

Seit nunmehr 59 Jahren ist Bärbel Festerling gute Seele, leidenschaftliche Gastgeberin und herzliche Bedienung im Café Burgstraße. Bis heute bedient sie ihre Kunden mit Burgbrot, Mandarinen-Schmand-Kuchen und Apfeltaschen. „Viele meiner Freunde können gar nicht verstehen, dass ich in meinem Alter noch arbeite. Ich brauche das. Ich könnte nicht zu Hause sitzen und Däumchen drehen“, sagt sie. Warum sie im hohen Alter noch so fit ist? „Jeden Tag esse ich ein Stück Kuchen“, sagt sie und lacht.

Als Bärbel, die damals noch Schuhmacher hieß, 1952 ihre Lehre in der Konsum-Genossenschaft begann, habe sie ihre Berufung gefunden. „Ich habe schon als kleines Mädchen am liebsten mit dem Kaufmannsladen gespielt“, verrät sie. Ihr Ausbildungsbetrieb befand sich in der Westernstraße. In dem Laden werden heute Dessous verkauft. „Damals waren viele Lebensmittel noch lose. Für Zucker und Mehl gab es Lebensmittelmarken“, sagt sie.

Im Januar 1955, im Alter von gerade einmal 17 Jahren, stand sie als Gruppenlehrausbilderin vor 35 Lehrlingen in Ilsenburg. „Das war hart“, erinnert sie sich im Gespräch mit der Volksstimme. „Sie wollten viele Dinge wissen, auf die ich selbst keine Antworten hatte. Ich habe dann alles recherchiert.“

Dann fand sie Arbeit in der Burgstraße – und ging nie wieder. „Ins Café habe ich damals auch meine Tochter geschmuggelt“, verrät sie. Denn Bärbel war im Juni 1958 bereits schwanger. „Ich habe es lange verheimlicht“, sagt sie. Es wandte sich alles zum Guten. Das Mutter-Tochter-Gespann entschied nach der Wende, das Haus zu kaufen und in Eigenregie weiterzuführen. „Meine Tochter hat dafür ihren geliebten Beruf aufgegeben. Sie ist medizinisch-technische Assistentin“, sagt Bärbel Festerling. Sie rechnet ihr das Engagement bis heute hoch an.

Tochter Beate bringt Horst Hoberg ins Unternehmen. Der Marketingprofi richtet das Familienunternehmen neu aus. In der Backstube gibt Bärbels Enkel Markus den Ton an. Der Konditor kreiiert Hochzeitstorten und ausgefallene Brotsorten. Seine Frau Anja leitet den Service. Gemeinsam bereitet das Familienunternehmen das 60-jährige Bestehen im September vor. „Das werden wir groß feiern“, kündigt Bärbel Festerling an.

Mittlerweile lebt sie 77 Schritte entfernt von ihrem zweiten Zuhause in der Burgstraße. Vieles habe sich seit ihrem ersten Arbeitstag am 17. Juni 1958 in der Burgstraße 18 verändert. Zweimal wurde das Lokal umfassend renoviert. Das erste Mal 1992, und zuletzt 2004, als die obere Etage und der Innenhof ausgebaut wurden. „Wenn mein alter Chef aufwachen und das sehen würde – er wäre sprachlos“, ist sie überzeugt.

Ihr alter Chef – das war Herbert Springmann. Unter seiner Regie arbeitete Bärbel als Serviererin und stellvetretende Objektleiterin bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1980. Dann übernahm sie die Leitung. Gegenüber befand sich das Internat des heutigen Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums. „Die Schüler bestellten nur Tee, weil der gerade einmal 20 Pfennig kostete“, sagt sie. „Deshalb nannten wir sie die ‚Tee-Jungs‘.“ Herbert Springmann habe ihr damals nur 30 Teebeutel pro Tag gegeben. „Er hat sich darüber aufgeregt, dass die Jungs stundenlang die Tische besetzten.“ Denn die Milchbar war beliebter Treffpunkt für die umliegenden Arbeiter, so waren in unmittelbarer Nachbarschaft eine Versicherung und das Forstamt. Sie erinnert sich noch gut an die Bestellungen ihrer Stammgäste. „Der Brockenwirt Hans Steinhoff hat immer eine Eisschokolade bestellt“, sagt sie.

Arbeiten „müssen“ habe sie eigentlich nie. „Wenn Du etwas findest, das Du gerne tust, dann musst Du nie wieder arbeiten“, zitiert sie eines ihrer Lieblingssprichwörter. Mit den Leuten ins Gespräch kommen, dafür sorgen, dass sie sich bei ihr wohlfühlen, das ist ihre Welt. Und deshalb will sie noch lange hinterm Tresen stehen.