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Seit Dezember ist der "Kaiser-Otto-Express" zwischen Magdeburg und Berlin unterwegs, doch nur wenige steigen ein Der geheime, feine Zug des Herrn Grube

Von Winfried Borchert 29.07.2011, 04:27

Lange musste Magdeburg auf einen durchgehenden Zug nach Berlin warten. Seit ein paar Monaten fährt er, der schicke Inter-Regio-Express. Doch kaum jemand fährt mit. Die Volksstimme wollte herausfinden warum.

Magdeburg. Ein sonniger Morgen, kurz nach sieben Uhr auf dem Magdeburger Hauptbahnhof. Berufspendler strömen in beiden Richtungen durch die automatischen Eingangstüren. Ein kurzer Blick auf die Anzeigetafel. Tatsächlich: Unter der Regionalbahn nach Wolfsburg und der S-Bahn nach Schönebeck steht in roter Schrift das ominöse Kürzel "IRE" - Inter-Regio-Express - um 7.26 Uhr nach Berlin. Bereits eine Stunde und 21 Minuten später soll er am Berliner Hauptbahnhof eintreffen, so schnell ist kein anderer Zug.

Auf Gleis 4 steht das Schmuckstück, rot-weiß lackiert, blitzblank geputzt. "Otto hat Zugkraft" steht an der Lokomotive. Das sehen viele Reisende offenbar anders. Es herrscht nur wenig Betrieb auf dem Bahnsteig, zwei Zugbegleiterinnen in Uniform plaudern miteinander.

"Als großer Mensch sitze ich hier bequemer"

Auch im Zug ist noch viel Platz, nur hier und da ist ein Sessel besetzt. Alles sieht nicht nur neu und sauber aus, es riecht auch so. Und erst das Licht. Ein eigenartiger Schimmer flutet von den Gepäckablagen herab, bläulich, aber trotzdem gemütlich. "Für den Zug wurde extra ein neues Lichtkonzept erarbeitet", erzählt später Kathlen Brose, die für die Deutsche Bahn die Innengestaltung des "Kaiser-Otto-Zuges" betreut hat. 40 Millionen Euro hat die Bahn für insgesamt sieben Züge dieser Klasse ausgegeben, allesamt aus dem Bombardier-Waggonbauwerk in Görlitz. Außer zwischen Magdeburg und Berlin fahren sie auch zwischen Halle und Magdeburg sowie ab Magdeburg durch die Altmark nach Uelzen. "Im Gegensatz zu den modernisierten Vorwende-Doppelstockzügen, die als Regional-Express unter anderem zwischen Magdeburg und Berlin fahren, sind die IRE-Wagen völlig neu konstruiert und gebaut", schwärmt Bahn-Sprecher Jörg Bönisch. Die Zahl der Sitzplätze pro Wagen sei zugunsten der Beinfreiheit reduziert worden, jeder Platz habe Armlehnen auf beiden Seiten und ein Tischchen und fast jeder eine Steckdose.

Fragt man einige der wenigen Reisenden, scheint sich der Aufwand gelohnt zu haben. "Ich fahre öfter mit diesem Zug, genieße es, immer einen Sitzplatz zu bekommen", sagt zum Beispiel Uwe Thüm aus Magdeburg. Er arbeite in Berlin bei einem Planungsbüro, das für die Bahn arbeitet. Aha, der Mann kennt sich aus mit guten Zügen. Eine halbe Stunde Fahrtzeit spare er gegenüber anderen Zügen. "Als großer Mensch sitze ich hier außerdem bequemer."

Nicht regelmäßig, aber hin und wieder fährt Martin Thiemann mit dem "Otto"-Express, auch er seit eineinhalb Jahren ein Berlin-Pendler. Er lädt gerade sein Funktelefon an der Steckdose auf. "Die Abfahrtszeit ist mir etwas zu spät, sechs Uhr wäre besser." Wer als Berufspendler mit "Otto" von Magdeburg nach Berlin und zurück fahren will, hat tatsächlich Probleme. 7.26 Uhr und 15.24 Uhr fährt der IRE in Magdeburg ab, 13.06 Uhr und 17.10 Uhr rollt er jeweils wieder zurück. Da ist eine Acht-Stunden-Schicht kaum zu schaffen. Nach Berlin umziehen will Martin Thiemann aber dennoch nicht, sagt er. "Ich bin Magdeburger. Berlin ist zum Wohnen nicht so mein Ding."

Das Zeitproblem hat man bei der Bahn inzwischen erkannt. "Das war der häufigste Kritikpunkt in unseren Umfragen", sagt Kathlen Brose. Zum Fahrplanwechsel ab Dezember würden die Zeiten verändert. Der 7.26-Uhr-Zug soll eine halbe Stunde vorverlegt werden, der letzte Zug zurück erst später in Berlin abfahren. "damit hoffen wir, mehr Pendler zu gewinnen", sagt Brose.

Das wünscht sich auch Daehres Nachfolger Thomas Webel (CDU). "Eine verbesserte Ausrichtung der Abfahrts- und Ankunftszeiten auf Berufspendler und Geschäftsreisende würde sicher dazu beitragen, dass dieses Angebot stärker genutzt wird. Gleiches gilt für die Vermarktung des Expresses durch die Deutsche Bahn." Es sei "ein unbefriedigender Zustand, dass dieses Angebot nicht offensiver beworben wird", so Webel.

Da naht auch schon die Schaffnerin, pardon, Zugbegleiterin. Auf ihrem Schild auf der blauen Weste steht "S. Stolze". Solche Schilder sind ja zurzeit ein hochpolitisches Thema.

Hochrangige Landespolitiker habe man in dem Zug noch nicht gesehen, heißt es von den Reisenden. Merkwürdig. Haben doch gerade Politiker diesen Zug jahrelang gefordert. Als Trostpflaster dafür, dass die superschnellen ICE-Züge in Ost-West-Richtung einen Bogen um Magdeburg machen - von Hannover über Stendal nach Berlin. Im Dezember 2009 hatte Verkehrsminister Karl-Heinz Daehre Bahnvorstand Rüdiger Grube die Zusage abgerungen, den Reisenden etwas Besseres anzubieten als die zwar relativ schnellen, aber engen RE-Nahverkehrszüge. Ein Jahr später rollte "Otto" an den Start.

"Guten Morgen, schmeckt der Kaffee?", fragt Frau Stolze geradezu beschwingt. Den Kaffeebecher hatte eine Kollegin fünf Minuten zuvor serviert. Am frühen Morgen schon so fröhlich? Martin Thiemann schmunzelt: "Ja, der Ton ist hier irgendwie freundlicher als in vielen anderen Zügen, sogar bei den Lautsprecherdurchsagen."

"35 Reisende pro Zug, das ist eindeutig zu wenig"

Einen Wagen weiter, auf einem Platz in der unteren Etage, hat es sich Oliver Schultz gemütlich gemacht, tippt konzentriert auf seiner Laptop-Tastatur. Auch er wohnt in Magdeburg und arbeitet in Berlin, ebenfalls bei der Bahn. "Man hat hier Ruhe, am Computer zu arbeiten. Außerdem spare ich 20 Minuten gegenüber anderen Verbindungen", sagt der 34-Jährige. Zumindest unter Eisenbahnern scheint sich "Otto" also herumgesprochen zu haben.

Und bei den Damen im Magdeburger Rathaus, genauer in der Stadtkasse. Dort arbeiten nämlich Katja Schmidt und Hannelore Socha, die mit Sohn Erik beziehungsweise Enkeltochter Angelina auf dem Weg nach Berlin sind.

"Ins Legoland!", verrät der siebenjährige Erik mit strahlendem Gesicht. "Zur Drachenbahn und zum Einhorn", ergänzt Angelina und präsentiert stolz ihre Zahnlücke.

49 Euro zahlen die Vier für die Hin- und Rückfahrt. Seit 12. Juni bietet die Deutsche Bahn auf der Strecke diesen Pauschalpreis für fünf Personen an, um die Auslastung des Zuges zu verbessern.

Die liegt zurzeit bei weniger als 150 Reisenden pro Tag, also kaum 35 pro Zug. "Das ist eindeutig zu wenig", sagt DB-Managerin Kathlen Brose. Die Bahnchefs gucken sehr genau auf die Auslastung des Zuges, denn im Gegensatz zu den Nahverkehrszügen bekommt das Unternehmen für "Otto" kein Geld vom Land dazu. 100 Reisende pro Zug, also rund 400 pro Tag, hatte man sich bei der Bahn erhofft. Die Rentabilitätsgrenze liegt bei etwa 230. "Wenn wir dies dauerhaft so deutlich unterschreiten, müssen wir das auf zunächst zwei Jahre angelegte Angebot Ende 2012 eingestellen", sagt Brose.

"Das wäre sehr schade", meint Katja Schmidt, "denn das ist der mit Abstand sauberste Zug, in dem ich bis jetzt gefahren bin". Dagegen sei der ICE neulich nach Leipzig enttäuschend schmutzig gewesen.

Mittlerweile ist "Otto" pünktlich am Berliner Südkreuz angelangt. Weil die meisten Berliner Innenstadt-Gleise voll belegt sind, führt der Express über die aus DDR-Zeiten bekannte Südverbindung in die Hauptstadt. Einige Fahrgäste steigen aus, werden von Sabine Stolze und ihrer Kollegin Silke Koroch verabschiedet. Ja, sagen beide, das Arbeiten in dem Expresszug mache wirklich Freude. Man lege sehr viel Wert auf den guten Ton gegenüber den Fahrgästen. "Wir bringen erst den Kaffee an den Platz und fragen nach weiteren Wünschen, bevor wir später die Fahrkarten kontrollieren", sagt Silke Koroch. Seit dem Zugstart im Dezember habe es von Reisenden tatsächlich "nur positive Reaktionen" gegeben. Nur warum nicht mehr Leute mitfahren, weiß sie auch nicht. Vielleicht müsse sich das Angebot erst herumsprechen. Nicht nur unter Eisenbahnern.

Zurück in Magdeburg machen wir den Test, fragen in der Bahnhofshalle am "Servicepoint" nach der schnellsten und der günstigsten Verbindung in Richtung Berlin. "Na, da nehmen Sie am besten die RE-Züge oder einen Inter-City. Aber fragen Sie am besten noch mal im Reisezentrum", erklärt die Dame am Schalter. Vom flotten, pardon, schnellen "Otto" scheint sie noch nichts gehört zu haben. Auch die Dame im Reisezentrum versucht stattdessen, Tickets für die langsameren und teureren RE- und IC-Züge an den Mann zu bringen. Erst auf die Frage, ob es denn wirklich nichts Besseres gebe, meint sie streng: "Ja, das Kaiser-Otto-Spezial, aber da müssen Sie auch mit einem IRE zurückfahren!" "Kein Problem, ich bin flexibel." Das genügt offenbar nicht, um die Frau zu überzeugen. Als sie das Kärtchen mit der Reiseauskunft aushändigt, betont sie erneut: "Damit können Sie aber nur in den IRE fahren, nicht in anderen Zügen."

Warum nur hält dieser Herr Grube seinen feinen Zug so geheim?