Gesundheit Colbitz: Patienten erheben ihre Stimmen
Die landesweit 564 Apotheken schlossen sich im Juni dieses Jahres dem bundesweiten Protesttag an - auch die Colbitzer Corvinus-Apotheke. Sie machten auf die Probleme ihrer Branche aufmerksam. Was ist vom Protest geblieben?

Colbitz - Sie fuhren 50 bis 150 Kilometer, die 19 Apotheken-Teams, die im Juni die Protestaktion auf dem Colbitzer Marktplatz unterstützten. Es war die größte Aktion in Sachsen-Anhalt. Grund des bundesweiten Protesttages: Dauerhafte Lieferengpässe, überbordende Bürokratie und rasant steigenden Lohn- und Energiekosten – die Politik muss handeln. Ernüchterung ist der Hoffnung gewichen.
Anne-Kathrin Haus, Leiterin der Corvinus-Apotheke, brachte ein großes Paket mit unterschriebenen Protestkarten und einem persönlichen Brief an Karl Lauterbach zur Post. „Eine Reaktion gab es nicht“, sagt die engagierte Frau ernüchtert und fügt hinzu: „Auch Kollegen fanden keine Beachtung.“
Inflation, hohe Stromkosten – die Lieferanten ziehen ihre Preise an. „Wir sind vor dem Patienten das letzte Glied in der Kette“, sagt Anne-Kathrin Haus. Es fällt nicht leicht, einem Patienten zu sagen, dass beispielsweise Blutzuckerteststreifen jetzt fast zehn Euro mehr kosten. Die gibt es auf Rezept, aber was ist, wenn die nicht reichen?
Wenn ich an den Winter denke, bekomme ich Bauchschmerzen.
Anne-Kathrin Haus, Leiterin der Corvinus-Apotheke Colbitz
Eigentlich bevorraten sich die Apotheken in der Allergie- oder Erkältungszeit mit Medikamenten direkt bei den Firmen. Da habe es noch gute Konditionen gegeben. Doch viele Firmen sind da ausgestiegen. Jetzt geht die Beschaffung über den Großhandel. „Wir können nicht planen, denn noch immer gibt es Lieferengpässe“, beschreibt die Apothekerin. „Wenn ich an den Winter denke, bekomme ich Bauchschmerzen“, sagt sie bestimmt. Denn besonders kritisch sieht es bei den Medikamenten für Kinder aus.
Mutter fährt stundenlang von einer Apotheke zur nächsten
Das macht ein Beispiel deutlich: Eine Mutter brauchte dringend ein Antibiotikum. In fünf Apotheken ist sie zuvor gewesen, dafür weit gefahren. In Colbitz gab es noch etwas, allerdings in einer anderen Dosierung, als im Rezept verschrieben. Das Risiko für die Apotheke ist in diesem Fall, dass sie die Kosten nicht erstattet bekommt. Deshalb hätte es eigentlich vom Arzt ein neues Rezept geben müssen. „Aber man kann doch die Mutter nicht wieder wegschicken. Das Kind hatte mehrere Tage hohes Fieber“, beschreibt Anne-Kathrin Haus die missliche Lage der Apotheken.
Nicht jeder Patient hat Verständnis, wenn das benötigte Medikament nicht vorrätig ist. Damit umzugehen ist nicht immer leicht. „Zum Glück sind wir ein wirklich tolles Team“, sagt die engagierte Frau anerkennend. Einfach mal lachen - das hilft über manches hinweg.
Apotheke vor Ort - unverzichtbar
„Seit 20 Jahren haben sich unsere Honorare nicht erhöht“, betont Anne-Kathrin Haus. Deshalb kann sie ihren Mitarbeitern auch nicht den Lohn zahlen, den sie eigentlich verdient hätten. Und dass die Apotheke vor Ort unverzichtbar bleibt, zeigt ein anderes Beispiel: Eine ältere Dame erzählte ganz nebenbei, dass sie ihre Medikamente mit Milch einnimmt. Sie wunderte sich, dass sie nicht so wirkten, wie sie sollten. Die Apothekerin klärte auf. „Solche Probleme können wir nur im Gespräch vor Ort erkennen und lösen“, betont die Colbitzerin.
Sie will nicht aufgeben, sondern die Apotheke, die sie ganz bewusst übernommen hat, auch in den kommenden Jahren weiterführen. „Die Patienten stehen hinter uns und deshalb wollen wir sie jetzt sprechen lassen“, erklärt sie den Hintergrund der derzeit laufenden Protestaktion: Bundesweit werden die noch knapp 18000 Apotheken Postkarten an ihre Patienten aushändigen – so auch in Colbitz. „Da sich die Politik nach wie vor weigert, den wirtschaftlichen Druck in unserer Branche auszugleichen, werden wir nun die Patientinnen und Patienten zu Wort kommen lassen. Auf den Karten haben die Betroffenen Gelegenheit, kurz und individuell festzuhalten, warum sie ihre Apotheke vor Ort brauchen. Wir werden die Karten einsammeln, die getroffenen Aussagen der Öffentlichkeit präsentieren und an die Politik weiterleiten“, erklärt Mathias Arnold, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Sachsen-Anhalt die Aktion.
Es trifft alle - die kleinen Dorfapotheken und die großen Stadtapotheken
„Wir wollen vor Ort bleiben“, sagt Anne-Kathrin Haus bestimmt. Auch die Mitarbeiter wollen bleiben, doch dazu braucht es Rahmenbedingungen, die das ermöglichen. Allein in Sachsen-Anhalt haben in den vergangenen zehn Jahren 49 Apotheken geschlossen. Derzeit gibt es noch 568 Apotheken im Land. „Das Apothekensterben ist bereits in vollem Gange“, mahnt die Fachfrau. „Ich hoffe sehr, dass uns die Politik auch wirklich hört und schnellstmöglich agiert“, betont sie. Die Branche stehe an einem Kipp-Punkt. Noch ist Zeit zum Handeln, noch kann es einen Umschwung geben.
„Es trifft uns alle gleich – die Apotheken im kleinen Dorf genauso, wie die in der großen Stadt“, sagt Anne-Kathrin Haus nachdenklich. Sollte die Politik nicht handeln würden sich noch mehr Apotheker vorzeitig in den Ruhestand verabschieden, an eine ausreichende Nachwuchsgewinnung wäre nicht mehr zu denken. Zudem würden gut ausgebildete Fachkräfte in Länder abwandern, die bessere Rahmenbedingungen bieten. Eine flächendeckende Versorgung der Patienten wäre nicht mehr möglich. Die Apotheker werden so schnell nicht laut. Jetzt ist es aber notwendig, damit sich endlich etwas ändert.