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In Sachsen-Anhalt entsteht an der A-14-Baustelle bei Colbitz gerade eine Tierbrücke der neuen Art Autobahnbau: Vorfahrt für Fledermäuse

Von Jens Schmidt 04.12.2013, 02:07

Magdeburg l Straßen zerschneiden die Lebensräume von Reh und Luchs. Die EU duldet das nicht länger. Wer neu baut, muss auch Brücken für Tiere einplanen. Das gilt auch für Flugsäuger. Bei Colbitz wird gerade Sachsen-Anhalts erste Fledermausbrücke bepflanzt.

Deutsche Fledermausbrücken sind mittlerweile auch international einem breiteren Publikum bekannt. Das haben sie dem Steuerzahlerbund zu verdanken. Der hat in seinem aktuellen Schwarzbuch zwei dieser Bauwerke in sein Sündenregister fragwürdiger Projekte aufgenommen. Die beiden Brücken queren seit diesem Jahr eine Umgehungsstraße im schwäbischen Biberach. Sie sind fünf Meter breit und kosteten 400 000 Euro.

Der Internet-Ausgabe der britischen "Daily Mail" war das jetzt eine Geschichte wert. Die Leser im fernen Großbritannien kommentierten den Vorgang eifrig. Einige witterten britische Behörden dahinter. ("Wir wussten gar nicht, dass ein paar unserer verrückten Beamten nach Deutschland umgezogen sind.") Nur wenige lobten das deutsche Umweltbewusstsein: "Well done, Germany" (Gut gemacht, Deutschland.)

Dabei sind die beiden schwäbischen Brücken genau besehen Winzlinge. Welche Dimensionen eine Fledermausbrücke haben kann, wird gerade in Colbitz gezeigt. Die Querung ist nicht vier Meter, sondern 30 Meter breit. Sie überspannt hier die künftige Nordverlängerung der A 14 und dient zugleich als Wirtschaftsweg. Darauf ein mehr als 20 Meter breiter Grünstreifen mit 1360 Sträuchern sowie Bäumen und Gras. Tieffliegende Arten wie das Große Mausohr orientieren sich daran. Die Brücke soll ihnen ein Leitwerk sein, um beim Flug von einem Revier zum anderen die Autobahn zu überwinden. Kosten: 3,5 Millionen Euro. Dreimal mehr als bei einer herkömmlichen Brücke ohne Grünzeug. Es ist die erste Fledermausbrücke in Sachsen-Anhalt. Es wird nicht die letzte sein.

Auf der Trasse zwischen Magdeburg und Schwerin entstehen allein auf Sachsen-Anhalts Terrain sechs Brücken dieser Art. Hinzu kommen elf Fledermaustunnel, da manche Arten wie die Wasserfledermaus die Straße lieber unterqueren. Außerdem sind weitere elf Grün- und Wildquerungen geplant, damit auch größere Tiere wie Reh, Hirsch und Wildschwein die Piste gefahrlos passieren können.

Das verschärfte europäische und deutsche Naturschutzrecht hatte schon in den 1990er Jahren die Latte für große Straßenbauten höher gelegt. Grob gesagt: Die ohnehin schon stark zerschnittenen Lebensräume der Tiere dürfen nicht weiter fragmentiert werden. Soll eine neue Verkehrsader wachsen, müssen die Planer nachweisen, wie sie die trennende Wirkung von Straßen, Gleisen oder Kanälen weitestgehend minimieren. Die Vorgabe: Die Lage darf sich für die Tiere nicht verschlechtern. Die Insellage immer kleiner werdender Lebensräume gefährde die genetische Durchmischung. Nicht zuletzt gehe es auch darum, die hohe Zahl der Wildunfälle zu senken.

Richter entscheiden für die Maus

Die hohen Maßgaben betreffen ebenfalls Gebiete mit vielen Fledermäusen, da die Tiere streng geschützt sind. Straßenplaner besitzen mittlerweile eine entsprechende "Arbeitshilfe", auf der die Empfindlichkeiten der Arten gelistet sind: Beim Braunen Langohr etwa besteht hohes Kollisionsrisiko mit Lastern; die Kleine Bartfledermaus wiederum mag keine revierzerschneidenden Straßen.

Zunächst legten die deutschen Gerichte die Vorgaben großzügig aus - zugunsten der Straßenbauer. Seit 2007 gilt das nicht mehr. Damals scheiterte Sachsen-Anhalt vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit dem Weiterbau der A 143 im geschützten Saaletal bei Halle. Das Urteil gilt als Zäsur. Seitdem rüsten die Planer die Autobahnen ökologisch auf, um bei den unvermeidlichen Klagen nicht erneut ins Schleudern zu geraten.

Dass die Richter streng sind, hat in diesem Monat Schleswig-Holstein gespürt. Dort wurde der Weiterbau der A 20 bei Bad Segeberg vorerst gestoppt. Die Planer fielen vor Gericht durch, weil der Fledermausschutz nicht ausreichend berücksichtigt wurde.

Bei der A 14 werden meist ohnehin geplante Brücken für Wirtschafts- oder Forstwege genutzt, um sie tiergerecht aufzurüsten. So auch in Colbitz. Der 20 Meter breite Grünstreifen besteht aus Betonsegmenten. Das sind riesige, mit Erde gefüllte "Pflanzkübel", in denen Sträucher, Bäume und Gras wachsen. Die nachgebildete Natur soll nicht nur Fledermäusen als Orientierung dienen, sondern auch Hase, Fuchs und Käfer eine naturnahe Passage über die 30 Meter breite Autobahn bieten. Landschaftsgärtner setzen derzeit Heckenkirschen, Pfaffenhütchen, Holunder und Hundsrosen ein. Außerdem werden Sandbirke, Zitterpapel, Salweide und Kiefer angesät. Gesät deshalb, damit sich die Bäume bestens an den Standort anpassen.

Zerbröselnde Brücken? Verdorrte Pflanzen?

So eine Brücke gilt Fachleuten nämlich als Extremstandort. Erstes Problem: Pflanzen brauchen Wasser. Wasser aber ist für eine Stahlbetonbrücke Gift. Also mussten aufwändige Dichtungen angebracht werden, damit das Bauwerk nicht zerbröselt. "Da brauchen wir das Teuerste, was der Baustoffmarkt hergibt", erzählt Uwe Langkammer, Vizechef der Landesstraßenbaubehörde.

Zweites Problem: Die Bäume und Sträucher wachsen auf einer Brücke - also ohne Kontakt zum Erdreich. Also wurde ein Gartenbauexperte beauftagt, ein Erdmischung auszutüfteln, die genügend Feuchtigkeit speichert und zugleich heimischen Pflanzen ein guter Boden ist. Heraus kam eine Mixtur aus einheimischer Erde, Rindenmulch und zerkleinerten Ziegelsteinen. Dennoch müssen die Pflanzen zusätzlich bewässert werden. "Vor allem in den ersten Jahren ist das eine Dauerpflegestelle", sagt Sebastian Rogahn vom Ingenieurbüro für Verkehrsanlagen. Er ist gelernter Biologe. Die Firma aus Halle überwacht den Bau. Ob mal alles funktioniert? "Für uns ist das Neuland", sagt er. Auch Straßenbau-Ingenieur Langkammer bekennt: "Das ist zum großen Teil noch eine Blackbox." Rogahns Kollegin Birgit Miehe erzählt: "Aber es gibt hier Fledermäuse. Viele haben zum Überwintern sogar Nistkästen im Wald besetzt", erzählt sie. Wenigstens das ist gewiss.

Menschen wollen ja auch von A nach B

Helfen die Brücken den Tieren? Bernd Ohlendorf ist optimistisch. Er ist Sachsen-Anhalts Experte in diesen Fragen und arbeitet in der Landesreferenzstelle für Fledermausschutz in Rosla (Harz). "Diese Brücken sind gut. Sie müssen aber richtig bepflanzt und an der richtigen Stelle aufgebaut werden. Ansonsten ist es ein Schuss in den Ofen." Wie etwa an der A 71 in Thüringen, wo die Sträucher zu niedrig seien. Solche Fehler müsse man korrigieren. Tierbrücken gehören künftig einfach zum Straßenbau dazu, ist Ohlendorf überzeugt. "Menschen wollen ja auch von A nach B kommen."

Selbst der ADAC, der mit Verve gegen alles kämpft, was den Straßenbau hemmt, findet Querungshilfen gut. Das Reh auf der Brücke ist besser als ein Reh auf der Piste. "Zusammen mit Wildzäunen sind sie ein klares Sicherheitsplus für Autofahrer" sagt Christoph Hecht in der ADAC-Zentrale in München. Er befasst sich mit Wildunfällen. Zäune allein helfen nicht immer. Wildschweine wühlen sich durch und Hirsche überwinden zur Not sogar zwei Meter hohe Barrieren, um auf ihren angestammten Zugrouten die Reviere zu wechseln. Doch rauschen Fledermäuse reihenweise gegen Laster? "Das Problem ist bei uns noch nicht aufgeschlagen", sagt Hecht.

Das weiß Bernd Ohlendorf besser. "Natürlich passiert das." Ihm selbst sei schon ein Tier in den Kühlergrill geflogen. Bei einer Untersuchung im benachbarten Polen habe man auf einem zehn Kilometer langen Straßenstück mehr als 100 tote Tiere gefunden. Im Nachbarland wurden auf der neu gebauten Autobahn nach Warschau ebenfalls Querungshilfen installiert. "Auch die Franzosen, Schweizer und Slowenen machen da viel", sagt Ohlendorf. Fledermausbrücken seien kein deutscher Spleen.Der Steuerzahlerbund hegt Zweifel. Sollten die Fledermäuse mit den Brücken im schwäbischen Biberach nichts anfangen können, kann es niemand, schreibt er. "Denn für Fußgänger sind die Brücken nicht freigegeben."

Wenigstens das kann der Colbitzer Brücke nicht passieren.