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Landgericht Dessau-Roßlau feiert 20-Jähriges / Bei Spaßvorstellung fiktiver Fall nachgespielt Gericht: Posse um vier Flaschen Weinbrand

Von Franziska Richter 28.09.2012, 03:11

Spaß und Unterhaltung bei der Gerichtsverhandlung. Oder einmal in der Zelle auf die Verhandlung warten. Der Stab des Dessauer Landgerichts, das auch für straf- und zivilrechtliche Prozesse aus Zerbst zuständig ist, feierte am Dienstag den 20. Jahrestag seiner Wiedererrichtung mit einem Tag der offenen Tür.

Dessau l Richter Thomas Knief betritt getragenen Schrittes den Gerichtssaal. Bekleidet mit der Richterrobe eröffnet er die Verhandlung. Der Unterschied zu sonstigen Gerichtsverhandlungen am Landgericht Dessau sind die vielen Zuschauer: Das Landgericht beging am Dienstag den 20. Jahrestag seiner Wiedereinrichtung. Am 1. September 1992 wurde hier die bundesdeutsche Struktur der ordentlichen Gerichtsbarkeit eingeführt. In dem sonst leeren Verhandlungssaal lauschten Besucher und Schulklassen einem besonderen Spektakel.

Richter und Richterinnen des Gerichts spielten sozusagen "Barbara Salesch": Wegen vier geklauter Weinbrand-Flaschen soll der fiktive Angeklagte, ebenfalls von einem Richter gemimt, verurteilt werden. Der jedoch bestreitet alles und vermutet einen Racheakt dahinter. Weitere Rollen spielen eine verängstigte Zeugin, die nicht zwischen einem großen und einem kleinen Mann unterscheiden kann. Dazu "Keller-Bernd", gespielt von Richter und Gerichtssprecher Frank Straube, der mit Bild-Zeitung und gelangweilter Mine den Gerichtssaal betritt und sich gleich eine Rüge vom Richter wegen des Kaugummi-Kauens einfängt. Auch er bestreitet alles. "Ich trinke doch eher Klaren als Weinbrand", gibt er großkotzig von sich. Der Handlungsstrang, den sich die Richter des Gerichts für diese Spaßvorstellung ausgearbeitet haben, sorgt für viele Lacher beim Publikum. Schließlich klärt ein Polizeikommissar die Posse auf. Er hat sich den falschen Namen notiert bei der Beweisaufnahme. Der Angeklagte kommt frei.

Was die Richter und Richterinnen hier vor den Besuchern spielten, ist der Verlauf einer Berufungsverhandlung. Berufungsverhandlungen sind eines der "Hauptgeschäfte" des Landgerichtes. Allein 225 Berufungen bei strafrechtlichen Prozessen hatten die Richter im vergangenen Jahr zu beurteilen. Dazu kommen Beschwerden, die Verurteilte bezüglich ihrer Verhandlung an den Amtsgerichten, zum Beispiel in Zerbst, eingelegen. Hier fungiert das Landgericht als zweite Instanz, die den Amtsgerichten übergeordnet ist. Aber auch schwere Strafsachen werden hier in erster Instanz verhandelt. Noch mehr Fälle hatten die Richter das Zivilrecht betreffend zu beurteilen: Hier laufen erstinstanzliche Verfahren ab einem Streitwert von 5000 Euro und zweitinstanzliche Verfahren, wo Beschwerde oder Berufung gegen schon verhängte Urteile eingelegt wird.

Einmalig war beim Tag der offenen Tür auch die Gelegenheit, sich zwischen Aktenschränken und Amtszimmern umzusehen. Sabine Faßhauer, Geschäftsleiterin des Landgerichtes, und ihr Stellvertreter führten durch das gesamte Justizzentrum: Dieses wurde erst in diesem Jahr im Zuge der Feierlichkeiten um Anhalt in "Justizzentrum Anhalt" umbenannt und siedelt neben dem Landgericht auch das Arbeits-, Sozial-, Finanzgericht sowie das Landesverfassungsgericht in der Willy-Lohmann-Straße in Dessau an.

Angefangen bei der Poststelle, wo täglich drei Kisten Post, Lieferungen von Kurieren und massenweise Pakete ankommen, führte Sabine Faßhauer weiter zur Geschäftsstelle des Landgerichts. Hier laufen Akten ein, hier wird alles protokolliert. Berührend war der Zeugenschutzraum: Zwei Bürgerarbeiterinnen betreuen hier Frauen oder Kinder, die Zeugenaussagen machen müssen und Opfer von Gewalttaten geworden sind. "Ganz schlimm" sei es im vergangenen Jahr gewesen, sagte eine der Bürgerarbeiterinnen. Besonders vielen Kindern, die sexuell missbraucht wurden, musste sie beistehen. Der Jüngste war fünf Jahre alt. Sabine Faßhauer öffnete auch die Wachtmeisterei mit den beklemmend engen Zellen und weitere Verwaltungsräume des Gerichts.

In der folgenden Feierstunde erfuhr das Gericht noch einmal eine offizielle Würdigung mit der Festrede des Präsidenten des Landgerichts a.D. Hans-Jürgen Diederichs und dem Vortrag des Rechtshistorikers Heiner Lück.