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Luther-Baum 2012 gepflanzt, weitere Baum-Spenden werden in kommenden Tagen gesetzt Krawczyk-Lieder fast wie ein Gottesdienst

Von Thomas Drechsel 01.11.2012, 01:10

Der Bürgermeister pflanzt mit den Evangelischen der Stadt einen Luther-Baum, im Museum ist die Gutenberg-Presse im Gange. Die Zerbster Reformationstag-Bräuche wurden 2012 von einem Liederabend mit Stefan Krawczyk eingeläutet.

Zerbst l Man könne "in die seit 2007 jährlich wiederkehrende Lutherbaum-Pflanzaktion einiges hineindenken. Das Wichtigste", fand Bürgermeister Andreas Dittmann gestern, bevor er gemeinsam mit Heinz-Jürgen Friedrich und Bruno Griesel den Lutherbaum 2012 vor die Trinitatiskirche setzte, "das Wichtigste ist Luthers Grundgedanke von Aufbruch und Erneuerung, ausgehend von der Bürgerschaft." Luthers Thesenanschlag gestern vor 495 Jahren in Wittenberg ist den Protestanten der Welt, so auch denen in Anhalt, besondere Aktionen wert. 2007, somit zehn Jahre vor dem 500. Jubiläum jenes Veröffentlichen von Thesen zur Reformation der Kirche wie der Gesellschaft, begann die "Luther-Dekade" und mit ihr viele Einzel-Aktionen. In Zerbst werden, der Idee von Gemeindepfarrer Thomas Meyer folgend, von Bürgern und Stadt gespendete Bäume - Luther-Bäume - gepflanzt. Schon mehr als 50 sind es mittlerweile. Pfarrer Meyer hatte alle Spender zum gestrigen Reformationsgottesdienst eingeladen. Er dankte ihnen und animierte zu weiteren Spenden. Was auch den Bürgermeister freuen dürfte. "Diese Aktion tut dem Klima der Stadt gut." Die Bürgerschaft sei aktiviert, zugleich aufgefordert, ihr Lebensumfeld zu verbessern.

Als der Baum gepflanzt war, setzte sich eine kleine Schar des für Zerbst zentral in St. Trinitatis abgehaltenen Gottesdienstes in Richtung Museum ab. Hier ermöglichten Museumsleiterin Agnes-Almut Griesbach und Mitarbeiterin Juliane Kunze erneut einen "Reformationsdruck". In diesem Jahr hatte Frau Kunze den Linolschnitt gefertigt: Das 2012-er Motiv ist den Kreuzgängen des Museums entlehnt, und wer dort wohl wandelt, ist der Phantasie des Betrachters überlassen - es könnte Luther selbst sein. Gestern war fürs erste vor allem das Drucken interessant. Für die Interpretation bleibt Zeit, wenn alles trocken ist.

Vielleicht 40 interessierte Gäste hatten sich am Vorabend des Reformationstages in St. Trinitatis eingefunden: Stefan Krawczyk war mit seinem Programm "erdverbunden - luftvermählt" zu Gast. Man kann sich gut auf den Liedermacher einlassen - seine Thesen zum Leben, zur Gesellschaft, zum Umgang miteinander sind klar moderner als Luthers, ansonsten ähnlich. Mit Luther befasst habe er sich aus Zufall: Seine Agentur buchte ihn versehentlich für einen "Vortrag über Luther. Ich sollte dann aber nur ein paar Liedchen in der Pause eines Kongresses über die Reformation spielen", trug er schmunzelnd vor. Mit dem Reformator befasst hat er sich dann sehr, "zu Beginn mehr als Künstler". Immerhin sei jener ein Meister des Wortes gewesen, habe die Bibel übersetzt. Krawczyk zitierte und kommentierte Luther mehrfach: Die Gesellschaft dürfe ihre Kinder nicht vernachlässigen beispielsweise. "Siehst Du ein Kind, begegnest Du Gott auf frischer Tat." Krawczyk liest aus seinem Buch "Mensch Nazi", das eigene Thesen birgt: Dass es falsch ist, wenn eine Gesellschaft Nazis ächtet, tabuisiert, gedanklich verbannt. "Das ist den jungen Menschen nicht angemessen." Er wirft Streiflichter aufs eigene Leben: Die Abschiebung 1988, den Verlust von Familie, Freunden, Heimat, die "bessere" Gesellschaft. Es schien, als sei der Mann jetzt, bei Luther, irgendwie angekommen.

Der Liederabend hatte unglaublich Tiefgang. Dass die Kirche knapp besetzt war, machte Krawczyk auf drei Gitarren, einem Bandoneon, einer Maulschelle oder ausschließlich singend vergessen. "Ein solch guter Liederabend kann glatt einen Gottesdienst ersetzen", meinte Pfarrer Meyer und dankte mit Blumen und selbst gepresstem Apfelmost.