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Vor 33 Jahren begann der Fall des Eisernen Vorhangs in Europa Der Mann, der Weltgeschichte sammelt

Menschen sammeln alles Mögliche. Briefmarken, Schallplatten, Modellautos … Josef Haubenwallner, Jahrgang 1949, sammelt Geschichte. Geschichte zum Anfassen. Der gelernte Steinmetz und Maurer hat mit seiner Leidenschaft auch die Jugenderinnerungen seiner Generation konserviert.

Von Axel Ehrlich 15.10.2022, 17:15
Josef Haubenwallner vor seinem Grenzhäuschen:  „Ich muss ständig weiterbauen. Es ist ein bisschen wie eine Sucht“.
Josef Haubenwallner vor seinem Grenzhäuschen: „Ich muss ständig weiterbauen. Es ist ein bisschen wie eine Sucht“. Foto: Axel Ehrlich

Mönchhof, eine 2200-Einwohner-Gemeinde im österreichischen Burgenland, unweit der Grenze zu Ungarn. Hier findet sich ein komplettes Dorf aus vergangener Zeit. Ein Dorf, das es so nie gab, das dennoch beispielhaft europäische und österreichische Geschichte erzählt und erlebbar macht.

Auf seinem langgezogenen Grundstück hat der Multi-Handwerker (Hut, Rauschebart, blitzende Augen) sein Lebenswerk angefangen. „Fertig ist das wohl noch lange nicht“, sagt Josef, den hier in Mönchhof alle nur als Beppo kennen. Seit 1989, dem Fall des Eisernen Vorhangs, der nur wenige Kilometer von hier Systeme, Völker, Familien trennte, sammelt er – Häuser. Mit allem, was dazugehört. Wenn irgendwo ein Gebäude verfällt, nicht mehr gebraucht wird, ist das ein Fall für Josef und sein Dorfmuseum.

Hier stehen inzwischen etwa 40 Gebäude, eine komplette Dorf-Infrastruktur mit Geschäften, Gasthaus, Schule, Gemeindeamt, Kirch. „Als Kind habe ich angefangen, Gipsengel zu sammeln“, erzählt Haubenwallner. „Heute sind es eben Häuser“ Komplett original eingerichtet. „Mir ist wichtig, dass alles funktioniert“, sagt Josef.

In der Dorfbäckerei wird, zumindest ein paar Mal im Jahr, tatsächlich Brot gebacken, im Wirtshaus gibt es frisch gezapftes Bier, und im Rundfunk-Geschäft dudeln Röhren-Radios.

Die Gebäude waren ursprünglich über das gesamte Burgenland verteilt. Sie wurden beim Abbau von Wissenschaftlern der Uni Wien genauestens dokumentiert und katalogisiert – und nach diesen Plänen originalgetreu in Beppos Garten wieder aufgestellt. Das meiste macht der Chef tatsächlich selbst. In den Semesterferien helfen Studenten, rund ums Jahr Nachbarn und Freunde aus der Gegend. Beppos Familie kümmert sich um den laufenden Betrieb im Dorfmuseum.

Der Besucher vergisst über die vielen liebevollen Details Raum und Zeit – eine charmante, manchmal auch nachdenklich machende Reise in die Geschichte. „Ich muss ständig weiterbauen“, sagt Haubenwallner. „Es ist ein bisschen wie eine Sucht“. Wenn im Dorfmuseum gerade mal wenig zu tun ist, arbeitet er, ein paar hundert Meter entfernt, auf dem ehemaligen Dorfbahnhof – an seinem eigenen Eisenbahn-Museum.

Ein besonderes historisches Zeugnis in Josef Haubenwallners Dorfmuseum ist das Zollhäuschen von Andau. An dessen Original-Standort flüchteten nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands 1956 mehr als 80000 Menschen vor der kommunistischen Diktatur über die Grenze. Die Trabis, die im Dorfmuseum neben dem Zollhäuschen stehen, wurden 33 Jahre später von DDR-Flüchtlingen gleich um die Ecke bei St. Margarethen einfach auf dem Feld stehengelassen.

Einmal im Jahr fährt Beppo zudem mit einem Trupp freiwilliger Helfer ins ostafrikanische Uganda. „Wir haben dort ein Waisenhaus errichtet“, sagt der rastlose Bauherr. „In diesem Herbst bauen wir eine Schule dazu.“ Aber das ist eine andere Geschichte. Die Geschichte von einem, der mit seiner Arbeit, seinem Lebenswerk Grenzen überwindet.

Grenzhäuschen und Trabant, der von DDR-Flüchtlingen einfach auf dem Feld stehengelassen wurde.
Grenzhäuschen und Trabant, der von DDR-Flüchtlingen einfach auf dem Feld stehengelassen wurde.
Foto: dpa
Historischer Kinosaal. Bis ins kleinste Detail baut Josef Haubenwallner die Gebäude wieder auf.
Historischer Kinosaal. Bis ins kleinste Detail baut Josef Haubenwallner die Gebäude wieder auf.
Foto: Axel Ehrlich