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Das Goethe-Problem der Deutschen Bahn

Von F.-René Braune 22.12.2011, 04:23

Magdeburg l Ein feiner Zug der Deutschen Bahn: Um das Reisevergnügen für friedliebende Passagiere weiter zu erhöhen, sollen pöbelnde Fahrgäste künftig mit einem Bußgeld bestraft werden. Laut Bahn-Sicherheitschef Gerd Neubeck sollen ebenso das absichtliche Bedrängen anderer Zuginsassen sowie Anrempeln, Schubsen und Beschimpfen als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

Im Grunde genommen keine üble Idee, die Frage ist nur, wo die Unfreundlichkeit endet und das Pöbeln beginnt. Glaubt man Wikipedia, so ist das Pöbeln dem Wörtchen Pöbel entlehnt, womit wiederum ein Gruppe von Zeitgenossen umrissen wird, denen es an Kultiviertheit, Stil und Feingefühl mangelt. Mit etwas bösem Willen und derlei Eigenschaften im Hinterkopf könnte man allein schon von der Klangqualität her jede Bahnhofsdurchsage als Pöbelei bezeichnen. Ganz zu schweigen von der Einhaltung des Fahrplans, die mitunter jegliches Feingefühl für die Belange der Reisenden vermissen lässt.

Andererseits könnte die Pöbel-Initiative eine neue Kommunikations-Qualität bewirken, kreative Köpfe zu Bestleistungen animieren und manchen Schaffner in den Wahnsinn treiben. Beispielsweise, wenn sich ein Fahrgast darüber beschwert, dass ein anderer in seiner Gegenwart Textstellen aus Goethes "Götz von Berlichingen" deklamiert hat. Der arme Bahnangestellte müsste entscheiden, worüber selbst deutsche Gerichte uneins sind: Ist das Vortragen des "Leck"-Zitates Ausdruck kultureller Bildung, eine Beleidigung oder schlicht eine Aufforderung, der nachzukommen nicht zwingend geboten ist?

Was wäre, wenn man einen Mitreisenden wissen lässt, dass er wohl nicht gerade die Krönung der Schöpfung sei - steckt dahinter nicht vielmehr mitleidvolle Teilnahme am Leben des anderen als der Wunsch, zu diskriminieren? Wenn die Bahn das Klima im Zug verbessern will, wäre es vielleicht einfacher, sich erstmal um die Heizungen zu kümmern ...