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Geschichte Empfänger erhält Brief nach 68 Jahren

In einem Brief bedankt sich eine Frau für die Befreiung aus einem Zug in Farsleben. Jahre später trafen sich Senderin und Empfänger wieder.

Von Juliane Just 25.09.2018, 01:01

Wolmirstedt l Es war ein Brief, der sein Leben veränderte. Im Jahr 2008 stöberte der geschichtsinteressierte Ron Chaulet auf einer Internetplattform nach Büchern. Doch dann sah er einen ungeöffneten Brief, der zum Verkauf stand. Aus Neugier ersteigerte er ihn – und die Geschichte ließ ihn nicht mehr los.

Dort schrieb eine Polin namens Gina Rappaport (1921-2012) von ihrem Leben. Der Brief war in englischer Sprache geschrieben und berichtete von Kriegswirren, vom Warschauer Ghetto, von unzumutbaren Zuständen. Sie bedankt sich mit anrührenden Worten bei einem amerikanischen Kommandeur. Das Briefpapier war von der Herresversuchsanstalt Hillersleben.

Am 13. April 1945 wurden 2500 Häftlinge des Konzentrationslagers Bergen-Belsen (Niedersachsen) befreit. Ziel des Transports war Theresienstadt. Dort kam er nie an. Gina Rappaport saß in diesem Zug. Da sie mehrere Sprachen beherrschte, vermittelte sie zwischen den Überlebenden und den Soldaten.

Der Brief muss zu seinem rechtmäßigen Empfänger, dachte sich Ron Chaulet. Er recherchierte und suchte, fand ein Bild der jungen Gina Rappaport. Das Bild hatte ein Offizier am Tag der Befreiung geschossen: Offizier George Gross.

Der Hobbyhistoriker war sich sicher, dass es sich um den gesuchten Adressaten handelte. Nach 68 Jahren erhielt George Gross den Brief, den die junge Dame einst schrieb. Ron Chaulet brachte Senderin und Empfänger nach vielen Jahrzehnten wieder zusammen. „Es war ein emotionales Treffen zweier betagter Personen“, erinnert er sich. Wenige Monate nach dem Treffen verstarben beide.

Seither setzt sich Ron Chaulet für die Aufarbeitung der Geschichte ein. Er betreibt eine Website zu den Geschehnissen in Farsleben und fordert seit Jahren ein Mahnmal an den Gleisen, wo der KZ-Zug stehen blieb. Dafür hat der Amerikaner bereits Geld gesammelt. Nun hat er sich mit Historikern und Interessierten aus Wolmirstedt zusammengetan, die das gleiche vorhaben.

Es war Karin Petersen, Geschichtslehrerin des Wolmirstedter Gymnasiums, die Anfang September verschiedene Akteure an einen Tisch brachte. Die Idee: Einen Gedenkort schaffen, Zeitzeugen interviewen, eine Sonderausstellung und vieles mehr. Das alles sollte bis zum Jahr 2020, zum 75. Jahrestag der Befreiung, entstehen.

Geht es nach Ron Chaulet und den Engagierten in Wolmirstedt, könnte das Mahnmal an den Gleisen schon 2019 entstehen. Dort könnte ein Gedenkstein an die Ereignisse von 1945 erinnern. Für die Abspreche der Vorgehensweise reiste Chaulet am Sonntag für einen Tag aus Holland, seinem jetzigen Heimatort, an. „Diese Aktion ist wichtig. Vielen Juden wünschen sich eine Gedenkstätte in Farsleben“, sagt er. Für weitere Gedenkorte in Farsleben und Wolmirstedt könnte der Brief wieder eine Rolle spielen. Damit die Geschichte der Menschen, die sich nach 68 Jahren wiedersahen, nie vergessen wird.