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Der Fall des Linkspolitikers Gysi erinnert immer mehr an den des Sozialdemokraten Stolpe Viele Stasi-Vorwürfe und kein letzter Beweis

Von Werner Kolhoff 20.02.2013, 01:16

Für die Linkspartei sind die neuen Stasi-Enthüllungen über ihren Fraktionschef Gregor Gysi eine "Hexenjagd", wie Fraktionsvize Ulrich Maurer sagte. Gar einen Angriff auf die Würde der Ostdeutschen erkannte Parteichefin Katja Kipping. Selbst der letzte SED-Vorsitzende, Egon Krenz, warf sich in die Bresche: "Wer Gysi wegen seiner DDR-Vergangenheit denunziert, will in Wirklichkeit die Linke und ihre Wähler treffen."

Zwei Pendeldiplomaten

Diese Sätze müssten dann alle auch für den früheren Brandenburger Ministerpräsidenten, späteren Bundesbauminister und Sozialdemokraten Manfred Stolpe gelten. Denn die Fälle Gysi und Stolpe ähneln sich immer mehr. Und zwar bis ins Detail.

Stolpe vermittelte als Kirchenmann zwischen Oppositionellen und Staat. Er sorgte in einer Art Pendeldiplomatie für Freikäufe verhafteter Repu- blikflüchtlinge und Dissidenten, Familienzusammenführungen und Freiräume für kritische Gruppen. Dafür sprach er auch mit der Stasi. Oder handelte er in Wahrheit in deren Auftrag?

Stolpe wurde als "IM Sekretär" geführt, aber er erklärte stets, dass er nicht wissentlich Zuträgerdienste geleistet habe, sondern allenfalls unter diesem Decknamen abgeschöpft worden sei. Dann jedoch tauchte ein Hinweis auf, dass er 1976 eine DDR-Verdienstmedaille erhalten hatte - aus seinen Händen als Dank für treue Stasi-Dienste behauptete ein Oberstleutnant der Spitzelbehörde. Nein, aus den Händen des Staatssekretärs für Kirchenfragen, also im Rahmen seines Jobs, hielt Stolpe dagegen. Leider war dieser Staatssekretär schon tot, als die Vorwürfe Mitte der 90er Jahre auftauchten. Zwar gab es starke Indizien gegen Stolpe, aber es fehlte der letzte Beweis. 1999 wurden die jahrelangen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen endgültig eingestellt.

Auch Gysi war ein Pendeldiplomat: Er vertrat als Anwalt DDR-Oppositionelle und versuchte für sie etwas beim Staat herauszuholen. Oder vertrat er in Wirklichkeit den Staat gegen sie, wie 1998 der Immunitätsausschuss des Bundestages feststellte? Im Fall Gysi ist jetzt ebenfalls eine Ehrung aktenkundig geworden. "IM Notar" erhielt 1985 eine Münze und eine von Stasi-Chef Erich Mielke unterzeichnete Urkunde "als Zeichen des äußeren Dankes für die große Unterstützung bei der Durchführung der uns von Partei und Staatsführung gestellten Aufgabe". Das besagen neu entdeckte Dokumente der Stasi-Unterlagenbehörde. "IM Notar" ist nach deren Ansicht Gregor Gysi, aber auch hier fehlt wie bei Stolpe eine persönlich unterschriebene Verpflichtungserklärung. Und Gysi bestreitet das strikt.

Es gibt zwar Indizien, doch behauptet der Links-Fraktionschef, dass "IM Notar" nur eine Art Sammelbegriff gewesen sei, unter dem die Stasi Informationen aus verschiedenen Quellen zusammentrug. Auch er will also unwissentlich abgeschöpft worden sein. Sammelbegriffe kriegen freilich keine Urkunden. Folgerichtig bestreitet Gysi ebenfalls massiv, jemals Derartiges entgegengenommen zu haben. Aussage steht auch hier gegen Aussage.

Juristische Winkelzüge

Gysi hat als gewiefter Anwalt im Streit um seine Vergangenheit bisher alle juristischen Winkelzüge genutzt. Einer von ihnen war eine eidesstattliche Versicherung, die er in einem Verfahren gegen einen Fernsehsender bei einem Hamburger Gericht abgab und in der er erklärte, dass er niemals wissentlich und willentlich "über Mandanten oder sonst jemanden" berichtet habe.

Doch jetzt tauchte ein Vermerk auf, wonach Gysi kurz nach einem Interview mit dem "Spiegel" 1989 die Stasi informiert hatte. Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt bereits wegen des Verdachts der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung. Doch Gysi hat hier ebenfalls eine Erklärung. Die Stasi-Bezirksleitung Ost-Berlin habe ihn damals als Vorsitzenden des DDR-Anwaltskollegiums zum Gespräch gebeten, und in dem sei es dann auch um das Spiegel-Interview gegangen. Das sei naturgemäß nicht geheim gewesen. Außer allenfalls eines Formfehlers wird Gysi also wohl auch an diesem Punkt wenig zu beweisen sein.