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Serie Advent im Zerbster Kinderheim

Der Volksstimme-Reporter Thomas Kirchner begleitet junge Bewohner des Zerbster Kinderheims durch die Adventszeit.

Von Thomas Kirchner 12.12.2018, 05:00

Zerbst l An was denken Sie, wenn Sie das Wort Kinderheim hören? An Waisenhäuser und Schlafsäle mit langen Reihen karger Betten, uniformiert gekleidete Kinder – böse Kinder, die vor einem großen Pott Suppe Schlange stehen, Erzieher mit einschüchterndem Blick und Rohrstock in der Hand? Da bekommt man schnell besagtes Kopf-Kino – mit einem schlechten Film und Szenen voller Entbehrung, Erbarmungslosigkeit, Einsamkeit.

Kinderheim, das klingt für viele noch immer ein bisschen böse. Man assoziiert damit einen Ort der Strafe ohne Wärme und Geborgenheit. Ich möchte Ihnen gerne zeigen: Ein Heim ist keinesfalls ein dunkler Ort, sondern wie der im Namen steckt, ein Heim – ein Zuhause auf Zeit. So ist es auch im Kinderheim „Geschwister Scholl“ des Albert-Schweitzer-Familienwerkes in Zerbst.

Warum die Kinder nicht zu Hause leben können oder wollen, darüber sprechen sie nicht gern. Sie leben lieber in der Gegenwart. Und da fühlen sie sich wohl. Ganz offen kommen sie auf mich zu, berichten von ihrem Alltag, der Schule, ihren Hobbys.

Doch die Vorurteile, Klischees und ein antiquiertes Bild von Kinderheimen im Kopf lassen sich nicht so einfach über Bord werfen. Ich sehe und erlebe nichts, wofür sich die Kinder schämen müssten, ganz im Gegenteil.

„Wir haben hier alle unser eigenes Zimmer beziehungsweise leben zu Zweit im Zimmer und dürfen das auch nach unserem eigenen Geschmack gestalten“, erzählen mir die Mädchen und Jungen. Laptop, Handy und i-Pod gehören selbstverständlich dazu, wie bei allen anderen Gleichaltrigen auch.

Jetzt, zu Beginn der Adventszeit, zieht natürlich eine ganz besondere Stimmung in die Häuser. Das ist bei den „Scholl-Kindern“ nicht anders. Erst vor knapp einem Jahr wurde der Neubau am Gartenweg feierlich eingeweiht. Das neue Domizil verbindet Offenheit, Rückzugsmöglichkeiten mit ganz viel Licht, Geborgenheit und Gemeinschaft, was übrigens genauso auch für das Vorderhaus an der Breite zutrifft.

Insgesamt leben derzeit 19 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 16 Jahren in den beiden Wohngruppen. „Gerade das Gefühl von Gemeinschaft ist uns wichtig“, sagt Peggy Müller-Pryk, Mitarbeiterin im Geschwister-Scholl-Heim. Die Betreuung sei familienorientiert ausgerichtet. Und genau den Eindruck habe ich vom ersten Moment an. Ich fühle mich wie zu Besuch bei einer großen Familie. Auf dem Hof wird derweil der erste Weihnachtsbaum geschmückt. Die Kinder sitzen an ihrem riesigen Esstisch und basteln Weihnachtsbaumschmuck.

„Der ist für Netto bestimmt, da fahren wir bald hin und schmücken dort den Baum damit“, erzählen mir die Kinder. Und nur einige Tage später, am Nikolaustag, reisen dann auch Azubis der Supermarktkette in Zerbst an. Im Gepäck haben sie jede Menge Backzutaten. Und nur Minuten späten verwandeln die Kinder die Küche in die viel besungene Weihnachtsbäckerei. Es duftet lecker – eben nach Advent. Leuchtende Augen, Kinderlachen und Plätzchen wohin ich auch blicke.

„Ich bin zum ersten Mal hier in Zerbst und es macht einen riesen Spaß“, ist Azubi Julia Marzinkowsky begeistert. Die Aktion gibt es schon seit vier Jahren, „eine Bereicherung für beide Seiten“, erklärt mir Jacqueline Dreyer, Regionsverkaufsleiterin. So wolle man auch das soziale Engagement der Azubis schärfen, „mit Erfolg“, sagt Dreyer.

Der Nikolaustag in den beiden Wohngruppen: Es wird gebastelt, gebacken, geredet, geschmückt, gescherzt, gegrillt, gegessen, geschenkt gealbert und gefeiert. Doch bevor der Nikolaus die kleinen Geschenke abliefert, kontrolliert er, wie überall auf der Welt, ob die Stiefel glänzen. Also hieß es natürlich am Tag zuvor – putzen, was das Zeug hält. Offensichtlich hat sich die Mühe gelohnt, denn am Ende des Tages sehe ich nur glückliche Gesichter.