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"Neue Fassaden – alte Geschichten" (Teil 23) / Schöne Ecke 15 Einstige Handwerker-Herberge empfängt heute noch Gäste

Von Andreas Fischer 08.09.2010, 04:16

In der Serie "Neue Fassaden –alte Geschichten" stellt die Harzer Volksstimme historisch interessante Häuser in Wernigerode vor. Mit diesem Thema haben sich auch Heimatforscher wie Dr. Uwe Lagatz und Mitarbeiter der Oskar Kämmer Schule, unterstützt von der KoBa, befasst. Ihre Erforschung fließt in die Beschreibungen mit ein. Der Rundgang führt heute zur Schönen Ecke 15.

Wernigerode. Als Gaststätte ist "Zur schönen Ecke" allgemein bekannt, weniger jedoch, dass sich dort, außerhalb der Wernigeröder Stadtmauer, einst eine Handwerkerherberge befunden hatte. Sie nannte sich seit 1770 "Zum Goldenen Engel". Nach dem Ersten Weltkrieg eröffnete Wilhelm Bauder in dem Gebäude die Gaststätte und Pension "Zur Klause". Er führte sie bis zum Zweiten Weltkrieg.

Heinz Baum und seine Frau Käthe inserierten in der lokalen Presse, die Neueröffnung der Gaststätte "Schöne Ecke" zum 19. Mai 1965. Noch heute spricht man in der Stadt über das gepökelte Eisbein, das dort meisterlich zuzubereitet wurde. Am 7. März 1983 eröffnete Bernd Both als neuer Wirt das Gasthaus am Zillierbach. Soljanka mit Brot für 1,45 Mark sowie Leber, Kartoffelpüree und Beilage für 2,30 Mark standen damals bei ihm auf der Speisekarte.

Gebäude wurde im Jahre 1720 erbaut

Das Haus wurde um 1720 errichtet. Das Gebäude erhebt sich auf Blaustein. Das untere Stockwerk besitzt neben einer rund zwei Meter breiten Durchfahrtstür rechts drei und links ein Fenster. Die Gefache im Obergeschoss sind mit Ziegeln ausgemauert. Im Obergeschoss befinden sich drei Schleppgauben, die beim ursprünglichen Hausbau noch nicht mit entstanden waren.

Nur sehr alte Menschen wissen aus eigenem Erleben, dass sich hinter dem Gaststätten-gebäude bis 1930 ein Kino befand, der Kinemathografensaal "Germania". Beide Gebäude sind jetzt durch einen Zaun getrennt. Im Stadtarchiv ist nachzulesen, dass mit dem Zeigen von Filmen nicht nur Unterhaltung geboten wurde, sondern die Behörden zusätzliche Arbeit bekamen. Schriftstücke belegen dies.

Der Königliche Landrat des Kreises Grafschaft Wernigerode bekam beispielsweise 1909 einen Brief des Regierungspräsidenten aus Magdeburg. Es wurde über die immer zahlreicher werdenden Kinemathegraphentheater Beschwerde geführt, die "mit Vorliebe Bilder pikanten Inhalts" zeigten. Der "hochwohlgeborenen Polizeiverwaltung" wurde angewiesen, "diese Theater regelmäßig zu überwachen und gegen anstössige Darbietungen durch untersagende polizeiliche Verfügung einzuschreiten".

1919 beschwerte sich der damalige Landrat beim Innenminister und forderte "energische Maßnahmen gegen die weitere Vergiftung der Volksseele durch Kinoschund". Auch die Kino-Konkurrenz schaute nicht untätig zu.

Kino wegen anstößiger Filme in der Kritik

So ist im Stadtarchiv ein Bericht der Gemeindeverwaltung Nöschenrode an den Landrat aus dem Jahre 1912 aufbewahrt, in dem es um den Streit des Kinematographenbesitzers "Germania" und des Besitzers des Walhalla-Tonbildtheaters wegen der vermeintlichen Aufführung verbotener Filme geht. Anfang der 30er Jahre musste das "Germania" schließen. Neben der allgemeinen Wirtschaftslage hatten Baumängel, die angezeigt worden waren, zum Ende geführt. Damit begann der schleichende Verfall des Kinogebäudes.

Den Grundstein für die Erhaltung hatte Heinz Baum gelegt, als er das Dach erneuern ließ. Mit Gründung seines Ma-lerbetriebes 1989 begann Peter Baum in kleinen Schritten mit der Rekonstruktion, um die Räume unter anderem auch als Lager nutzen zu können.

2006 stieß der Malermeister mit 130 Gästen im restaurierten Saal auf seinen 60. Geburtstag an. Der historische Kinosaal war zu neuem Leben erwacht. Galerie, Vorführraum mit drei Löchern für die Projektoren auf der Empore sowie Zuschauerraum mit Gewölbedecke blieben erhalten. Zu se-hen sind aber auch unsanierte Flächen, um so frühere Schäden zu verdeutlichen. Ausgestellt sind u. a. Fundstücke aus der Bauzeit des Kinos, eine Zeitung von 1904 und Isolatoren.

Nach jahrelangem "Dornröschenschlaf" dient das Gebäude nun dem Malermeister als Lager und Werkstatt und manchmal auch als Tanzsaal für seine Familie und den gro-ßen Freundeskreis sowie als Kino. Dann werden in privater Runde zum Erinnern alte Filme gezeigt.