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Missmanagement in der katholischen Kirche / Der frühere Gero-Vorstandsvorsitzende Diehl wehrt sich gegen "öffentliche Kriminalisierung": "Das Bistum war zu jeder Zeit informiert"

27.09.2011, 04:31

Der frühere Vorstandsvorsitzende der zum katholischen Bistum Magdeburg gehörenden Gero AG, Norbert Diehl, sieht sich im Zusammenhang mit Millionenverlusten der Kirche kriminalisiert. Michael Bock sprach mit dem studierten Theologen.

Volksstimme: Sie haben bislang zu den Vorgängen um die Gero AG geschwiegen mit der Begründung, Sie hätten eine Schweigepflichtserklärung abgegeben und im Gegenzug eine Abstandszahlung erhalten. Warum wollen Sie sich jetzt äußern?

Norbert Diehl: Inzwischen sind so viele Punkte bereits ohne mein Zutun ein öffentliches Thema geworden, dass ich nicht länger schweigen kann. Ich sehe mich einer öffentlichen Kriminalisierung ausgesetzt, der ich entgegentreten will. Die letzte Veröffentlichung des Bistums, wonach "eine Einigung mit mir nicht möglich gewesen" sei, hat mich außerdem schwer getroffen, weil ich meine intensiven Bemühungen um eine faire Einigung infrage gestellt sehe.

Volksstimme: Bischof Gerhard Feige sagte im Juli 2009: "Vor allem die unübersichtliche Konzernstruktur erschwerte das Durchleuchten der Gero-Geschäfte in einem großen Maß. Die damalige Geschäftsführung vermittelte der Bistumsleitung über Jahre hinweg den Eindruck, es handele sich um ein blühendes Unternehmen. Erst im Verlauf des Jahres 2008 zeigte sich, dass das Bistum über die tatsächliche Entwicklung des Unternehmens nicht richtig informiert wurde." War das wirklich so?

"Heute kann sich keiner mit Nichtwissen entschuldigen"

Diehl: Nein. Das Bistum war zu jeder Zeit informiert. Alle Schritte sind von den Aufsichtsgremien begleitet worden, die immer mehrheitlich mit Bistumsvertretern besetzt waren und auch vom Bistum berufen wurden. Positive wie negative Entwicklungen habe ich wahrheitsgemäß und zeitnah kommuniziert. Heute kann sich keiner mit Nichtwissen entschuldigen. Dem damaligen Generalvikar Theodor Stolpe habe ich sogar persönlich einmal wöchentlich Bericht erstattet.

Darüber hinaus haben wir sogar eine Zeitlang innerkirchliche Informationsveranstaltungen angeboten mit Vorstellung der Quartalszahlen und Projekte. Obwohl wir damit auf innerkirchliche Anfragen reagiert hatten, um unsere Geschäftsaktivitäten transparenter zu machen, war das Interesse bereits beim zweiten Termin gleich null.

Unabhängig vom Stand der Information blieb die Frage immer innerkirchlich sensibel und heikel, ob Kirche denn überhaupt ein Unternehmen haben darf und will und welche Art von Geschäften dort gemacht werden darf.

Einerseits hatten wir den klaren Auftrag, profitabel zu wirtschaften. Andererseits kam es nicht nur einmal vor, dass sich Mieter oder Bauherren beim Bischof persönlich beschwerten, wenn sie für sich bessere Konditionen herausholen wollten.

Volksstimme: Im Jahr 1999 beteiligte sich die Kirche mit zunächst zwölf Millionen Euro an dem Biotech-Unternehmen Meltec, das Krebsmedikamente entwickeln wollte. Wie kam es dazu?

"Noch 2001 hätte die Meltec mit Gewinn verkauft werden können"

Diehl: Der damalige Bischof Leo Nowak, sein Generalvikar Theodor Stolpe und Finanzdirektor Gerhard Martin Czogalla hatten diese zunächst vielversprechende Idee, die auch dem heutigen Bischof und Generalvikar bekannt war ...

Volksstimme: ... die sich aber als teurer Flop erwies. Nach etwa zehn Jahren war die Firma am Ende. Im Herbst 2002 beschloss die Kirchenleitung, ihre marode Meltec-Beteiligung auf die Gero zu übertragen. Wie fanden Sie das?

Diehl: Ich wollte das nicht. Noch 2001 hätte die Meltec mit Gewinn verkauft werden können. Doch dann kam der Zusammenbruch des neuen Marktes. Mir war klar, dass es so nahezu aussichtslos war, den großen Teil der bereits durch das Bistum getätigten Investitionen je zu refinanzieren.

Nach zwei Jahren Verhandlung habe ich mich 2004 dem dringlichen Wunsch des Bistums doch gebeugt und die Meltec übernommen. Dass mein Nachfolger als Gero-Vorstand, Frank Meyer, und Generalvikar Raimund Sternal mich öffentlich für das Scheitern dieses Projektes verantwortlich machen, ist für mich deshalb unfassbar.

Volksstimme: Warum haben Sie sich dem Bistum gebeugt?

Diehl: Nun ja, Eigentümer der Gero war schließlich das Bistum. Ich habe aber im Aufsichtsratsprotokoll vom Mai 2004 vermerken lassen, dass "Gero ausschließlich zur Wahrung der Bistumsinteressen den 50-prozentigen Anteil übernahm". Wir haben natürlich trotzdem alles versucht, die Meltec zu retten und zu einem erfolgreichen Unternehmen zu machen.

Volksstimme: Stattdessen folgten weitere Verluste. Unter Gero-Ägide wurden noch einmal 3,2 Millionen Euro in das marode Geschäft gesteckt. Verlust alles in allem: 15 Millionen Euro.

Diehl: Richtig ist, dass es bei der Übernahme noch eine Investitionsverpflichtung in Höhe von 3,2 Millionen Euro gegeben hat, die vom Bistum zugesichert worden war. Auch wenn die ursprüngliche Investitionsverpflichtung reduziert und damit eine Schadensbegrenzung erreicht werden konnte, blieb die Gesamtbetrachtung trotz der vielen Rettungsversuche nicht zufriedenstellend.

"Die Schiffsbeteiligungen waren vom Bistum gewollt"

Volksstimme: Ab 2001 bekam die Gero eine eigene Beteiligungstochter, die BTV. Es wurden riskante Investments getätigt, Geschäfte mit Fonds, Swaps und Fremdwährungsdarlehen. Es gab auch ein Engagement in Schiffsbeteiligungen. Haben Sie das im Alleingang gemacht?

Diehl: Nein. Entscheidungen von großer Tragweite sind immer im Aufsichtsrat kommuniziert worden, zu dem auch Mitglieder der Bistumsleitung gehörten. Dieses Gremium war zu jeder Zeit umfassend informiert. Die Schiffsbeteiligungen waren vom Bistum gewollt. Es gab eine komplette Risikobewertung. Darin war vermerkt, dass das Maximalrisiko ein Totalverlust sein könne. So steht es auch in Aufsichtsratsprotokollen. Anfangs liefen die Geschäfte auch gut ...

Volksstimme: ... und dann brach 2007/2008 die große Finanzkrise herein. Auf 24 Millionen Euro sollen sich die Verluste der beiden Jahre - maßgeblich getrieben von Abschreibungen auf Beteiligungen und Finanzanlagen – summiert haben. Ihnen wird öffentlich vorgeworfen, dass dem Bistum unter Ihrer Ägide ein Schaden von 45 Millionen Euro entstanden sei.

Diehl: Diese Zahl kann ich nicht bewerten. Obwohl ich mehrfach darum gebeten habe und es mir immer wieder zugesagt wurde, liegt mir bis heute keine Gesamtaufstellung vor, aus der hervorgeht, in welcher Höhe die Gero AG Gewinne und Verluste im Zeitraum meiner Vorstandstätigkeit gemacht haben soll.

Das verstehe ich nicht, weil mir seit über zwei Jahren öffentlich übermittelte Vorwürfe gemacht werden. Die müssen doch dann bitteschön auch untersetzbar sein. Und auch dann, wenn ich diese Aufrechnung eines Tages vorliegen habe und sich darin mehr Verlust als Gewinn finden sollte, muss die Frage erlaubt sein, auf wessen Aktivitäten und Interventionen sie zurückzuführen sind.

Natürlich trage ich als Vorstand die Gesamtverantwortung. Trotzdem, ich lasse mich nicht mehr mit pauschalen Schuldzuweisungen abspeisen. Neben den Meltec-Verlusten hat es beispielsweise auch Interventionen des Bistums gegeben, die wie beim Beispiel des Vertrages mit dem Energiekonzern EnBW zu Mindereinnahmen von über 10 Millionen Euro führten.

Das Scheitern der jüngsten Klagen hat auch gezeigt, dass viele der proklamierten Millionenverluste hypothetisch und nicht belegbar sind. Abschreibungen von gestern können morgen durch Wertsteigerungen überholt sein.

Und noch einmal: Alles, was ich gemacht habe, war mit der Bistumsspitze und den Aufsichtsgremien besprochen. Außerdem sah ich mich mit meiner Arbeit immer in den Dienst des Bistums gestellt.

Volksstimme: Dennoch geht das Bistum juristisch gegen Sie vor. Wie sehen Sie das?

Diehl: Alle Bemühungen um eine gütliche Einigung sind bislang gescheitert. Minister a.D. Dr. Horst Rehberger, der sich wie viele andere vergeblich um eine Vermittlung bemüht hat, wies das Bistum wiederholt darauf hin, dass "die Zeiten der Inquisition vorbei sind, in denen der Angeklagte nur noch die Wahl zwischen totaler Unterwerfung oder dem Scheiterhaufen hatte!".

"Prozessflut richtet eher Schaden an – vor allem auch für das Bistum"

Aus meiner Sicht richtet die Prozessflut eher Schaden – vor allem auch für das Bistum – an, als dass sie zu einer Klärung beitragen könnte. Vielleicht darf man in diesem Zusammenhang auch fragen, ob die Bereitschaft, mich oder ehemalige Geschäftsführer und Aufsichtsratsmitglieder mit Klagen zu überziehen, statt Lösungsvorschläge zu unterbreiten, auch damit zusammenhängen könnte, dass sowohl der Aufsichtsratsvorsitzende als auch mein Amtsnachfolger beide Rechtsanwälte sind, die außerdem noch aus der gleichen Kanzlei kommen.

Trotz aller Enttäuschungen und auch, nachdem drei von vier Klagen gegen mich vom Gericht abgewiesen worden sind, bin ich nach wie vor offen für einen fairen Vergleich.