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Coronavirus Zweifel an Mundschutz in Harzer Klinik

Dr. Christian Algermissen, Chefarzt der Psychiatrie in Blankenburg, hat das Veto gegen das Tragen privat besorgter Schutzmasken bekräftigt.

Von Dennis Lotzmann 26.03.2020, 03:00

Blankenburg l Dr. Christian Algermissen, der Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Harzklinikum in Blankenburg, steht weiter zu seiner am Freitag getroffenen Entscheidung, das Tragen von privat beschafften Mund-Nasen-Schutz-Masken in seiner Klinik zu untersagen. „Wir diskutieren ständig unsere Hygienemaßnahmen. Aktuell auch ergänzenden Infektionsschutz und die Frage, ob verfügbare textile Masken für alle ein geeigneter Schutz wären. Ich glaube das nicht“, so der Chefarzt am Mittwoch auf mehrfache Nachfrage der Volksstimme.

Der Mediziner begründet dies zum einen damit, dass weder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) noch das Robert Koch-Institut (RKI) derartige Maßnahmen empfehlen würden. Zum anderen befürchte er für seinen Verantwortungsbereich auch gegenteilige Effekte: „Wenig wirksame Masken führen vor allem zu einer psychologischen Beruhigung, jedoch oftmals auch zur Verminderung von belegt wirksamem Infektionsschutz durch Distanz, Händewaschen und Desinfektion.“

Etwas anderes sei, dass Patienten, die derzeit unspezifische Erkältungssymptome zeigten, die gebotenen Mund-Nasen-Schutzmasken tragen, auch wenn die Symptome nicht Covid-19-typisch seien. „Dies ist sinnvoll, um das Risiko einer Ansteckung anderer Personen durch die größtmögliche Zurückhaltung von Tröpfchen zu verringern“, so Algermissen. Auch bei Mitarbeitern mit einfachen Erkältungssymptomen werde „niederschwellig und frühzeitig geprüft, ob sie mit den standardisierten Mund-Nasen-Schutzmasken im Dienst bleiben oder vom Dienst freigestellt werden können“. Reiserückkehrer seien entsprechend der Vorgaben erst gar nicht im Dienst.

Damit reagiert Algermissen auf die am Wochenende in seiner Klinik hochgekochte und öffentlich gewordene Diskussion um privat beschafften Mundschutz. Ein Mediziner hatte Kollegen mit derartigen Stofftüchern versorgt. Das Ansinnen: Selbst wenn derartige Tücher nicht zertifiziert seien, könnten sie im Klinikalltag und dem damit zwangsläufig verbundenen sehr direkten Körperkontakt für einen zusätzlichen Schutz sorgen. Und wenn es nur eine mechanische Barriere sei, um Mund- und Nasenpartie vor der direkten Berührung mit kontaminierten Händen zu schützen.

Derartige Ratschläge, auf die die Klinikmitarbeiter in Blankenburg unter anderem setzten, kommen nicht von ungefähr. Auch Experten und Virologen sehen die Gefahr, dass Menschen mit Viren behaftete Klinken oder andere Gegenstände berühren und sich anschließend unbewusst ins Gesicht fassen und so Schmier-infektionen mit dem gefährlichen Coronavirus riskieren.

Letztlich, so der Tenor auch unter der Blankenburger Belegschaft, sei eine nichtzertifizierte Stoffbarriere vor Mund und Nase immer noch besser als gar keine. Dies auch vor dem Hintergrund, die Gesundheit von Patienten und Mitarbeitern zu schützen und in der aktuellen Infektionsphase möglichst lange einsatz- und arbeitsfähig zu bleiben.

In diesem Punkt unterstützt auch Klinik-Betriebsrat Dirk Strobl die Blankenburger Belegschaft: Er verwies am Montag gegenüber der Volksstimme auf das Selbstbestimmungsrecht der Mitarbeiter. So sei es jedem selbst überlassen, wie er sich schützen möchte. Ein Arbeitgeber könne ihm dies nicht verbieten.

Inhaltlich bestätigt sehen sich die Blankenburger Klinikmitarbeiter obendrein von Forderungen des ärztlichen Direktors der Uniklinik Magdeburg, die die Volksstimme am Samstag publiziert hatte. Laut Prof. Dr. Hans-Jochen Heinze besteht im Uniklinikum inzwischen eine Schutzmaskenpflicht, wenn Mitarbeiter und Patienten Kontakt haben. Mehr noch: Heinze hatte auch dafür plädiert, die gesamte Bevölkerung mit Mund-Nasen-Schutz auszustatten.

Wie Heinze vor diesem Hintergrund die vorsorgliche Nutzung des Stoff-Mundschutzes in der Blankenburger Klinik bewertet, blieb am Mittwoch zunächst offen. Eine Anfrage der Volksstimme blieb unbeantwortet.

Chefarzt Algermissen sieht bei jenem selbstgefertigten Mundschutz keine Vorteile. „Bei medizinisch begründetem Verdacht auf eine Covid-19-Erkrankung ist im Patientenkontakt eine spezielle Personenschutzausrüstung erforderlich. Diese steht neben den vorgeschriebenen Masken der FFP-Schutzklassen auch in unserer Klinik zur Verfügung. Zurzeit können wir uns in allen Aspekten konform zu den Hygiene-Regeln im Harzklinikum und den Vorgaben durch das Robert-Koch-Institut verhalten“, betont er. Allerdings schränkt der Mediziner ein: „Wir alle wissen nicht, ob dies auf Dauer genügt und welche Empfehlungen aus den aktuellen Erfahrungen mit dem Coronavirus kurzfristig entstehen werden und ob und wann wir derzeitige Bewertungen überdenken müssen.“

Auf die Nachfrage, ob nicht Mitarbeitern – gerade in medizinischen Einrichtungen – zugestanden werden müsse, vorsorglich einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, wenn sie dies für sich persönlich als wichtig und richtig erachten, erklärt der Chefarzt: „Auch für medizinische Einrichtungen gilt, dass das generelle Tragen von Mund-Nasen-Schutz keine nachgewiesen wirksame Infektionsschutzmaßnahme ist. Das Robert-Koch-Institut weist in einer aktuellen Stellungnahme ausdrücklich darauf hin, dass das Risiko einer Ansteckung für eine gesunde Person durch einen Mund-Nasen-Schutz nicht signifikant verringert wird.“ Mehr noch: Laut WHO könne das Tragen einer solchen Maske ein falsches Sicherheitsgefühl erzeugen, erklärt der Psychiater.

Allerdings verweist Algermissen auf mögliche Problemsituationen, in denen zum Beispiel eine längere Unterschreitung des Mindestabstandes aus medizinischen Gründen nicht zu vermeiden sei. „Aber auch dann“, so der Chefarzt, „ist es im Krankenhaus zwingend, solange es irgend geht, nur zugelassene Medizinprodukte zum Arbeits- und Patientenschutz mit festgelegten Verfahrensweisen einzusetzen. Letzteres war maßgeblich für meine hier kritisierte Entscheidung.“ Laut Chefarzt verfügt das Harzklinikum derzeit über „einen ausreichenden, vielleicht auch vergleichsweise guten Bestand an Schutzmitteln“.

Christian Algermissen war in den vergangenen Tagen unter anderem öffentlich in die Kritik geraten, weil er auf mehrere Anfragen der Volksstimme über mehrere Tage hinweg nicht reagiert hatte. Konkret hatte die Volksstimme, nachdem sie am Samstag von den Vorgängen in der Psychiatrischen Klinik Kenntnis erhalten hatte, noch am Samstag Kliniksprecher Tom Koch kontaktiert und um Aufklärung gebeten.

Eine vom Kliniksprecher daraufhin für Montag angekündigte Stellungnahme des Chefarztes blieb am Montag aus. Stattdessen gab es von ihm grundsätzliche Fakten auf Basis der RKI-Empfehlungen. Obwohl diese Angaben in der Berichterstattung der Volksstimme Erwähnung fanden, gab es anschließend massive Kritik seitens der Klinikleitung an der Berichterstattung der Volksstimme. Ein Vorwurf: Der Chefarzt werde öffentlich diskreditiert. Erst am Mittwoch äußerte sich Christian Algermissen erstmals gegenüber der Volksstimme.