Coronavirus Stirbt die Kultur?

Der erneute Lockdown trifft Kulturschaffende hart, stellt aber auch die Wolmirstedter Vereine vor große Probleme.

Von Gudrun Billowie 09.11.2020, 00:01

Wolmirstedt l Rebecca Lange hält einen Förderscheck in den Händen und wäre normalerweise sehr glücklich. Die Vorsitzende des OK-Live-Ensembles Barleben Wolmirstedt hat für den Verein 1710 Euro aus dem Programm „Partnerschaft für Demokratie“ des Landkreises Börde erhalten. Doch sie wirkt ratlos. „Ich kann dieses Geld nicht ausgeben.“

Damit sollten eine Zukunftswerkstatt und ein Empowerment-Workshop teilweise finanziert werden. Alles war lange vorbereitet, 30 junge Leute hatten sich angemeldet, wollten erarbeiten, wie Engagement eingesetzt werden kann und wo die Zukunft der Jugend- und Kulturarbeit liegen wird. Das OK-Live-Ensemble wollte mit diesen Workshops neue Wege gehen, ein weiteres Angebot neben Sparten wie Tanz und Akrobatik unterbreiten. Nun gab es den erneuten Lockdown, die Workshops mussten abgesagt werden. Das Geld hängt in der Luft.

„Wenn wir Pech haben, müssen wir die Summe zurückgeben“, sagt Rebecca Lange. Im nächsten Jahr steht es nicht mehr zur Verfügung. Fördergelder sind oft auf das Kalenderjahr begrenzt. Noch will sie die Hoffnung nicht aufgeben, setzt darauf, die Workshops am 5. Dezember anbieten zu können. Doch angesichts steigender Corona-Zahlen schrumpft die Hoffnung auf ein Minimum.

Also sucht auch das OK-Live-Ensemble den Weg über das Internet, arbeitet daran, die Workshops online anzubieten. Doch Rebecca Lange weiß, das ist nicht dasselbe. „Kunst und Kultur leben von der Interaktion.“

Das gilt auch für die Kurse, die das OK-Live-Ensemble seit jeher im Programm hat. Seit dem 2. November können gut 400 Kinder und Jugendliche weder zum Ballettunterricht gehen, noch Artistik und Tanz trainieren. Das ärgert Rebecca Lange besonders, weil der Unterricht an Tanz-und Ballettschulen sogar erlaubt ist, wenn Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden. Solcherlei Training hat das OK-Live-Ensemble bereits in den vergangenen Wochen praktiziert. Was ist jetzt anders?

Jetzt sind die Sporthallen zu, Ballett, Artistik, Parcour und Co. haben keine Trainingsstätte. „Hätten wir eigene Sportstätten, könnten wir weiter trainieren“, sagt Rebecca Lange, „aber wir sind auf die Hallen der Gemeinden angewiesen.“ Und die Gemeinden wiederum sind angewiesen, die Sporthallen für den Vereinssport zu schließen. Daran hält sich auch Wolmirstedt. „Für das Engagement aller Kulturschaffenden ist das ein Tiefschlag“, sagt Rebecca Lange. Und sie fürchtet, dass sich auch das Vereinsleben nur schwer davon erholt.

Der Sitz des OK-Live-Ensemble ist das Bürgerhaus auf der Schlossdomäne, das wird vom Schranke-Verein betrieben. Der Schranke-Verein sorgt für das kulturelle Leben in diesem Haus, aber auch dafür, dass alles sauber, hell und heil ist. Doch auch der Schranke-Verein blickt nun mit Sorge in die Zukunft. Daran ändern auch 3800 Euro nichts, die Lotto-Toto gerade überwiesen hat. Dafür wird ein neuer Gastro-Geschirrspüler gekauft, weil der alte nach 29 Jahren in den Ruhestand geschickt wird. Doch so rechte Freude darüber will nicht aufkommen.

Auch Bürgerhäuser müssen bis Ende November schließen. Christina Laqua ist Vorsitzende des Schrankevereins und weiß nicht, wie es weitergeht. „Alle Veranstaltungen sind abgesagt, Familienfeiern gibt es nicht.“ Ein gesellschaftliches Leben ist im Leerlauf und die Einnahmen fallen weg.

Das spürten die Schranke-Vereinsleute bereits beim Kartoffelfest. Das war lange geplant, doch ausgerechnet am Tag, als es gefeiert werden sollte, wurde der neue Lockdown angekündigt. Obwohl das Fest draußen im Schlossgarten angesetzt war, kamen kaum Besucher. Das tat richtig weh. „Wir haben alles weggekippt: Kartoffelsalat, Quark, alles, was wir vorbereitet hatten“, sagt Christina Laqua.

Mit Blick in den Schlosskeller betrachtet sie auch die Zeit nach dem Lockdown sorgenvoll. Der Keller wird gern für Kabarettvorstellungen, Modenschauen und Familienfeiern genutzt, aber die Lüftungsanlage ist seit anderthalb Jahren kaputt. Feuchtigkeit kann sich ungehindert ausbreiten, manchmal so stark, dass die Stühle feucht sind.

Das Haus gehört der Stadt, eigentlich ist die für solcherlei Instandhaltungen zuständig. Doch trotz mehrmaliger Hinweise des Schranke-Vereins ist nichts passiert. Erst im nächsten Jahr soll umfassend saniert werden.

Das sei gerade jetzt in der Corona-Pandemie, wo regelmäßiges Lüften als unabdingbar angesehen wird, schwer zu verstehen. Deshalb hat der Schranke-Verein zur Selbsthilfe gegriffen und von Vereinsgeldern einen Bautrockner gekauft. Der sammelt das Wasser literweise aus dem Keller.

Corona und der feuchte Keller machen dem Schranke-Verein das Leben schwer. Stirbt die Kultur? Die Sorge treibt auch Rebecca Lange um. Im Ok-Live-Ensemble wird zwar über Online-Angebote nachgedacht, doch viele der bisherigen Reaktionen waren ernüchternd. „Wir wissen nicht, ob es funktioniert, weil nicht jeder die technischen Voraussetzungen hat.“ In manchen Wohngegenden ist das Internet zu schwach. Doch für die Zurückhaltung gibt es wohl noch einen anderen Grund: Viele Mädchen und Jungen besuchen die Kurse, weil sie dort mit Gleichgesinnten zusammen sind. Stattdessen allein vor einem Bildschirm zu tanzen, ist wenig attraktiv.

Rebecca Lange fürchtet, dass sich viele an das Zuhausesein gewöhnen und hofft doch, dass das Interesse, zusammen etwas zu erreichen, in der Corona-Zeit nicht abnimmt. Doch sie weiß auch: Kindern und Jugendlichen fehlen die Auftritte, ebenso wie ihr selbst die Reaktion auf die Zukunfstwerkstatt. „Man kann sich abstrampeln, aber wenn man kein Resultat sieht...“ Die Worte hängen in der Luft.