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Bildung Eltern kämpfen gegen Lehrermangel

Es geht um die Bildung unserer Kinder. Die Situation an der Walternienburger Grundschule hat die Eltern auf den Plan gerufen.

Von Petra Wiese 23.08.2018, 01:01

Walternienburg l „Die Hütte brennt“, drückte es Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD) aus. Er war am Dienstagabend zur Elternversammlung nach Walternineburg gekommen, die von den Elternsprechern der Klasse 3 einberufen worden war. Der Grund: der Mangel an Lehrern.

„Für uns ist es eine Herzensangelegenheit, weil es um die Zukunft unserer Kinder geht“, eröffnete Florian Sens, dessen Sohn in die 3. Klasse geht, den Abend. Zahlreich waren die Eltern aus allen Klassen erschienen, Elke Meyer als schulfachliche Referentin im Schulamt, Vertreter des Ortschaftsrates Walternienburg. Auch Bildungsminister Marco Tullner war eingeladen - zu kurzfristig.

Vor allem die 3. Klasse ist betroffen, da ihre Klassenlehrerin die neue 1. Klasse übernommen hat, und die Drittklässler nun von einer Lehrerin betreut werden, die zum Jahresende in Rente geht, vorher aber noch krankheitsbedingt ausfallen wird. Doch das ist nicht das einzige Problem, wie Schulleiterin Sigrid Kratky den Sachstand darstellte. Die derzeit noch vier Lehrer können mit ihrem Stundenvolumen nicht alle Stunden abdecken. Außerdem fehlt die fachliche Qualifikation für alle Fächer. „Wir haben keinen Sportlehrer mehr und keine Kollegin mit Englischabschluss“, erklärte Kratky.

Nun gibt es einen Stundenplan für die Klassen, mit dem alle vorgeschriebenen Deutschstunden, Mathe- sowie Heimat- und Sachkundestunden gewährleistet werden können. Musik und Gestalten sichern die Kollegen mit ab. Außerdem müssen die Betreuungszeiten in der Grundschule mit verlässlichen Öffnungszeiten abgedeckt werden. Für den Ethikunterricht gibt es eine Abordnung aus Aken an einem Tag, auch Religionsunterricht wird erteilt. Das Problem liegt also bei Englisch und Sport.

„Wir haben auf eine volle neue Kollegin gehofft“, ließ die Schulleiterin die Eltern wissen. Das Landesschulamt konnte bisher allerdings nicht weiterhelfen. Es sieht schwierig aus in der Region. Die Situation ist an anderen Zerbster Grundschulen ähnlich. „Wichtig ist es, dass wir möglichst schnell die Mangelsituation beseitigen“, so Sigrid Kratky.

„Ich habe keinen Lehrer mit“, stellte sich Elke Meyer in der Walternienburger Turnhalle vor und betonte, freiwillig gekommen zu sein, um zu vermitteln, wie sehr man die Arbeit der Kollegen vor Ort schätze und zu zeigen, dass man die Kollegen nicht alleine lasse. Die Lehrerstelle in Walternienburg war ausgeschrieben. Die Ausschreibung war erfolglos. Auch auf die zwei Stellen in Zerbst habe es keine Bewerber gegeben, erläuterte Meyer. Die Zahl der Stellen, die attraktiver sind, sei einfach höher als die Zahl der Menschen, die sich bewerben. „Wir haben noch ganz andere Krater“, erklärte die Referentin, dass Walternienburg nicht auf Platz eins der Nachbesetzungsliste steht. „Ich werbe um ihr Vertrauen, wir machen unsere Arbeit“, wandte sich Elke Meyer an die Eltern.

Die wollen sich allerdings nicht mehr länger hinhalten lassen. Es sei doch nicht erst seit gestern bekannt, wenn eine Kollegin in den Ruhestand geht, schimpften die einen. Wie lange sollen wir noch Geduld haben, wollten andere wissen. Warum gelang es nicht, die Kollegin zu binden, die vor einem Jahr noch als pädagogische Mitarbeiterin an der Schule war? Können Englisch oder Sport in Form von Arbeitsgemeinschaften abgedeckt werden? Wie lange dauert der Prozess, wenn jemand Interesse hätte?, so die anderen Fragen.

Offensichtlich hatten einige Eltern sogar Kandidaten im Ärmel. Und selbst im Publikum fand sich eine Diplomlehrerin, die seit einem Jahr auf Stellensuche ist. Jahrelange Erfahrungen im Unterrichten reichen aber offensichtlich nicht aus. Sie schilderte mit welchen Begründungen ihre bisherigen Bewerbungen an verschiedenen Einrichtungen abgelehnt wurden: falsche Fächerkombination, keine Sonderschulqualifikation. Vielleicht sei sie auch zu alt. Als Diplomlehrerin bräuchte sie sich da an einer Grundschule wohl gar nicht erst bewerben…

Dass Alternativen möglich sind, deutete Elke Meyer an. Interessenten müssten aufpassen, wenn das nächste Fenster für eine Bewerbung aufgeht, verwies sie auf den Landesbildungsserver. „Wir spielen auch Plan B und Plan C zeitgleich durch“, so die schulfachliche Referentin. Zu konkreten Verfahren dürfe sie allerdings nichts sagen. Lassen sie uns noch bis Oktober warten, bat sie. Das sei zu spät, glauben die Eltern, die sich in der Pflicht sehen, dafür zu sorgen, dass ihre Kinder Englisch lernen.

Elke Meyer machte deutlich, dass das Problem nur auf einer anderen Ebene gelöst werden kann. Die Politik sei gefragt, mit dem Erbe der vorherigen Landesregierung umzugehen. Es fehlten jetzt die Lehrer, die nicht ausgebildet wurden beziehungsweise die abgewandert sind.

„In Krisensituationen muss ich mein Handwerkszeug ändern“, meinte Bürgermeister Dittmann. Man sollte weg von Bewerbungsfenstern und mal die Säcke an beiseite gelegten Initiativbewerbungen durchforsten. Die bisherige Praxis funktioniere eben nicht in Ausnahmesituationen. Dass die Hütte brennt, scheine im Bildungsministerium noch nicht angekommen zu sein. „Das muss jetzt artikuliert werden“, so Dittmann, der bekräftigte, dass die Stadt weiter dazu stehe, alle vier Grundschulen im Umland zu erhalten: „Wir wollen eine Absicherung auch unter Hinzunahme von anderen Einstellungsformaten.“

Andreas Dittmann schlug einen Mehrphasenplan vor. Eine Unterschriftensammlung der Eltern, auch wenn die 3. Klasse sich schon schriftlich an den Minister gewandt hat. Als Bürgermeister wolle er das Problem dann über den Städte- und Gemeindebund transportieren, der ein Sprachrohr gegenüber der Landesregierung und der Landespolitik sei. „Ich hoffe, dass es ein Aufschrei wird, der gehört wird“, so Dittmann. Außerdem solle man an die Landespolitiker des Wahlkreises herantreten.

Der Bürgermeister möge im Ministerium vorstellig werden, schlug Margitta Steinz vom Ortschaftsrat vor, worauf dieser jedoch mehr auf die Gesamtaktion setzt, sich aber keinesfalls zu Versprechungen hinreißen ließ.

Erst wenn etwas brennt, kommen die Leute so schnell wie möglich, kam aus der Elternschaft schließlich die Anregung, sich mit anderen Schulen zu vernetzen, um etwas in Bewegung zu setzen: „Das kann nur gemeinsam gehen.“ Wenn dann viele Eltern in Magdeburg für ihre Kinder und deren Bildung auftreten, würde das schon Eindruck machen. Nun gilt es, Initiative zu ergreifen – nur backen kann niemand Lehrer oder Lehrerinnen.