1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Im Stendaler Süden entsteht ein Stadtteil

Volksstimme-Serie Im Stendaler Süden entsteht ein Stadtteil

Geliebt und gehasst: Kein anderer Ort in Stendal weckt so gegensätzliche Emotionen wie der Stadtteil Süd. In der neuen Serie frischt die Volksstimme mit Zeitzeugen alte Erinnerungen auf. Heute: Ein Stadtteil entsteht.

22.05.2015, 01:13

Stendal l "1984: 1. Baubeginn. 1985: Baubeginn. WBK (Wohnungsbau-Kombinat) Magdeburg, KB (Kombinatsbetrieb) Stendal, Betriebsteil Salzwedel." Diese etwas statisch wirkenden Einträge stammen aus den Aufzeichnungen des Stendaler Stadtarchivs. Akribisch aufgearbeitet findet sich hier die Geschichte eines Stadtteils wieder, der von 1984 an in Stendal für Aufregung sorgte. Teils, weil er mit seinen modernen Neubauwohnungen viele Stendaler anzog, teils aber auch, weil nur wenige Jahre später diese Zuzügler wieder wegzogen, weil Stendal-Süd wieder zum Abriss freigeben wird.

1987: in Stendal Süd noch keine befestigten Straßen

"Es war eine spannende Zeit", erzählt Karola Neu, die 1987 nach Stendal-Süd gezogen ist und damit eigentlich etwas Besonderes ist: "Wir waren nämlich die erste Familie, die nach Süd gezogen ist", sagt die Stendalerin weiter. "Wir sind in die Bruno-Leuschner-Straße gezogen, das ist später zur Hanseallee geworden. Vorher haben wir in einem Altbau gewohnt, mit Toilette auf halber Treppe und Ofenheizung. Ein Neubau, das war doch damals Luxus."

Keine befestigten Straßen, die Wege zur Innenstadt weit, kein Anschluss an den Nahverkehr und nur ganz wenig Menschen in der Nachbarschaft - nach einer positiven Veränderung klingt das eigentlich nicht. "Doch, doch", sagt Karola Neu und muss dabei lachen. "Wir hatten jetzt immerhin eine Badewanne, Warmwasser und eine moderne Heizung. Damit hatte das Kohleschleppen ein Ende. Sie können sich gar nicht vorstellen, was das für ein Luxus war. Nur die Straßen drumherum, die waren der Wahnsinn. Da war immer Dreck und Modder, weil ja alles aus Sand und Erde bestand. Gute Klamotten brauchte man an regnerischen Tagen gar nicht anziehen."

Zwei Jahre nach dem Baubeginn 1985 werden im neuen Stendaler Stadtteil Süd die ersten 66 Wohnungen übergeben. Der Bau des Neubauviertels steht in Zusammenhang mit der Errichtung des Kernkraftwerkes in Arneburg. Auf knapp 30 Hektar Fläche sollen hier 2800 Wohnungen gebaut werden, erklärt der damalige Kreisbaudirektor Karl-Heinz Gassner im April 1987 im Gespräch mit der Volksstimme. Bis 1990 soll das Stadtgebiet fertig gestellt sein. Neben Schulen und Kindertageseinrichtungen wird es Einkaufsmöglichkeiten geben, Cafès, Freizeiteinrichtungen und, ja, auch die Anbindung an den Nahverkehr. Was Gassner zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Bereits 1995 werden 400 Wohnungen des bis auf die letzte Wohnung besetzten Stadtteils, wieder leer gezogen sein. Weitere werden folgen. Im Jahr 2000 wird der Stendaler Stadtrat beschließen, das Wohngebiet Süd dem Abriss preiszugeben.

2800 Wohnungen sollen bis 1990 entstehen

Von all dem weiß 1987 aber auch Karola Neu nichts. Für sie und für viele andere Neu-Südler fängt hier am Rande der Stadt ein ganz neues Leben an. In einer Dreizimmer-Wohnung ist für die kleine Familie von Karola Neu ausreichend Platz. Und auch die Miete ist bezahlbar. Knapp 52 Mark bezahlt Karola Neu für die knapp 70 Quadratmeter.

"Die ersten drei Monate haben wir sogar gar keine Miete bezahlt, weil damals alles so schnell ging und niemand wusste, wie die Miete eigentlich zu berechnen ist", erinnert sich Karola Neu. 15 Jahre hat sie mit ihrer Familie in Süd gewohnt, "bis das Leben auf einmal so anders wurde. Die Menschen wurden anders, die Leute zogen weg, Freunde, Nachbarn.

Wir haben noch lange ausgehalten, uns dann aber doch für einen Auszug entschieden. Heute wohnen wir wieder mehr in der Innenstadt, in einer Altbauwohnung. Fast so wie früher, nur dass die Altbauten jetzt viel mehr Wohnqualität bieten als die Plattenbauten. Witzig, wie sich die Zeit ändert, oder?"