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  7. St. Nicolai, bevor sie in Bomben unterging

Auch als Ruine ist die Kirche noch immer ein stadtbildprägendes Zerbster Wahrzeichen St. Nicolai, bevor sie in Bomben unterging

Von Thomas Drechsel und Antje Rohm 14.07.2012, 03:14

"Kennen Sie Ihre Heimat?" fragten wir am Donnerstag. Gesucht war die Kirche St. Nicolai in Zerbst. Das Foto entstand aus dem 1. Obergeschoss des Mittelturmes - hier stand einst die Orgel.

Zerbst l "Ich habe extra nochmal in der Foto-Sammlung meiner Mutti nachgeschaut. Das ist St. Nicolai!" Jutta Strauß aus Zerbst ist sich am Donnerstag, als sie in der Redaktion anruft und das Heimatfoto dieser Woche auflöst, sehr sicher. Und sie hat natürlich recht. Die mächtige Kirche ist ihr jedoch nur als Ruine in Erinnerung. "Mein Vater, Werner Lehmann, hat in den 1960-er Jahren einen Fotozirkel geleitet. Er hatte sich damals auch immer mal Erlaubnis und Schlüssel besorgt, um auf den Turm hinauf zu dürfen und die Stadt zu fotografieren", erinnert sich unsere Leserin.

"Ich kannte sie von innen recht gut."

Ursel Lehmann aus Zerbst wuchs im Wegeberg auf, also ganz in der Nähe von St. Nicolai. Das Kircheninnere ist ihr aus dem Jahr 1942 lebhaft in Erinnerung. "Ich war fünf, als ich mit weiteren Mädchen bei einer ganz wunderbaren Hochzeit in St. Nicolai Blumenmädchen sein durfte. Das war etwas wirklich ganz Besonderes, und das Foto hat mir all das Schöne wieder in Erinnerung gebracht. Allerdings war mir die Kirche damals viel luftiger und weiter vorgekommen, als es das Foto jetzt vermittelt."

Auf den Namen "Horst Willy" ist unser Leser Horst Zänker aus Zerbst am 13. November 1938 in St. Nicolai getauft worden. Herr Zänker wuchs in der Färberstraße auf und war als Kind noch mehrfach in St. Nicolai. "Ich kannte sie von innen recht gut", berichtet er. Da er sämtliche Publikatio- nen von Walter Tharan zur Kirche besitzt, war auch der Sicherheitsabgleich vor dem Anruf in der Redaktion schnell getan.

Jürgen Gelzenleuchter hat das Foto in der Volksstimme im Internet gefunden, er wohnt jetzt in Hessen. Sein Großonkel, Heinrich Gelzenleuchter, hat mit Dr. Wille 1945 die Stadt übergeben, daran erinnert eine Gedenktafel am Markt. Er ist noch oft zu Besuch in Zerbst und freut sich über das neue Geläut der Kirche ebenso wie über Veranstaltungen am Schloss.

"Ein Stückchen war der Aufstieg auch gruselig."

Viele gute Erinnerungen verbindet auch Lisbeth Straube mit der Zerbster Nicolaikirche. Dabei war sie "damals eigentlich nie in der Kirche selbst drin". Die damalige Fahrschülerin aus Deetz erinnert sich an die Zeit als Viertklässlerin in der Zerbster Mädchenmittelschule 1938 und später als Schülerin am Francisceum. "Wir haben oft die Wartezeit auf den Bus genutzt, um auf den Turm zu steigen. Unsere Schultaschen haben wir unten abgestellt, die blieben dort auch stehen. Der Aufstieg war schön, aber in Höhe der Glockenstube mit dem Rauschen durch die Schalllöcher auch ein bisschen gruselig. Da sind wir dann immer schnell vorbei." Beim Türmer oben haben sie stets fünf Pfennig abgegeben. Nach der Turmbesteigung ging es zum Bus, der am Roland als Zubringer zum Bahnhof abfuhr. "Ich denke viel daran, das war immer ein schönes Erlebnis", so Lisbeth Straube, die den Reiz für die damaligen Schüler unter anderem damit beschreibt, dass "man bis nach Deetz gucken konnte. Das war unsere Heimat". Im Volksstimme-Bild hat sie die Kirche auch deshalb gleich erkannt, "weil ich viele Broschüren über Zerbst habe".