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Frische Farbe für einstiges "erstes Haus am Platz" in Schönhausen, das Hermann Rethfeld um 1880 erbaute "Fürst Bismarck": Zurück zu altem Glanz

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 14.09.2012, 05:13

Schon ein paar Jahre fließt kein Bier mehr aus dem Zapfhahn der Schönhauser Gaststätte "Fortschritt". 2002 ging eine lange Tradition als Gastwirtschaft zu Ende. Mit frischem Farbanstrich erstrahlt das einstige "Hotel Fürst Bismarck" jetzt in altem Glanz.

Schönhausen l Rund 130 Jahre alt ist das Haus Nummer 60 in der Schönhauser Bismarckstraße. "Zwischen 1880 und 1890 hat mein Urgroßvater Hermann Rethfeld die Gastwirtschaft erbaut. Schon vorher gab es hier wohl eine kleine Gaststätte", blickt Bärbel Sandhof zurück in die Geschichte ihrer Familie. Ihr Urgroßvater war aus Brettin nach Schönhausen gekommen und heiratete in eine Wirtsfamilie ein. Der Bau des großen Hauses mit Gastwirtschaft und fünf Hotelzimmern in der oberen Etage war zu damaligen Zeiten eine Herausforderung. Doch die Mühe lohnte sich. Denn das "Hotel Fürst Bismarck" stand genau an der Ortsdurchfahrt, so dass Handelsreisende gern zum Übernachten Halt machten.

"Die nächste Generation, meine Großeltern Hermann und Luise Rethfeld, machte das Haus mit der Modernisierung um 1920 dann zu einer gut laufenden Gastwirtschaft", erzählt Bärbel Sandhof, was sie aus eigener Erinnerung und aus den Erzählungen ihrer Mutter weiß. Zentralheizung, fließend warmes Wasser in allen Zimmern und sogar ein Klingelsystem, mit dem der Gast seine Wünsche in die Küche schicken konnte, waren damals etwas Besonderes.

Das Telefon der Großeltern wurde oft von den Dorfbewohnern genutzt und ab 1950 befand sich im Haus die Telegrafenstation. Die Speisen, die in der zu dieser Zeit schon sehr modernen Küche zubereitet wurden, waren nicht nur bei den Hotelgästen beliebt, sondern auch bei den Schönhausern. Die ließen sich ihr Bier auch gern vor dem Haus unter Sonnenschirmen sitzend schmecken. "Auf dem Hof betrieben meine Großeltern auch eine kleine Landwirtschaft, zu der das Schlachten von Schweinen und Kühen gehörte. Das Fleisch wurde dann gleich in der Küche verarbeitet und den Gästen serviert. Überhaupt war das Haus für sein gutes Essen bekannt, hier haben Schüler sogar das Kochen gelernt."

Und es gab einen Taxibetrieb auf dem Rethfeldschen Hof. Einer der Fahrer war Hermann Schmegal. Wenn keine Fahrt anstand, arbeitete er in den Ställen. In Gummistiefeln fuhr er dann auch los - selbst, wenn die Fürstin Herbert, wie sie damals von den Schönhausern genannt wurde, sich vom Bahnhof abholen und ins Schloss bringen ließ. Zu den Bismarcks hatte die Wirtsfamilie übrigens guten Kontakt, sie war sogar eingeladen, als Otto von Bismarcks Enkel auch namens Otto im Berliner Dom die Schwedin Ann-Mari heiratete.

Wegen der Lage direkt an der Straße gab es vor dem Haus eine Tankstelle mit einer Zapfsäule. Und gegenüber auf der anderen Straßenseite befand sich eine Waage, auf der die Pferdefuhren mit Kartoffeln, Getreide oder Kohlen gewogen wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, 1951, übernahmen Bärbel Sandhofs Eltern Marlitt und Siegfried Rethfeld die Gastwirtschaft. Die nun kaum mehr gebuchten Hotelzimmer wurden zur Wohnung umgebaut, in der auch Bärbel Sandhof aufwuchs. Doch ihre Eltern konzentrierten sich mehr und mehr auf die Landwirtschaft und verpachteten die Gaststätte, die mit Gründung der DDR den Namen "Fürst Bismarck" in "Fortschritt" änderte und dem Konsum unterstellt wurde, an Georg "Schorsch" Rottenbacher.

Erika Kersten und Familie Wengorz waren die nächsten Pächter, bevor die Schönhauserin Heidi Mika die Gaststätte viele Jahre mit Herzblut leitete. Der Gastraum war immer voll - ob zum Mittagstisch oder wenn Feierabend bei der LPG war. "Etliche Gäste sind sogar schon zum Frühstück gekommen", erinnert sich Heidi Mika. Insgesamt 35 Jahre hat sie für den Konsum gearbeitet, die meiste Zeit (Anfang der 70er und dann von 1983 bis 2002) in der "Fortschritt". Sie war gelernte Köchin, außerdem Gaststättenleiterin und Verkaufsstellenleiterin im Schönhauser Konsum. Als solche musste sie mit dem Moped sogar bis nach Mangelsdorf und Sydow fahren, wenn dort im Konsum wegen Krankheit Not am Mann war. Bauernfrühstück, Brühe mit Ei, Strammer Max oder Kartoffelsalat mit Würstchen waren die Gerichte von der Speisekarte, die am häufigsten bestellt wurden. Mittags wurden zudem bis zu 120 Abo-Essen zubereitet, "da hatten wir in der Küche immer ordentlich zu tun". Die Beschäftigten der Apotheke, Bauarbeiter oder Lehrer gehörten zu den Stammessern. "Generell hatten wir viele Stammgäste. Die Tierärzte und ihre Ehefrauen beispielsweise sind regelmäßig zum Skat- und Romméspielen gekommen, die Jugendlichen hatten ihre eigene Ecke. Und im Winter haben sich die Fahrschüler bei uns aufgewärmt, bis der Bus kam." Die Kellnerinnen und Köche arbeiteten in Schichten, montags war Ruhetag. "Kotelett und Schnitzel waren Mangelware und viele Dinge, die wir immer wieder bestellten, wurden nicht geliefert", erinnert sich Heidi Mika an die nicht immer einfachen Bedingungen zu DDR-Zeiten, "im Konsum gab es die Weihnachtsartikel oder die selten mal gelieferten Südfrüchte nur auf Zuteilung". Gern erinnert sie sich an die Silvesterfeiern des gemischten Chores im Kulturhaus, die das Fortschritt-Team ausgerichtet hat, "generell gab es in unserer Gaststätte viele Betriebsfeiern und auch Hochzeiten". Mit Umsatzprämien konnten die Beschäftigten ihren schmalen Grundlohn etwas aufbessern. "Und nach 20 Jahren Mitgliedschaft im Konsum gab es zur Belohnung eine Reise", erzählt Heidi Mika von Jalta.

Doch in der Zeit nach der Wende blieben immer mehr Stühle im Gasthaus leer. Als Heidi Mika 2002 das letzte Bier gezapft hatte, versuchte eine Wirtin aus Stendal noch einmal ihr Glück - doch die Anzahl der Gäste reichte nicht und die einst so florierende Wirtschaft schloss ihre Pforten. "Es wäre schön, wenn die alte Tradition wieder aufleben könnte", wünschen es sich Sandhofs. "Die Voraussetzungen dafür sind da, 2002 hatten wir alles umgebaut und modernisiert, so dass ein neuer Wirt gleich anfangen könnte."

Heute lebt Marlitt Rethfeld in der Wohnung über der Gaststätte, in der hin und wieder Familienfeiern stattfinden. Dass die Fassade des Hauses in den letzten Jahren bröckelte, störte Sandhofs. Sie bemühten sich um Fördermittel aus dem Dorferneuerungsprogramm und machten sich nun ans Werk. Malermeister Klaus Werner hat in den letzten Tagen den grünen Farbanstrich aufgetragen. Auch der Schriftzug "Fürst Bismarck" soll wieder zu lesen sein, um an die Zeiten als Hotel und Gastwirtschaft zu erinnern. 1991 hatte die Familie von Bismarck zugestimmt, dass das Haus wieder den alten Namen tragen darf.