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Fußball Von Langel­n bis an die White Hart Lane

Hans-Bert Matoul: Er ist einer der größten Fußballer, den die Region hervorgebracht hat.

Von Ingolf Geßler 02.06.2020, 10:50

Wernigerode l  158 Mal spielte Hans-Bert Matoul in der Oberliga – der höchsten Fußballliga der damaligen DDR –, erzielte 61 Tore und holte sich in der Saison 1973/74 als einziger Harzer die Torjägerkanone. Heute feiert der frühere Vollblutstürmer seinen 75. Geburtstag, aus diesem Anlass besuchte Volksstimme-Redakteur Ingolf Geßler den dreimaligen Nationalspieler.

Zwei Langelner sind unter sich bei diesem Gespräch, denn auch Hans-Bert Matoul stammt aus dem kleinen Nordharzort. Durch die Evakuierung großer Teile des Ruhrgebiets 1944 verschlug es seine Eltern aus Neuss nach Mitteldeutschland, im Nordharz bauten sich Matouls mit einer Bäckerei eine neue Existenz auf. Und am 2. Juni 1945 kommt hier Hans-Bert in seinem Elternhaus zur Welt.

Der gemeinsame Heimatort weckt die Erinnerungen an die Anfänge seiner Fußballkarriere. Unter seinem Vater Hans beginnt Hans-Bert bei der damaligen BSG Traktor Langeln mit dem Fußballspielen – und das auf einer vollkommen anderen Position, die ihn später zum Nationalspieler machte. „Bis 15 war ich im Tor. Dann hatte ich die Faxen dicke, weil die vorn keine Tore geschossen haben und ich hinten die Bälle halten musste. Ich wollte Torwart werden, habe früher als kleines Kinder im Garten trainiert, mir Pfosten gebaut.

In der Scheune habe ich im Stroh geübt, richtig zu springen. Torwart war für mich das große Ziel“, erinnert sich Hans-Bert Matoul an seine Kindheit. „Mein Enkel Fin-Ole, der zehn Jahre ist, steht auch im Tor und ist dann mal raus gegangen: ,Ich konnte es nicht mehr mit ansehen, ich musste alles halten und keiner hat ein Tor geschossen“, fühlte sich Hans-Bert bei den Worten seine Enkels an die Anfänge seiner Karriere erinnert.

Das Talent von Hans-Bert Matoul als Angreifer bleibt nicht unentdeckt. Die BSG Chemie Leipzig, zwei Jahre zuvor Meister der DDR-Oberliga, wird auf den 1,83 Meter großen Harzer aufmerksam. Zum Langelner Schützenfest bestreiten die Leipziger als aktueller DDR-Vizemeister ein Freundschaftsspiel bei der BSG Traktor, um sich im direkten Duell einen Eindruck von seinen Torjägerqualitäten zu verschaffen. „Ich habe dann noch für Langeln gespielt, der Gegner wollte sich das genau angucken“, berichtet Matoul.

Zur Saison 1965/66 wechselt er dann zur BSG Chemie. „Wir kamen im November noch einmal zurück, um in Langeln zu heiraten“, erinnert sich Hans-Bert Matoul, „unsere Tochter Conny war ja achon unterwegs und kam dann in Leipzig zur Welt“. Bei den gemeinsamen Erinnerungen an seine Frau Angelika ist Hans-Bert Matoul anzumerken, wie schwer ihm der Abschied von seiner „Liebe des Lebens“ fiel. Über 50 Jahren waren die beiden glücklich verheiratet, als seine Ehefrau im Herbst 2018 nach schwerer Krankheit verstarb.

An seine Anfänge in Leipzig erinnert er sich noch genau. „Ich habe erst allein in einem Zimmer gewohnt, später bekamen wir eine Wohnung. Anfangs habe ich auch in Leipzig morgens für zwei, drei Stunden als Konditor noch in der Bäckerei gearbeitet, das ging aber nur ein halbes Jahr“, erzählt der Jubilar. „Die haben auch erst mal geschaut: ,Wie macht der sich? Schießt der Tore? Danach waren das schon perfekte Bedingungen.“ Und schon im ersten Jahr feiert der Angreifer einen seiner größten Erfolge. Die BSG Chemie Leipzig gewinnt mit einem 1:0-Finalsieg in Bautzen gegen Lokomotive Stendal den FDGB-Pokal, Schütze des Siegtores: Hans-Bert Matoul.

Sechs Jahre spielt er für die BSG Chemie, ehe er nach seiner Armeezeit eigentlich zu Union Berlin wechseln wollte. „Ich hatte Union schon zugesagt, aber das haben sie erst gar nicht zugelassen. ,Herr Matoul, machen Sie sich keine Sorgen, sie können sofort zu Lok Leipzig gehen‘, wurde mir im Zentralstadion gesagt. Da hatte man gar keine andere Wahl. Und am Ende war es das beste, was ich machen konnte“, erinnert sich der Harzer an den Beginn der erfolgreichsten Zeit in seiner Fußballkarriere.

„Ich hatte starke Mitspieler wie Henning Frenzel, „Männe“ Geißler, Rainer Lisiewicz oder Wolfram Löwe, mit dem ich vorn sehr gut zurecht kam. Der brauchte auch immer einen, der ihn in den Hintern tritt. Dazu Torwart Werner Friese, der aus Dresden kam, und natürlich in der Verteidigung Achim Fritsche, der auch heute noch ein sehr guter Freund ist, den ich ab und an sehe“, so Matoul.

Der 1. FC Lok Leipzig spielt Anfang der 1970er Jahre in den oberen Tabellenregionen mit, „wir waren nah dran an der Spitze“, erzählt Matoul. Die erfolgreichste Saison – auch für Hans-Bert Matoul – folgt 1973/74. Im UEFA-Cup spielen sich die Leipziger bis ins Halbfinale, werfen dabei hochkarätige Mannschaften wie die Wolverhampton Wanderers, Fortuna Düsseldorf und Ipswich Town aus dem Wettbewerb. Auch Hans-Bert Matoul hat daran maßgeblichen Anteil, daran erinnert auch sein großes, rot eingebundenes Buch mit den Zeitungsausschnitten aller Europapokal-Spiele. „Das Leipziger Idol Hans-Bert Matoul zerbrach Wolverhampton“ titelte die englische Tageszeitung „Daily Express“ am 25. Oktober 1973, als er an einem denkwürdigen Abend zwei Treffer zum 3:0-Heimsieg des 1. FC Lok beisteuert. Das Rückspiel geht zwar mit 1:4 verloren, dennoch ziehen die Leipziger in die nächste Runde ein.

Vor dem Achtelfinale gegen bei Fortuna Düsseldorf warnt die Fachzeitschrift Kicker: „Leipzigs Müller heißt Matoul“. Der Mittelstürmer trifft per Foulstrafstoß zur 0:1-Führung, nach der Pause dreht die Fortuna das Spiel im heimischen Rheinstadion und siegt 2:1. Im Leipziger Zentralstadion geht Düsseldorf dann aber mit 0:3 unter.

Aus dem Titelrennen um die DDR-Meisterschaft hat sich Lok zwar früh verabschiedet, doch international sind sie nicht zu bremsen. Im Viertelfinale wird mit Ipswich Town erneut ein Premier-League-Club ausgeschaltet. Im Elfmeterschießen behält der DDR-Oberligist mit 4:3 die Oberhand, Matoul verwandelt als erster Elfmeterschütze. Im Halbfinale geht es zum dritten Mal gegen Engländer, diesmal Tottenham Hotspurs. Das Hinspiel geht trotz eines Matoul-Treffers mit 1:2 verloren, mit einer 0:2-Niederlage an der legendären White Hart Lane platzt der Traum vom Finale.

Für Hans-Bert Matoul nicht der letzte internationale Einsatz. Seine Tore bleiben auch Nationaltrainer Georg Buschner nicht verborgen, im Vorfeld der Weltmeisterschaft 1974 absolviert Matoul seine ersten Länderspiele. Einem 4:0 gegen Tunesien (in Tunis) folgt in Algier ein 3:1 gegen Algerien, bei dem Hans-Bert Matoul per Elfmeter das zwischenzeitliche 2:0 erzielt. Der 1:0-Sieg gegen Belgien am 13. März im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Berlin bleibt sein letztes Länderspiel. Obwohl er mit 20 Saisontreffern Torschützenkönig der DDR-Oberliga wird, fährt er nicht mit zur WM in die BRD.

Zu diesem Zeitpunkt war schon klar, dass er nach der Saison Lok Leipzig verlässt, um die Bäckerei seines Vaters in seinem Heimatort Langeln zu übernehmen. „Ich war ja schon auf dem Weg nach Hause. Wenn die mich mitnehmen wollen, können sie das machen. Aber ich fahre jetzt schon nach Hause. Wenn ich doch benötigt werde, komme ich“, sagte Matoul. „Weil ich noch auf Abruf stand, kam extra ein Trainer aus Magdeburg, um mich fit zu halten.“

Zurück in seinem Heimatort, übernimmt er mit seinem Vater Hans als Trainer die Männermannschaft der BSG Traktor Langeln und führt sie in einer eindrucksvollen Saison zum Kreismeistertitel. Bis auf drei Unentschieden werden alle Spiele gewonnen, Matoul selbst steuert über 60 Tore bei. „Die Mannschaft hat damals sehr gut mitgezogen, sonst wären wir da nicht hingekommen. Ob vom Laufen oder auch spielerisch, jeder wollte gern rein in die Mannschaft. Ich war richtig stolz auf das, was wir damals erreicht haben“, erinnert sich Hans-Bert Matoul an die Aufstiegssaison.

Im Spieljahr darauf setzt sich die Erfolgsserie der Traktor-Fußballer fort, zur Halbserie führen die Langelner die Tabelle der Bezirksklasse an. Dann wechselt Hans-Bert Matoul zur BSG Einheit Wernigerode, spielt auf dem Mannsberg bis 1980 noch erfolgreich in der DDR-Liga. Bei den Hasserödern war er zum Anfang noch Mittelstürmer, später agiert er, wie schon in Langeln, als Libero aus der Abwehr. „Da konnte man das Spiel perfekt aufziehen, und meine Tore, die ich schießen wollte, konnte ich nach Doppelpässen oder Flanken auch noch machen“, blickt Hans-Bert Matoul auf die letzten Jahre seiner aktiven Karriere zurück.

Nach einer Knie-OP in Leipzig beendet er seine Karriere, kam danach aber als Trainer wieder an den Mannsberg zurück. Nur ein Jahr später führt er Einheit Wernigerode in die DDR-Liga zurück, wo die Hasseröder bis zur Neustrukturierung dieser Spielklasse im Jahr 1984 – aus fünf wurden zwei Staffeln – spielen. „Danach bin ich mit 40 Jahre noch einmal nach Leipzig zurück gegangen. Mit Chemie und der TSG Markleeberg haben wir in der DDR-Liga gespielt“, berichtet Hans-Bert Matoul von seinen nächsten Aktivitäten auf der Trainerbank. „Da hat man sofort eine Wohnung bekommen, direkt am Stadtrand, gerade neu gebaut“, erinnert sich Matoul. Nach weiteren Trainerstationen in Gera und beim 1. FC Wernigerode verabschiedet sich Hans-Bert Matoul in den sportlichen Ruhestand.

„Ich bin zufrieden. Ich bin Torschützenkönig geworden, ich bin mit Chemie Leipzig Pokalsieger geworden, habe drei Länderspiele gemacht – was will man denn mehr. Und es waren schon schöne Zeiten. Heute muss man als Fußballer viel mehr aufpassen, wir haben schon das ein oder andere Mal gefeiert“, blickt Hans-Bert Matoul rundum zufrieden auf seine Fußballerkarriere zurück.

Privat hat Hans-Bert Matoul an seinem Grundstück in Wernigerode mit Ferienwohnung und vermieteten Bungalow reichlich Arbeit, das hält ihn auch mit seinen 75 Jahren fit. Und das soll auch noch eine Zeit so bleiben: „Ich wollte immer mal gerne 90 werden, so wie mein ,Oki‘, der war so etwas wie mein Opa, als ich nach Langeln kam.“ Seine beiden Kinder Conny und Hans-Bert wohnen zwar in Dresden bzw. München, waren aber gerade in der zuletzt schwierigen Zeit für ihn da. Und auch der ein oder andere ehemalige Fußballkamerad, allen voran Lothar Jänicke, lassen sich bei Hans-Bert Matoul blicken. Zu seinem heutigen Jubiläumstag dürfte es garantiert der ein oder andere mehr sein...