35 Jahre Mauerfall Von der Börde nach Tschechien
Die Deutsche Botschaft in Prag hat zum „Fest der Freiheit“ eingeladen. Auch Vertreter aus Sachsen-Anhalt sind dabei. Was eine Ulme aus Dahlenwarsleben damit zu tun hat.

Prag/Dahlenwarsleben - Es war einer der Schlüsselmomente im Jahr der Wende: Am 30. September 1989 begrüßte der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) etwa 4.000 Flüchtlinge aus der DDR auf dem Botschaftsgelände der BRD in Prag. Genschers berühmter Satz geht im Jubel unter: „Ich bin heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass ihre Ausreise ...“. Wie in Prag nun gefeiert wurde.
Auf den Tag genau 35 Jahren später hat die Prager Botschaft zu einem Tag der offenen Tür und einem Festakt eingeladen. Neben einer Delegation des Landtags von Sachsen-Anhalt war auch der aus dem TV bekannte Fernsehgärtner Marcus Bursian aus Dahlenwarsleben dabei. „Vor einigen Wochen war ich bei einer Veranstaltung im Landtag mit Zeitzeugen zu diesem Thema“, beginnt Marcus Bursian zu erzählen. Im Zuge dessen habe er eine Einladung zum Tag der offenen Tür in die Deutsche Botschaft in Prag erhalten.
Botschaft in Prag lehnt Pflanzung ab
„Ich musste nämlich während der Wendezeit meinen Armeedienst bei den Grenztruppen leisten“, erinnert sich der Dahlenwarsleber. „Damals herrschte absolute Nachrichtensperre. Von dem ganzen Trubel haben wir also kaum etwas mitbekommen“, berichtet Marcus Bursian. „Nach der Einladung nach Prag bin ich auf den Gedanken gekommen, im Zuge des Festaktes vor Ort den Baum der Freiheit zu pflanzen“, berichtet der Garten- und Landschaftsbauer weiter. Dabei handelt es sich traditionell um die Ulme. Ein berühmter Baum dieser Gattung war nämlich ein Versammlungspunkt in Boston für den wachsenden Widerstand gegen die Herrschaft Englands über die amerikanischen Kolonien in der Mitte des 18. Jahrhunderts.
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Also hat der TV-Gärtner in der Botschaft angefragt, ob sein Vorhaben denn überhaupt umzusetzen ist. „Ich habe leider eine Ablehnung bekommen. Wegen des Denkmalschutzes war dies nicht möglich“, erzählt Marcus Bursian. Während eines anschließenden Telefonates mit dem Landtagspräsidenten von Sachsen-Anhalt, Gunnar Schellenberger (CDU), habe er das Thema noch einmal angesprochen. Der Politiker habe versichert, sich für die Idee des Dahlenwarslebers einzusetzen.
Baum findet Heimat im Kloster Strahov
Nach einer erneuten Ablehnung habe der deutsche Botschafter Andreas Künne als Ort der Baumpflanzung das berühmte Kloster Strahov vorgeschlagen. Schließlich bestehen seit Jahrhunderten teils enge Beziehungen nach Magdeburg. Seit dem Dreißigjährigen Krieg befinden sich nämlich die Reliquien des Magdeburger Erzbischofs Norbert von Xanten in dem königlichen Stift. Abt Caspar von Questenberg hatte sie im Jahr 1626 aus dem Magdeburger Liebfrauenstift dorthin überführen lassen.
Doch auch der Klosterabt habe zunächst Bedenken geäußert – ebenfalls wegen des Denkmalschutzes. Schließlich sollte die Genehmigung doch noch erteilt werden. So hat sich Marcus Bursian eine vier Meter hohe Ulme besorgt und mit seinem Kleintransporter die 400 Kilometer lange Strecke bis Prag bewältigt.
Treffen mit dem Botschafter
Erste Station war der Tag der offenen Tür in der deutschen Botschaft. Auf dem Weg dorthin sind ihm etliche Gruppen von Kindern und Jugendlichen aufgefallen. „Die hatten alle Deutschland-Fähnchen in ihren Händen und haben gejubelt“, sagt der Dahlenwarsleber. Das war enorm. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, zu Gast bei Freunden zu sein.“
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Während des „Festes der Freiheit“ im Botschaftsgebäude traf Marcus Bursian auf Botschafter Andreas Künne. Dem deutschen Vertreter in Prag hat der Landschaftsbauer aus der Börde zunächst eine Gedenktafel mit Genschers Halbsatz überreicht. Auch diese Idee stammt von Marcus Bursian. Hergestellt hat sie Steinmetz Daniel Willtzki aus Osterweddingen. „Eigentlich wollte der natürlich Geld dafür haben. Doch der fand die Geschichte so klasse und sagte dann: 'Wenn meine Tafel in der Prager Botschaft hängt, dann musst Du nichts bezahlen.'“

Anschließend ging es an die Vorbereitungen für die Baumpflanzaktion einen Tag später. Auf dem Weg zum berühmten Kloster sind Marcus Bursian abermals die Schulklassen mit Deutschland-Fähnchen aufgefallen. Im Stift selbst sei er sehr gut aufgenommen worden. „Die Leute im Kloster waren alle sehr nett und begeistert von meiner Idee“, erinnert sich der Landschaftsbauer. Hilfe bekam er von einem Kollegen, dem Klostergärtner Michail aus der Ukraine. „Der sagte: 'Wenn die Ukraine wieder frei ist und Frieden herrscht, dann lade ich euch ein, in meiner Heimatstadt Lwiw auch eine Ulme zu pflanzen.' Das hat mich tief bewegt, da habe ich Gänsehaut bekommen“, sagt Marcus Bursian. Schnell waren ein Loch ausgehoben und Pfähle zur Stabilisierung eingeschlagen.
Gedicht von Václav Havel
Am nächsten Tag wurde dann der Baum gepflanzt – natürlich mit wertvollem Boden aus der Magdeburger Börde. Bei dem feierlichen Akt waren neben Landtagspräsident Gunnar Schellenberger weitere Landtagsmitglieder, Botschafter Andreas Künne sowie Klosterabt Daniel Janacek dabei. „Der Besuch in den altehrwürdigen Gemäuern und die Pflanzaktion waren schon sehr beeindruckend.“ Sogar ein Gedicht habe er extra für diesen Moment gelernt. So trug Marcus Bursian „Die Formel der Freiheit“ des tschechischen Dramatikers, Menschenrechtlers und Politikers Václav Havel in der Landessprache vor. Für die deutsche Übersetzung sorgte Gunnar Schellenberger.
„Als Gärtner pflanze ich überall Bäume, wo ich bin. Das kann zu ganz unterschiedlichen Anlässen sein, beispielsweise zu Geburten“, erklärt Marcus Bursian. Außerdem sollte jeder auf Reisen immer ein Gastgeschenk dabei haben. Als Gärtner machten sich Bäume immer ganz gut. „Heute kann die Ulme jeder besuchen. Mein ukrainischer Freund hat versprochen, sich um die Ulme zu kümmern.“