Mario Ganß stellt sein Buch "Behindert? - was soll\'s!" vor Offen und ohne Tabus

07.03.2013, 01:13

Von Helmut Rohm

Zerbst l In der 30. Übungsstunde beim 13. Schreibversuch schaffte es Mario Ganß am 25. Januar 1977, in 90 Minuten auf einer speziellen Schreibmaschine den überhaupt ersten eigenen Brief mit 31 Worten an seine Eltern zu schreiben. Dies ist eine von vielen sehr bewegenden Episoden, die Mario Ganß, geboren 1967, in seinem Buch "Behindert? - Was soll\'s! - Leben im Internat für Körperbehinderte in der DDR" aufgeschrieben hat.

Etwa 50 Gäste kamen am Montagnachmittag zu seiner Buchlesung im Veranstaltungsraum "Tonne" im Museum der Stadt Zerbst. Organisiert wurde diese Veranstaltung vom Behindertenkreis der Diakonie Zerbst, der ehrenamtlich von Marco Groebe geleitet wird.

Bei der Geburt bei Mario Ganß 1967 gab es Komplikationen. So kam es zum Sauerstoffmangel. Deshalb ist er Spastiker. "Das heißt, ich kann die Bewegungen meiner Arme und Beine nicht richtig koordinieren", erzählt er selbst. Auch seine Sprache sei recht undeutlich. "Doch geistig bin ich voll auf der Höhe", fügt er optimistisch und selbstbewusst an.

Als Kind lebte er in Zerbst bei seinen Eltern, war oft auch bei den Großeltern zu Besuch. Mit etwa sechs Jahren ergaben sich Fragen: Wie geht es weiter? Wie kann eine Bildung erlangt werden? Hier, und nicht nur hier, dankt er seinen Eltern, die mit viel Eigeninitiative und auch Hartnäckigkeit seine Entwicklung zielstrebig beförderten. "Auch mit etwas Härte. Meine Eltern haben mich nicht in Watte gepackt, ganz normal behandelt", berichtet er und blickt zu den hinteren Stuhlreihen, wo seine Eltern sitzen.

Von 1973 bis 1985 besuchte Mario Ganß die Polytechnische Oberschule "Geschwister Scholl" in Oehrenfeld. "Da lernte ich sehr schnell, was es bedeutet, in einem Internat zu leben", erzählt er. Vorrangig über diese ihn prägende Zeit hat er nun ein Buch geschrieben. Er selbst moderierte zum Teil. Silke Schmidt, Mitarbeiterin der Diakonie Zerbst, und seine Betreuerin Barbara vom Pflegeheim "Palais Bosse" Dessau lasen die von ihm ausgewählten Passagen.

Die Texte sind ausdrucksstark und sprachgewandt formuliert. Seine Beschreibungen sind sowohl von Emotionalität geprägt, lassen jedoch auch humorvolle Sequenzen nicht vermissen. Mario Ganß erzählt von den Ängsten und der Trauer, als plötzlich seine Mutter im Internat nicht mehr da war. Erinnerungen an seine beiden ersten Erzieherinnen, Fräulein Fischer und Fräulein Kleinert, und deren große Einfühlsamkeit werden wach. Er erinnert sich an Herrn Reimert, der ihm ein ganz persönliches Schreibpult baut. In den Textpassagen werden die Ungeduld und das fast unstillbare Drängen nach der neuen angekündigten Spezial-Schreibmaschine erlebbar vermittelt.

Mario Ganß erzählt offen, selbstverständlich und auch tabulos über das Leben im Internat. So lässt er die sehr detaillierte Erläuterung des praktischen Umgangs mit den Toiletten nicht aus. Er berichtet ebenso von seinem "Kampf" mit der Physiotherapeutin Fräulein Ziegenbarth, für deren "ungewöhnliche Methoden" er im Rückblick überaus dankbar sei. Auch heitere Episoden fehlen nicht. Da waren die Brandschutzübungen im Internat mit überraschenden Kontakten zum anderen Geschlecht.

Er sehe das "Unglück" seiner Behinderung nicht so tragisch, er kenne seinen Körper nicht anders, so der Hobbyautor. Und mit bewundernswertem Optimismus: "Ich komme mit meiner Behinderung ganz gut zurecht. Ich mache immer das Beste daraus. Und das gelingt mir meistens ganz gut".

Die Gäste dankten Mario Ganß und seinen Helfern mit viel Beifall für seine Mut machende Sicht und die bewegende Buchvorstellung.

Das Buch ist im Projekte-Verlag Cornelius Halle (Saale) erschienen, hat 326 Seiten und kostet 19,90 Euro.