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Experte In der Kinderstube der Wölfe

Was macht ein Wolfs-Beauftragter? Die Volksstimme hat den neuen Wolfsbeauftragten des Jerichower Landes Marius Kühl begleitet.

Von Nicole Grandt 11.03.2020, 00:01

Burg/Altengrabow l Was zunächst nach einem beschaulichen Gespräch zur Berufsvorstellung an einem Schreibtisch mit Kaffeetrinken klang, wurde zu einem aufregenden Termin, der den Beruf von Marius Kühl in ein anderes Licht rückt, als zunächst angenommen.

Gleich als erstes stellt sich heraus, dass es gar nicht so einfach ist, das Revier des Wolfsbeauftragten zu betreten. Da es sich beim Truppenübungsplatz in Altengrabow um militärisches Gelände handelt, müssen Besucher zunächst einige Schranken passieren, Unterschriften leisten und versichern, den Sicherheitsbestimmungen der Kommandantur Folge zu leisten. „Sie glauben gar nicht, wie oft das passiert, dass Leute etwas Metallisches finden und fragen, ob sie das mitnehmen dürfen“, lacht der 25-Jährige Revierförster. Hier könnte es sich um Alt-Munition handeln, die eine Gefahr darstellt.

Nachdem die bürokratischen Fragen geklärt sind, geht es in den Geländewagen des Wolfs-Beauftragten. Dort wartet bereits sein Hund, der ihn oft auf der Arbeit begleitet. „Bei diesem Job ist man manchmal schon etwas allein, aber ich hab ja ihn dabei“, meint Marius Kühl mit einem Blick auf das Tier.

Hat er schon Wölfe im Revier gesichtet hat? „Nicht in diesem Revier, aber ich arbeite hier ja auch erst seit einem Monat“, erklärt er. Das Interesse am Wald und an den dort lebenden Tieren sei ihm sozusagen in die Wiege gelegt worden. „Mein Vater und mein Großvater haben schon in diesem Beruf gearbeitet, daher bin ich damit aufgewachsen und hatte schließlich selbst den Wunsch, diesen Beruf zu ergreifen.“ Er fügt hinzu: „Und Sie werden sehen, das ist kein Beruf wie jeder andere.“

Während der Geländewagen buchstäblich über Stock und Stein und durch tiefe Pfützen fährt, bremst der Wolfs-Beauftragte plötzlich ab und springt aus dem Auto. Was ist passiert? Schon kniet Marius Kühl vor dem Wagen auf dem sandigen Boden. „Eine Wolfsspur. Allerdings schon etwas älter“, meint er bestimmt. „Das kommt mit der Routine des Jobs, dass man solche Details erkennen kann.“ Nicht weit von der Fährte befindet sich das nächste Ziel: eine Kamera. „Davon haben wir einige im Revier. Sie sind an Orten platziert, an denen die Wölfe des Öfteren vorbeikommen“, erklärt der Wolfs-Beauftragte, während er die Speicherkarte entnimmt.

Wird auf dem Laptop-Bildschirm gleich ein Wolf zu sehen sein? Oder ein ganzes Rudel? Zu sehen sind Kraniche und Wildschweine. Wölfe hat die Kamera allerdings keine aufgenommen. Marius Kühl zuckt mit den Schultern: „Die Tiere haben wahrscheinlich in letzter Zeit hier einfach nicht getrunken.“ Dann schlägt er vor, zur nächsten Kamera zu fahren. Dies dauert allerdings eine Weile. „Das Gelände des Übungsplatzes ist etwa 9.000 Hektar groß“, erzählt der Revierförster und zeigt die Karte. Und dennoch ist das riesige Gebiet nicht mal das komplette Revier des Rudels. „Wölfe können pro Tag bis zu 70 Kilometer laufen und gerade, wenn sich junge Wölfe ein eigenes Revier suchen, sind sie manchmal unheimlich lange unterwegs.“

Während die nächste Kamera angesteuert wird, entdeckt der Wolfs-Beauftragte auf dem Weg vor dem Auto wieder etwas Interessantes, was zunächst nur ein kleiner, dunkler Fleck zu sein scheint, sich dann aber als Hinterlassenschaften eines Tieres entpuppt. „Höchstwahrscheinlich von einem Wolf“, so Kühl und deutet auf die zahlreichen Wildschweinhaare, die im Kot des Tieres zu erkennen sind. Sicher bestimmen könne er das aber nicht, denn dazu sei diese Probe zu alt. „Um die DNA eines Tieres bestimmen zu können, müssen die Proben frisch sein. Hier kann schon alles Mögliche an Verunreinigungen dazu gekommen sein. Zum Beispiel von diesem Dachs“, erklärt er und deutet auf eine undeutliche, kleinere Spur, deren Entdeckung ebenfalls das geübte Auge eines Experten erfordert.

Wie viele Wölfe leben hier eigentlich? „Hundertprozentig kann ich das nicht sagen, aber anhand der Daten die ich und mein Vorgänger gesammelt haben, gehen wir von sechs bis acht Tieren aus. Welpen gab es im vergangenen Jahr wohl keine, aber ich bin schon gespannt, ob es in diesem Frühjahr welche geben wird.“ Insgesamt sind 55 Welpen in diesem Revier geboren worden und zum großen Teil dann in andere Gebiete abgewandert. „Das Altengrabower Revier ist sozusagen die Kinderstube der Wölfe“, scherzt Kühl.

Kurz bevor die nächste Kamera erreicht wird, gibt es wieder eine Vollbremsung. Marius Kühl deutet auf Abdrücke auf dem Boden. Wieder eine Wolfsspur. Und nach Angaben des Experten eine ganz frische. Wenn die Spur so frisch ist, ist der Wolf vielleicht sogar noch in der Nähe der Straße? „Wölfe mögen Wege, auf denen kommen sie gut voran“, erklärt Marius Kühl. Er entdecke die Spuren oft auf den Straßen und Wegen entdecken. Plötzlich ist die Spur zu Ende, verliert sich rechts von der Straße. „Vielleicht finden wir sie wieder“, gibt sich der Wolfs-Beauftragte zuversichtlich. Doch der Wolf hat seine Verfolger offensichtlich ausgetrickst, die Spur taucht nicht wieder auf.

Der nächste Stopp ist an der Kamera. Wieder steigt die Spannung, als Marius Kühl die Daten auf seinen Laptop zieht. Damwild ist zu sehen. Und ein Dachs aus sehr vielen Perspektiven. „Der ist oft hier, den kenne ich schon“, lacht der Wolfs-Beauftragte. Es folgen mehrere Fotos von einem Fuchs. Dann hält er inne und deutet auf ein Foto, auf dem man einen Hinterlauf eines größeren Tieres erkennen kann. „Schade, der war zu schnell. Aber das ist eindeutig ein Wolf.“ Der Blick schweift über die Schulter. Nach den vorherigen Hinweisen und dem Foto, das vor kurzem hier entstanden ist, scheint das Raubtier plötzlich zum Greifen nah.

Wie sollte man eigentlich reagieren, wenn dann doch ein Wolf auftauchen sollte? „Auf keinen Fall wegrennen“, macht Marius Kühl deutlich. „Das könnte der Wolf falsch interpretieren. Am besten stehen bleiben, laut rufen oder in die Hände klatschen. Wölfe sind zwar neugierig, aber dann würden sie schnell das Weite suchen.“ Auch wenn der Wolfs-Beauftragte Befürchtungen, gerade von Nutztierhaltern versteht, gibt er zu bedenken, dass bisher kein Angriff von Wölfen auf Menschen in Deutschland bekannt ist. „Wir vom Bundesforst sind auf dem Truppenübungsplatz den Wölfen gegenüber positiv eingestellt. Sie stören hier niemanden und richten auf dem Übungsplatz keine Schäden an. Ich kann aber verstehen, dass Schäfer oder andere Tierhalter das anders sehen, schließlich ist es ja mit dem Aufstellen eines Zaunes nicht einfach getan um die Tiere zu schützen.“ Auch wenn er sich der Reibungspunkte bewusst ist, die das Thema Wolf in Diskussionen darstellt, sieht er seine Tätigkeit als spannende Aufgabe. „Ich habe dadurch noch mal einen anderen Blickwinkel auf das Revier und in die Natur gewonnen.“

Die Fahrt durch das Revier von Marius Kühl und dem Altengrabenower Wolfsrudel hat mehrere Stunden in Anspruch genommen und dennoch wurde nur ein kleiner Teil erkundet. „Ich bin natürlich nicht jeden Tag nur wegen des Wolfes unterwegs, ich muss mich ja auch nach den Truppenübungen richten und andere forstliche Aufgaben wahrnehmen. Die Natur kennt eben keinen Acht-Stunden-Arbeitstag.“