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Archäologie Schichtenweise Zerbster Geschichte

Die Grabungen auf dem Gelände an der Breite und der Wolfsbrücke werden in dieser Woche beendet. Es gibt 311 Befunde.

Von Sebastian Siebert 29.06.2016, 04:21

Zerbst l „Also die Stadtgeschichte müssen wir nicht neu schreiben“, sagt der Archäologe Dr. Stefan Koch. Er leitet die Ausgrabungen auf dem Gelände an der Breite und der Wolfsbrücke. Dort will die Arbeiterwohlfahrt (Awo) ein Gebäudekomplex mit 51 Wohnungen errichten. Einziehen sollen dort ältere Menschen. Bevor jedoch so ein Bau beginnen kann, haben die Archäologen die Möglichkeit, das Gelände zu untersuchen. Und sie wurden fündig.

Bei 311 steht die Zahl der Befunde, die Koch und sein Team freigelegt haben. Befunde, so erklärt er, seien ganz vereinfacht Dinge die im Boden sind, wie Mauerreste aber auch Trichter von Bomben. Davon finden die Mitarbeiter vier. Außerdem zwei Krater einer Brandbombe und einen Platz „an dem vermutlich eine Bombe entschärft wurde“, so Koch. Schwarze Erde zeuge vom Feuer der Brandbomben, die Bombentrichter seien mit Bauschutt aus den 1940er Jahren verfüllt worden. „Es gibt eine kleine Grube, die ebenso mit Bauschutt verfüllt wurde. Dort scheint eine Bombe entschärft worden zu sein“, so Koch. Zu Befunden unterscheidet er auch in Funde, das sind Scherben, Werkzeuge und dergleichen.

Zwei Brennöfen aus dem Spätmittelalter hat der Archäologe lokalisiert. Ton sei darin gebrannt worden, erklärt er und auch, dass die Kuppel für die Öfen immer neu gefertigt werden musste. „Sie wurde aus Zweigen geformt und von innen mit Lehm ausgefüllt“, erzählt er weiter. Keramikherstellung sei ein gängiges Handwerk gewesen. Vermutlich habe es damals die Stadtmauer noch nicht gegeben. „Brennöfen hat man meist am Stadtrand errichtet“, erklärt er weiter. Schließlich gehe von ihnen eine Feuergefahr aus. Der Weg von einem Brennofen zum anderen führt vorbei an neueren Backsteinfundamenten und Feldsteinfundamenten, letztere aus dem 16. Jahrhundert, welche die Grabungsarbeiter frei gelegt haben. „Die älteren Fundamente sind meistens stabiler als die neueren“, sagt er. Alle Befunde werden markiert, fotografiert, dokumentiert. „Wenn die Bauarbeiten beginnen, wird alles herausgerissen. Dann ist es unwiederbringlich verloren. Deswegen wollen wir es retten. Aber retten ist nur möglich, in dem man es dokumentiert und die Funde aufhebt“, sagt er. „Den Bau aufhalten oder verhindern, das will niemand“, sagt er. Sechs Wochen haben er und seine Mitarbeiter dafür Zeit. Die sei knapp bemessen, reiche aber.

Mit den Daten können wissenschaftliche Arbeiten entstehen, „aber auch für die Stadtentwicklung ist das interessant. Jetzt hat man eine Vorstellung, dass hier das Töpfergewerbe war. Auch über die Ausdehnung der Stadt bekommt man eine Vorstellung“, erzählt er weiter.

Interessant sei auch, was man nicht findet. Nämlich Hinweise auf eine slawische Siedlung in dem Bereich. „Davon gab es immer eine Vorstellung, aber wie haben keine Hinweise gefunden in diesem Bereich. Deswegen muss die Siedlung wo anders bestanden haben.“

Vorsichtig legen die Grabungsmitarbeiter Hans-Joachim Rogosch und Peter Boßmann den zweiten Ofen frei. In einem Eimer sammeln sie Scherben. Koch greift rein, holt eine Scherbe heraus und sagt: „Keramik, frühes 13. Jahrhundert“, dann lässt er die Scherben wieder in den Eimer fallen. Zusammensetzen würde man das nur, wenn man genügend große Stücke fände, die augenscheinlich zusammenpassen, sagt er. „Bei so vielen kleinen Stücken verzichtet man eher darauf.“

Für Grabungsmitarbeiter Rogosch ist es die vierte Grabung in Zerbst. Der Bernburger war dabei, als an der Nicolaikirche die Bushaltestelle entstand. „Das waren zwei Grabungen.“ Auch bei der Sanierung der Klappgasse hat er feinsäuberlich Spreu vom Weizen getrennt, oder besser: Sand von Befunden. „Erfahrung“, sagt er, während er ohne aufzusehen weiter sein Werk verrichtet. Mit den Jahren bekomme man einen Blick für die wichtigen Dinge. Sein Kollege Boßmann war noch nie in Zerbst. „Aber mein Bruder war bei den Grabungen am Markt dabei“, fügt er an. Das Team werde immer wieder neu zusammengestellt. Je nachdem, wo gegraben werde, werden die Leute angefragt. „Wenn wir Zeit haben, sind wir dabei“, so Rogosch. Die sechs Wochen in Zerbst seien eine vergleichsweise geringe Zeit. Manchmal dauern Grabungen auch ein halbes Jahr. Von morgens um sieben bis viertel fünf dauert die Schicht, dann geht es zurück nach Hause. Beide haben einen Garten, aber gegraben wird da nicht. „Ich habe nur Rasen“, sagt Rogosch und lacht. „Ich nicht nur, aber graben muss ich auch nicht. Nach acht Stunden graben, ist man froh, wenn man das nicht mehr tun muss.“ Denn nur mit dem Pinsel arbeiten die Männer nicht. Das sei nur was für das Fernsehen. Es kommen zwar auch Bagger zum Einsatz, „aber mit denen kommt man nicht überall ran. Die Wände da drüben haben wir mit dem Spaten freigelegt. So 1,50 mal zwei Meter hebt man dann schon mal zwei Meter tief aus“, sagt Boßmann. Was das Spannendste war, das sie freilegten, können die beiden nicht sagen. Aber alte Gräber und Verstorbene waren auch dabei.

Dr. Stefan Koch vermag das auch nicht genau zu sagen. „Die Bombentrichter freizulegen und die verbrannte Erde zu sehen ist aber schon etwas bemerkenswertes. Krieg ist immer so etwas Abstraktes. Wenn man das sieht und dann noch mit Leuten spricht, die sich daran erinnern, wird die Geschichte lebendig. Da merkt man plötzlich, was man an 70 Jahren Frieden eigentlich hat.“