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Ökodorf in der Altmark "Newtopia" vor der Haustür

Was in der TV-Show "Newtopia" Zuschauer vor die Fernseher lockt,
funktioniert im Altmarkkreis Salzwedel ganz ohne Kameras. In Sieben
Linden lebt eine nachhaltige Gesellschaft, in die sich "Aussteiger" auf
Probe einmieten. Doch ohne Kompromisse geht es auch im Ökodorf nicht.

Von Natalie Häuser 17.04.2015, 03:27

Sieben Linden l Ausgesetzt auf einem verlassenen Stück Land sollen 15 Menschen im TV-Projekt "Newtopia" in einem Jahr eine eigenständige Gesellschaft gründen. Das so ein Projekt erfolgreich sein kann, beweist das "Newtopia" Sachsen-Anhalts. Etwa 30 Kilometer südlich von Salzwedel entfernt leben 135 Menschen im Ökodorf Sieben Linden. Für eine Woche gehören auch 13 Gäste aus ganz Deutschland dazu, die wissen wollen, wie es sich anfühlt mit und in der Natur zu leben.

"Meine Mutter überlegt schon länger hier zu leben", erzählt Joanna Lata aus Schleswig-Holstein. Geplant ist, dass die 43-jährige Tochter und der Enkel gleich mitziehen. "Wir sind hier, um zu sehen, ob sich mein Sohn hier auch wohl fühlt." Vincent sieht beim ersten gemeinsamen Rundgang über das Dorfgelände eher verfroren als erfreut aus.

Dem 14-jährigen Flensburger ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken, eine Woche lang auf McDonald´s verzichten zu müssen. Seminarleiterin Nicoletta Geiersbach leitet den Spaziergang durchs Gemeinschaftsdorf. Die 45-Jährige wohnt seit 2005 in Sieben Linden, bringt sich dort als gelernte Damenmaßschneiderin und Krankenpflegerin ein, gibt Workshops und Seminare.

Wenn die gebürtige Halberstädterin nicht gerade "upcycelt" und aus leeren Tetrapaks, Stoffresten und alten Hosenträgern einen Trinkflaschenhalter herstellt, führt sie die Besucher über das Dorfgelände. Als wollten die Teilnehmer das ganze natürliche Flair des Ökodorfes in sich aufsaugen, schlendern sie in aller Stille nebeneinander her. Genießen die Nähe zum Wald, die Ruhe fernab befahrener Straßen. Vorbei an der Nachbarschaft Strohpolis, den Bauwagen des Globolo, dem Wohnprojekt Windrose und dem Passivhaus Libelle.

Das Ökodorf entstand auf ursprünglich 20.000 Quadratmetern mit verwahrlostem Bauernhof für 350.000 Mark. Bevor Neuankömmlinge in eine der "Nachbarschaften" einziehen können, wie sich die unterschiedlich lebenden Gemeinschaften nennen, werden einmalig 11.275 Euro für Bauland, Gemeinschaftsgebäude, Straßen, Wald und ähnlichem plus 1500 Euro Eintrittsgeld an die Siedlungsgenossenschaft Ökodorf (SiGe) fällig.

Anschließend gilt es eine monatliche Grundmiete zwischen 115 und 130 Euro zu zahlen. Geld verdienen kann man in Sieben Linden als Angestellter einer der ansässigen Firmen, wie zum Beispiel dem Wildkräuterversand "Wilde 7" oder dem Rohkostversand "Raw Living". Aber auch eine Selbstständigkeit, wie es viele der Ökodorfbewohner als Handwerker, Gärtner, Ingenieure und vielem mehr bereits tun, ist möglich.

Nach einer heißen Tasse Tee zieht die Seminargruppe mit Werkzeug und Gartengeräten los. Es warten Drachengarten, Dorfplatz, Karussell und Baumscheiben darauf, wieder in Form gebracht zu werden.

Gemeinsam mit Seminarleiterin Nicoletta Geiersbach geht es auch für die Hamburgerin Karolin Müller ab ins Beet. Die 24-Jährige hat gerade ihre Bachelorarbeit im Studienfach Geographie geschrieben und wollte unbedingt mal was anderes sehen, als ihren Schreibtisch oder den Laptop auf ihrem Schoß. Sich selbst entschleunigen. "Allerdings will ich kein Möchtegern-Weltverbesserer werden", sagt die junge Frau. Über gewisse Praktiken der Wegwerfgesellschaft macht sie sich allerdings schon Gedanken. "Ich kaufe keine Plastikflaschen mehr, sondern habe einen Wassersprudler mit Glasflasche." Auf die Idee nach Sieben Linden zu kommen, brachte sie ihre drei Jahre ältere Schwester. Diese zog wochenlang über verschiedene Ökohöfe, um dort als freiwillige Helferin bei freier Kost und Logis eine Menge neues Wissen rund um ökologische Selbstversorgung zu sammeln.

Die Berlinerin Saskia Machel stanzt derweil mit all ihrer Kraft Löcher für Holzpfähle auf dem runden Dorfplatz aus. Die Studentin der Stadtökologie ernährt sich seit kurzem vegan und will herausfinden, ob eine Lebensgemeinschaft wie Sieben Linden auch ein Entwurf für ihre Lebensplanung sein könnte.

Während der Mitgestaltungswoche hat sie sich für die Übernachtung im Zelt entschieden. "In meinem Studium ist vieles sehr kopfbelastend. Hier in Sieben Linden kann ich abschalten und lerne, wie ich Boden in der Natur ökologisch richtig bewirtschaften muss."

Zuhause in Berlin lebt sie in einer klassischen Mietwohnung, arbeitet jedoch in ihrer Freizeit bereits in zwei großen Gärten mit. Gern gibt sie auch ihren Eltern Tipps in Sachen gesündere Ernährung.

Einige Kompromisse musste die ökologische Dorfgemeinschaft bei all ihren persönlichen Freiheiten dennoch eingehen. "Seit dem letzten Jahr sind wir an die Klötzer Wasserversorgung angeschlossen. Und wenn wir hier vegan leben wollen, wird es immer Lebensmittel geben, die wir von außen beziehen", erklärt Nicoletta Geiersbach den Seminarteilnehmern, die nebenbei noch an der pflanzlichen "Süßigkeit" vom Hochbeet am Bauwagen kauen. Auch der Telefon- und Internetanschluss ist ein solcher Kompromiss und für die Öffentlichkeitsarbeit unverzichtbar.

Vom Bauwagen, über Häuser nur aus Stroh und Lehm, bis hin zur Libelle, einem sogenannten Passivhaus, das den Energieverbrauch durch einen großen Wärmespeicher und eine Luftvorwärmung unter der Erde vorm Haus auf ein Minimum reduziert. An alternativen Wohnmodellen mangelt es nicht. Obwohl die Einwohnerschaft stetig wächst, ist noch Platz auf dem 80.000 Quadratmeter großen Gelände, von dem gut die Hälfte Laubmischwald ist. Nach Informations-Wochenenden und Seminaren kann eine einjährige Probewohnzeit beantragt werden.