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Prävention Kinder haben Recht, Nein zu sagen

Prävention mit Märchen: Der ehemalige Kriminalbeamte Steffen Claus gibt Hinweise zum richtigen Verhalten von Kindern in Gefahrensituationen.

Von Ariane Amann 06.04.2016, 23:01

Barleben l Bei Dornröschen gibt es sexuelle Belästigung, bei Schneewittchen Leichenschändung und versuchten Mord, bei Aschenputtel ist ein Fußfetischist auf Frauensuche: Mit Sätzen wie diesen schaffte es am vergangenen Dienstagabend der ehemalige Kriminalbeamte Steffen Claus im Mehrgenerationenzentrum Barleben, Eltern und Erziehern die Verbrechen in den Grimmschen Märchen samt passender Verhaltensregeln für Kinder nahezubringen.

Claus erklärte seine Märchen-Sätze freilich im Laufe des Abends noch. Im Märchen „Dornröschen“ habe sich der Prinz nicht einwandfrei verhalten, denn die schlafende Prinzessin habe dem Kuss nicht zugestimmt. „Aus heutiger Sicht ist das tatsächlich eine sexuelle Belästigung, denn Kinder und Jugendliche haben sehr wohl das gleiche Recht auf Bestimmung über ihren Körper wie Erwachsene“, sagt Claus. Kinder müssen genau wie Erwachsene das Recht haben, auch „Nein“ zu sagen zu Umarmungen und Berührungen, die sie nicht wollen.

Das Selbstbewusstsein dafür müssten sie spielerisch lernen, so Claus. Mit Rollenspielen zeigt er ihnen bei Besuchen in Schulen und Kindertagesstätten, wie sie am besten reagieren, wenn sie angesprochen werden. „Man kann ja auch seinem Kind nicht eintrichtern, es müsse jedes Mal wie am Spieß schreien, wenn es von einem Unbekannten angesprochen wird“, sagt Claus. Natürlich sei eine gewisse Vorsicht angebracht, damit Kinder nicht zu Verbrechensopfern werden. Allerdings sei es für die Kinderseele auch ungesund, Panik vor allem Unbekannten zu verbreiten.

„Es gab einen Fall mit zwei Jungen, die auf dem Spielplatz angesprochen worden sind. Einer ist weggelaufen, einer hatte Angst und ist dageblieben“, weiß Claus. Der Täter hat ihn dann fotografiert und die Bilder als Kinderpornografie ins Internet gestellt. „Der zweite Junge hätte auch weglaufen müssen, dann wäre gar nichts passiert“, so Claus.

Und so war er auch schon bei einer seiner wichtigsten Regeln: „Wenn ein fremder Erwachsener etwas Ungewöhnliches von einem Kind verlangt, dann ist es die beste Idee, einfach wegzulaufen. Auch laut und deutlich ‚Nein‘ zu sagen ist schon eine Gegenwehr, die in der Öffentlichkeit gut funktioniert.“ Täter wollten nicht gesehen werden, so Claus, und scheuen die Öffentlichkeit.

Mit dem Märchen „Hänsel und Gretel“ kam Claus auch noch auf das Thema Notwehr zu sprechen. „Wenn ich Kinder frage, ob man am Ende nicht auch Gretel bestrafen müsste, weil sie die Hexe umgebracht hat, sagen sie immer nein. Und zwar weil die Hexe böse ist“, erklärt Steffen Claus. Immerhin habe Gretel mit ihrem Handeln zwei Leben gerettet, das von Hänsel und ihr eigenes.

Für Steffen Claus eignet sich auch „Rotkäppchen“ wunderbar, um Kindern beizubringen, wie man sich auf Wegen zu Schule oder Verwandten verhält: „Rotkäppchen hat gleich mehrere Fehler gemacht. Sie hat dem Wolf einfach verraten, wo sie hinwill und dass ihre Großmutter krank und wehrlos ist. Und dann ist sie auch noch vom Weg abgewichen und hat sich mit dem Blumenpflücken ablenken lassen.“

Auf den Schulweg übertragen hieße das für Schüler, nur einen gut beleuchteten Schulweg zu nehmen, auf dem Kinder nicht allein unterwegs sind. „Gut ist es, wenn sich mehrere Kinder treffen, um gemeinsam zur Schule zu gehen. In der Gruppe sind Kinder praktisch ganz sicher, denn Täter suchen sich gern einzelne Kinder aus“, so Claus.

Eine weitere sehr sichere Variante sei der Schulweg mit dem Fahrrad, denn: „Auf dem Fahrrad kann man ein Kind viel schlechter ansprechen als zu Fuß“, sagt Claus. Auf keinen Fall dürften Kinder Auskunft über die Familie geben. Claus‘ eindeutiger Rat: „Ob jemand zu Hause ist oder wie die Eltern heißen, hat niemanden etwas anzugehen. Da müssen Kinder auch keine Informationen herausgeben.“

Auch direkt für die Eltern hatte Claus einige Hinweise. So sollten sie keine Zettel mit Namen und Adresse auf den Schulranzen kleben. „Gerne auf die Innenseite, aber nicht außen“, so Claus. Fremde könnten das Kind sonst gleich mit dem Namen ansprechen, was die Hemmschwelle bei Kindern enorm senke. „Da denken die Kleinen gleich, ach, der kennt mich ja, und sind viel leichter zum Mitgehen zu bewegen“, sagt Claus.

Auch von langen Schlüsselbändern, die man um den Hals tragen kann, rät der Experte ab. Ein Täter wisse so gleich auf den ersten Blick, dass ein Kind nach dem Heimweg allein zu Hause sei.

Zwischendurch demon-strierte Steffen Claus ohne Vorwarnung in der Runde im Mehrgenerationenhaus, welche Wirkung ein plötzlicher lauter Schrei haben kann. Die Eltern und Erzieher zuckten erschrocken zusammen. „Sehen Sie, und genauso wirksam ist es, wenn ein Kind das macht“, schmunzelte Claus.