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Pandemie Harzer rüsten sich gegen Corona

Das Corona-Virus bedeutet Einschnitte - nun auch im Harz. Wie wirkt sich die Pandemie auf Altenpflege, Tourismus, Wirtschaft und Kultur aus?

12.03.2020, 23:01

Wernigerode (dl/ii/kl/kr/mg) l Der Krisenstab im Wernigeröder Rathaus beobachte die aktuelle Lage genau, heißt es von Sprecher Tobias Kascha. Aber: Eine Schließung der Kindereinrichtungen wie in Halle und seit Donnerstag auch in Gernrode sei bislang nicht vorgesehen. In Gernrode wurde bei einer Mitarbeiterin ein Test auf das Corona-Virus veranlasst – Oberbürgermeister Frank Ruch (CDU) schloss daraufhin die Einrichtung – mindestens bis zum Vorliegen eines Testergebnisses. Anders in Wernigerode: „Es gibt hier noch keinen Corona-Fall“, so Kascha. „Wir halten es nicht für richtig, die Kitas rein prophylaktisch zu schließen.“

Wernigerodes Stadtverwaltung bereitet sich indes auf den Ernstfall vor. „Wir prüfen, welche Verwaltungsbereiche mit wie vielen Mitarbeitern besetzt sein müssen, damit sie laufen“, so Kascha. Gleichzeitig würden die technischen Voraussetzungen geschaffen, damit Mitarbeiter notfalls von zu Hause aus arbeiten können.

Eine weitere Baustelle ist nach wie vor der Internationale Klavierwettbewerb „Neue Sterne“, der vom 29. März bis zum 5. April in Wernigerode geplant ist. Tobias Kascha: „Wir werden sehen, wie die Lage am Montag ist und dann entscheiden, ob der Wettbewerb in der Form stattfinden kann.“ Bisher hieß es aus dem Rathaus, der Wettstreit werde nicht abgesagt, man liege unter der 1000-Besucher-Grenze. Zum Wettbewerb haben sich 64 Pianisten aus 24 Ländern angemeldet.

Auch die Walpurgisfeier in Schierke am 30. April droht zu kippen. OB Peter Gaffert (parteilos) habe sich mit dem Veranstalter, der Wernigerode Tourismus GmbH (WTG), ausgetauscht. „Wir haben noch nichts entschieden“, so Kascha. Die Frist für das amtliche Verbot von Großveranstaltungen ende vor Walpurgis. Dennoch sei der Kartenvorverkauf seit Mittwoch, 11. März, vorerst ausgesetzt, informiert WTG-Vize Roman Müller. Noch sei nicht abzusehen, wohin sich die Situation entwickele. „Wir wollen jetzt aber noch nicht absagen. Wir haben ein bisschen Hoffnung.“ Laut Müller soll die Entscheidung Anfang April fallen.

Anders in Thale: Dort hat Bürgermeister Thomas Balcerowski entschieden, dass Walpurgis abgesagt wird. „Wir werden diese Krise kurzfristig nicht lösen. Es geht um Sicherheit, Vorsorge und das Unterbrechen von Übertragungsketten“, so der CDU-Politiker. Letztlich wäre es auch fatal, angesichts der ungewissen Gesamtsituation jetzt vertragliche Verpflichtungen einzugehen. Deshalb die Absage. Wenn überhaupt, sei maximal Walpurgis-Light denkbar. Geschlossen werde ab Montag, 16. März, auch die Bodetal-Therme.

Eine Absage der von der WTG organisierten Kulturveranstaltungen mit weniger als 1000 Besuchern steht nach Roman Müllers Worten dagegen noch nicht zur Debatte. „Wir halten uns auf dem Laufenden und müssen die Anordnungen und Auflagen des Landkreises berücksichtigen“, so Müller. Künstler hätten bislang nicht abgesagt. Auf dem Veranstaltungsplan stünden in den nächsten Tagen Ulla Meinecke, Markus Lanz, Cavemann und Vicky Leandros.

Sorge bereitet dem WTG-Vize aktuell die Tourismusbranche. Die Corona-Krise wirke sich „dramatisch“ aufs Hotel- und Gaststättengewerbe in Wernigerode aus. „Ich kann noch keine konkreten Zahlen nennen, aber die Tendenz ist klar da“, so Roman Müller. Viele Übernachtungsbetriebe würden von Stornierungen berichten.

Besucher und Patienten des Harzklinikums werden ab sofort an den Eingängen aller Standorte auf Hinweisschildern wegen der fortschreitenden Corona-Ausbreitung zu besonderem Verhalten aufgefordert, heißt es von Kliniksprecher Tom Koch. „Diese Hinweise tragen die Überschrift ‚Corona – unsere gemeinsame Verantwortung‘, um jeden Einzelnen daran zu erinnern, dass auch er mit seinem Verhalten das Ausbreiten dieser Pandemie beeinflussen kann.“ Danach sollen Besucher Kontakte mit Patienten aufs unbedingt Notwendigste verringern, stattdessen das Telefon nutzen. Für Patienten mit Atemwegserkrankungen bestehe ein Besuchsverbot. Für Besucher, die selbst an Atemwegserkrankungen leiden, bestehe ein Zutrittsverbot.

Patienten, die an einer leichten Erkältung leiden, sollten ausdrücklich nicht die Notaufnahmen in Quedlinburg oder Wernigerode aufzusuchen. „Stattdessen sollten sie sich zunächst telefonisch an die Sprechstunden-Hotline 116 117 oder ans Kreis-Gesundheitsamt (0 39 41) 59 70 55 55 wenden“, so Koch weiter. Zum Schutz von Patienten, Besuchern und Mitarbeitern würden sämtliche Veranstaltungen im Harzklinikum abgesagt, die medizinisch verzichtbar seien.

„Wir sind gut vorbereitet und achtsam“, sagt Martin Montowski, Geschäftsführer der Diakonie-Krankenhaus Harz GmbH in Elbingerode. Dienstreisen der Mitarbeiter seien weitestgehend verschoben oder abgesagt worden – ebenso wie große Veranstaltungen im Haus. „Wir werden den Besucherverkehr für das Krankenhaus und das Seniorenzentrum einschränken“, so Montowski. „Weitere Entscheidungen machen wir von der jeweiligen Entwicklung abhängig.“ Schutzausrüstung sei vorhanden, aber Nachschub genauso knapp wie überall.

Auch das Ärztehauses Oberharz bittet seine Patienten: „Kommen Sie mit grippeähnlichen Symptomen nicht in die Praxis, rufen Sie uns lieber unter den bekannten Rufnummern an. Die Hotline des Landkreises Harz funktioniert sehr gut, dafür sind wir dankbar.“ Eine Bitte, die so wohl ausnahmslos alle allgemeinärztlichen Praxen im Harzkreis sofort unterschreiben würden.

Nach Informationen der Volksstimme richten sich die Verantwortlichen auch auf einen gravierenden Anstieg der Infektionsraten im Harzkreis ein. Deshalb planen sie nach dem Vorbild von Halle wohl auch eine Art Fieberzentrum als kreisweite zentrale Anlaufstelle für potenzielle Corona-Fälle. Zudem soll dem Vernehmen nach die Lungenklinik in Ballenstedt als Schwerpunktklinik für Corona-Kranke vorbereitet werden.

Bei der Gesellschaft für Sozialeinrichtungen (GSW), die in Wernigerode Seniorenzentren betreibt, sieht man sich gut gerüstet. „Wir sind grundsätzlich für den Umgang mit Keimen und Erregern sensibilisiert“, sagt Geschäftsführerin Sandra Lewerenz. Das Corona-Virus sei nicht anders zu bewerten als Noro- und Influenza-Viren. Hilfreich sei der durchstrukturierte und regulierte Arbeitsablauf in der Pflege. Die GSW betreibt in Wernigerode fünf Pflegeheime, drei Wohnheime und weitere Einrichtungen, in denen rund 850 Menschen betreut werden.

Der Betrieb laufe derzeit reibungslos. „Unser Personal behält die Ruhe“, so die GSW-Chefin. An Familienmitglieder werde appelliert, Besuche möglichst weit einzuschränken. Der Zugang sei jedoch weiterhin möglich. Anders im Kreis Goslar: Dort gilt ab heute ein generelles Besuchsverbot in Altenheimen.

Bitter sei aber, wenn Desinfektionsmittel aus den Gästetoiletten gestohlen würden – auch weil derzeit Preisaufschläge von 250 bis 480 Prozent zu verkraften seien. Engpässe gebe es aber nicht.

Bei den Mitarbeitern werde überprüft, ob alle Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen absolviert wurden. „Alle, die erkältet sind oder Fieber haben, gehen sofort nach Hause.“ Wichtig sei aber auch, dass diejenigen, die gesund sind, zur Arbeit kommen. Eine Pflegeeinrichtung könne man, anders als eine Schule oder eine Kita, nicht einfach schließen. „Wir haben einen Versorgungsauftrag und eine Verpflichtung.“

Die regionale Wirtschaft spüre durchaus die Folgen der Corona-Pandemie, hat Ralf Grimpe, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Wernigerode beobachtet. Derzeit laufe eine Umfrage unter Harzer Unternehmen, deren Ergebnisse in der kommenden Woche vorliegen sollen. Anfragen und Rückmeldungen habe es aber schon gegeben, so Grimpe – zum Beispiel aus dem Einzelhandel, wo Umsatzeinbußen von 30 bis 50 Prozent verzeichnet würden. „Das sind Einzelmeldungen, es ist nicht repräsentativ“, betont Grimpe.

Im produzierenden Gewerbe habe es aber bisher keine Störungen etwa durch Unterbrechung von Lieferketten gegeben. „Teilweise gibt es Schwierigkeiten bei internationalen Zulieferern, aber die Firmen bekommen es hin, wenn auch mitunter mit größerem Aufwand“, so Grimpe.

Bei KSM Castings in Wernigerode läuft der Betrieb ebenfalls. Doch das Virus ist präsent. „Corona ist bei uns seit Ende Januar ein Thema“, sagt Unternehmenssprecherin Sandra Dichter. Der Automobilzulieferer, der seinen deutschen Hauptsitz in Hildesheim hat, sei auch deshalb sensibilisiert, weil der Konzern chinesische Eigentümer hat.

„Dort nimmt man das Thema sehr ernst“, so Sandra Dichter. Sehr früh habe man Mitarbeiter konzernweit angewiesen, keine Hände mehr zu schütteln und Dienstreisen auszusetzen. Ebenso würden Schulungen und Besuche nach Möglichkeit verschoben. Wo sie unumgänglich scheinen, würden Gesundheitsinformationen abgefragt und Rückkehrer – beispielsweise aus China – in Quarantäne geschickt.

Viele Harzer sorgen sich zudem um die Versorgung mit Trinkwasser und Strom in Krisenzeiten. „Bisher gibt es keine Anzeichen, dass die Wasser-, Gas- oder Stromversorgung in irgendeiner Form gefährdet ist“, heißt es von Stefanie Dunkel, Sprecherin der Stadtwerke Wernigerode. „Eine Übertragung des Corona-Virus über die öffentliche Trinkwasserversorgung kann nach Auskunft unseres Fachverbandes sogar ausgeschlossen werden.“ Die Stadtwerke würden die Ausbreitung des Virus und die damit verbundenen Risiken sehr ernst nehmen. „Mit einem regelmäßigen innerbetrieblichen Austausch bereiten wir uns gewissenhaft auf den Ernstfall vor“, so Dunkel weiter.

Eine Frage, die in der Corona-Krise mehrere Volksstimme-Leser beschäftigt: Kann das Bundeswehr-Sanitätsdepot bei Blankenburg nicht mit Desinfektionsmitteln und Atemschutzmasken aushelfen, will etwa Bernd Schmidt aus Blankenburg wissen. Die Chancen auf Arzneimittel und Medikamente aus der unterirdischen Apotheke stehen für die Harzer schlecht, heißt es auf Anfrage. „Der Sanitätsdienst der Bundeswehr bevorratet die angesprochenen Materialien grundsätzlich nur für die eigenen Soldaten“, informiert Oberstleutnant Matthias Frank vom Bundeswehr-Pressezentrum in Koblenz.