Gaza-Krieg Gericht: Abbruch von „Palästina-Kongress“ rechtswidrig
Aufgeheizte Stimmung, umstrittene Parolen – so ist es oft zu beobachten bei Veranstaltungen im Kontext mit dem Gaza. Die Polizei schreitet oft ein. Doch wie weit darf sie gehen?

Berlin - Der Abbruch eines sogenannten Palästina-Kongresses im April 2024 durch die Polizei war rechtswidrig. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden. Aus Sicht der Richter hat die Polizei nicht ausreichend geprüft, ob es ein milderes Mittel als ein Verbot gab. Denkbar sei der Ausschluss einzelner Redner oder Teilnehmer, erklärte die Vorsitzende Richterin, Marlen Mausch-Liotta. (Az.: VG 1 K 187/24)
Die Polizei habe nicht dargelegt, dass dies nicht erfolgversprechend gewesen wäre. „Eine alternative Prüfung hätte angesichts der Bedeutung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit stattfinden müssen“, sagte die Richterin. Damit war die Klage der Vereinigung „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ erfolgreich.
Anwesende Zuschauer im Gerichtssaal freuten sich sichtlich über die Entscheidung und applaudierten kurz. Die Auflösung hatte damals für Proteste gesorgt, die Veranstalter kritisierten das Vorgehen der Polizei scharf. Demokratische Rechte seien ausgehebelt worden, hieß es. Aus der Politik gab es hingegen Zuspruch: Die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lobte das harte Durchgreifen der Polizei.
Auflösung kurz nach dem Beginn
Zu dem internationalen Treffen unter dem Motto „Wir klagen an“ hatten diverse propalästinensische Gruppen und Initiativen eingeladen. Darunter waren vor allem solche, die nach Einschätzung von Sicherheitsbehörden und der Berliner Innenverwaltung dem israelfeindlichen „Boykott-Spektrum“ zuzurechnen waren, so auch der Kläger.
Die Polizei hatte die Versammlung, die für den 12. bis 14. April 2024 geplant war, etwa zwei Stunden nach ihrem Beginn aufgelöst und verboten. Hintergrund war eine per Video übertragene Rede des palästinensischen Aktivisten Salman Abu Sitta, für den damals in Deutschland wegen Hasstiraden gegen Israel und gegen Juden ein politisches Betätigungsverbot galt.
Ein Großaufgebot der Polizei begleitete die Veranstaltung in einem Saal in Tempelhof, die aus Brandschutzgründen auf 250 Teilnehmer pro Tag begrenzt war. Die Behörde hatte den Kongress als öffentliche Versammlung gewertet und ähnlich wie bei Demonstrationen sogenannte Auflagen, also Verbote, erlassen. Untersagt waren unter anderem das Verbrennen von Fahnen, Gewaltaufrufe gegen Israel und Symbole terroristischer Organisationen. Bis zur Auflösung der Versammlung wurde laut Gericht nicht dagegen verstoßen.
Weiteres Verbot rechtswidrig
Auch in einem weiteren Fall ging die Polizei aus Sicht des Verwaltungsgerichts zu weit. Die Behörde hatte einer Frau verboten, die umstrittene propalästinensische Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ in abgewandelter Form als Motto für eine Kundgebung im Dezember 2023 zu nutzen. Das war rechtswidrig, entschieden die Richter.
Durch den Nachsatz der Klägerin „you will get the hug you need“ (deutsch: Du bekommst du die Umarmung, die du brauchst) stehe die Parole in einem Kontext, der nicht als Unterstützung der in Deutschland verbotenen terroristischen Hamas gesehen werden könne. Vielmehr komme darin Bestreben zum Ausdruck, Menschlichkeit zu zeigen und Trost zu spenden.
Gericht: Einzelfall bewertet
Die Richter betonten, es handele sich um eine Einzelfallentscheidung. Ob der erste Satzteil „from the river to the sea“ für sich gesehen als Kennzeichen einer verfassungswidrigen oder terroristischen Organisation anzusehen ist, ließen die Richter offen. Die Klägerin bedauerte, dass das Gericht „nicht mutig genug“ gewesen sei, um dazu etwas zu sagen.
Zur Strafbarkeit der propalästinensischen Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ gibt es bundesweit unterschiedliche rechtliche Bewertungen. Die Berliner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sie strafbar ist. Die Polizei schreitet deswegen ein, wenn Menschen die Parole skandieren. Mit dem Satz ist gemeint, es solle ein freies Palästina geben auf einem Gebiet vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer – dort, wo sich jetzt Israel befindet.
Seit Terrorangriff fast 2.000 Versammlungen
In Berlin gibt es seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem anschließenden Gaza-Krieg regelmäßig Kundgebungen. Nach Angaben der Polizei beläuft sich die Zahl inzwischen auf fast 2.000 Versammlungen. Immer wieder kommt es dabei zu Angriffen auf und Widerstand gegen Polizisten, aber auch zahlreiche Propagandataten wie Volksverhetzung und Terrorunterstützung.