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Klimabilnaz Misstöne um Chorfestival in Wernigerode

Wernigerode schmückt sich mit internationalem Chorfestival und Nachhaltigkeitspreis. Ein Widerspruch? Die CO2-Bilanz des Festes ist immens.

Von Ivonne Sielaff 18.12.2019, 13:08

Wernigerode l Sie kommen aus Hongkong, aus Bolivien, Malaysia – und aus vielen anderen Regionen rund um den Erdenball – die Teilnehmer des Johannes-Brahms-Chorfestivals. Allein auf der Hinreise nach Wernigerode haben die Teilnehmer von 2019 mehr als zwölf Millionen Flugkilometer zurückgelegt. Dazu kommen mehr als 100.000 Bahn-kilometer. Das entspreche rechnerisch einem Kohlendioxid-Ausstoß von 4671 Tonnen. Zum Vergleich: Die durchschnittliche CO2-Bilanz eines Deutschen liegt bei acht Tonnen im Jahr.

Diese Rechnung hat Sabine Wetzel (Bündnis 90/ Die Grünen) in der Dezember-Sitzung des Stadtrats aufgemacht. Die Klimaschädlichkeit des Festivals sei sehr hoch. Diese Belastung müsse kompensiert werden, fordert die bündnisgrüne Fraktionschefin. „Die Folgekosten für die nachfolgenden Generationen dürfen nicht einfach weiter vererbt werden.“

Deshalb soll Wernigerode CO2-Kompensationszahlungen nachweisen. Die Stadt soll eine „ehrliche“ Kostenaufstellung akzeptieren und dafür sorgen, dass gezahlt wird, so Wetzel. Schließlich schmücke sich die Stadt mit einem Nachhaltigkeitspreis. „Als Ausrichter sollten wir längst damit befasst sein.“ Gerettet werden könne das Weltklima damit nicht. „Aber wir können einen kleinen Beitrag leisten.“

Ihr Vorstoß kam nicht von ungefähr. Schließlich stand die Entscheidung für die finanzielle Beteiligung der Stadt am nächsten Chorfestival 2021 kurz bevor. Wernigerode richtet den internationalen Gesangswettstreit zusammen mit dem Verein Interkultur aus. Die Gesamtkosten für die Stadt von 77.500 Euro werden über Fördergeld, Spenden und Sponsoring gedeckt. Aus der Stadtkasse sollen 14.500 Euro fließen.

Mögliche CO2-Kompensationszahlungen würden noch draufkommen – und das in nicht unempfindlicher Höhe, wie Christian Linde (CDU) schnell mal überschlug. Das Votum des Stadtrats vorausgesetzt würden bis zu 90.000 Euro zusammen kommen, die die Veranstalter und Chöre aufbringen müssten.

Wetzels Idee stieß erst einmal nicht generell auf Ablehnung. So fand Matthias Bosse (SPD) den Vorschlag „sehr sympathisch“. „Wir stehen dem nicht negativ gegenüber.“ Ihm fehlten allerdings die Hintergründe und er empfahl eine eingehendere Diskussion in den Fachausschüssen.

Thomas Schatz (Die Linke) fand die Anregung „nachdenkenswert“. Es gehe bei Brahms nicht mehr nur um das „ästhetische Empfinden des Gesangs. Die Klimakosten gehören dazu. Wir müssen darüber nachdenken, welche Auswirkungen unsere Aktivitäten auf das Klima haben – so schön sie auch sind.“ Auch Siegfried Siegel (SPD) sperrte sich nicht gegen die Idee. „Es gibt keine Gründe, das zu verweigern. Es geht lediglich um die Darstellung der Emissionskosten. Wie wir damit umgehen, das wird sich zeigen.“

Selbst Sozialdezernent Rüdiger Dorff zeigte Sympathie für Wetzels Vorschlag. Er tat sich allerdings mit der Umsetzung schwer. „Das ist ein internationaler Wettbewerb“, so Dorff. „Wir können nicht zum Veranstalter Interkultur sagen: Ihr dürft nur mitmachen, wenn alle Ausgleichzahlungen leisten.“ Wie würden die Chöre und der Förderverein Interkultur reagieren? Damit werde „ein eigentlich schönes Ereignis“ nicht gerade verbessert. Dennoch schlug Dorff einen Kompromiss vor. „Die Stadt nimmt Kontakt zum Veranstalter und zu den Teilnehmern auf mit dem Ziel, eine höchstmögliche Ausgleichszahlung zu erreichen.“ Wenn Interkultur dann vor der Entscheidung stehe, abzuspringen, werde es eben keine Zahlung geben. Aber der Veranstalter sei „ein Kind der Zeit und wird das irgendwo mit uns thematisieren“.

Ein Kompromiss, mit dem die Initiatorin Sabine Wetzel leben könnte. Heftiger Gegenwind kam allerdings von der CDU. Hagen Bergfeld sieht finanziell ein „unberechenbares Risiko“ für die Stadt. Den Chören falle es schon schwer, die Reisekosten zu leisten. „Das ist Wahnsinn“, entfuhr es Fraktionskollege Matthias Winkelmann. Der Wettbewerb sei ein Aushängeschild für die Stadt. Es gehe um Völkerverständigung. „Das können wir doch nicht alles zum Teufel jagen. Dann sitzen wir irgendwann wieder wie die Neandertaler und klopfen auf Stein.“ Angela Gorr (CDU) warnte vor einem „Stochern im Nebel“. „Wir kennen die Komplexität und die Summen nicht.“ Sie riet, das Thema im Zusammenhang mit der Ökobilanz der Stadt zu diskutieren.

André Boks (SPD) störte sich vor allem an der Kurzfristigkeit des Grünenvorschlags. Ein solches Kernanliegen hätte man im Vorfeld ausführlich diskutieren können und nicht kurz vor der Beschlussfassung.

Cary Barner (CDU) bat „innig“ darum, das „wunderbare Festival“ nicht durch Klimaschutz zu zerreden. Das Thema sei wichtig. Aber sie befürchte, dass Interkultur die Teilnehmergebühren für die Chöre noch höher ansetzt, als sie schon sind. „Und dann kommt keiner mehr.“

Auch Verwaltungschef Peter Gaffert (parteilos) sieht den Wettbewerb in Gefahr. „Es wäre bitter, wenn das Festival dadurch nicht stattfinden könnte.“ Er wolle das Thema nicht wegdrücken. „Aber wir können es so spontan und ohne unsere Partner nicht lösen.“ Dass man sich damit beschäftigen müsse, sei „unstrittig“, so der OB. „Es geht nur mit Interkultur zusammen. Wir müssen schauen, wie wir da mittelfristig zu einer Lösung kommen.“ Denn Beschluss über die Finanzierung des Wettbewerbes wolle er allerdings nicht vom Ansinnen der Grünen abhängig machen.

Sabine Wetzels Vorschlag fiel letztlich relativ knapp mit 14 Ja- zu 18 Nein-Stimmen bei zwei Enthaltungen durch. Gleichzeitig gaben die Stadträte grünes Licht für den städtischen Anteil von 14.500 Euro an den Gesamtkosten des Festivals. Das heißt, die Weichen für das Brahms-Chor-Festival 2021 sind gestellt. Allerdings ohne ein Zeichen für den Klimaschutz zu setzen.