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"Pfefferkuchenstadt Pulsnitz" Das Rätsel der braunen Schilder

Fast jeder hat sie schon einmal entlang der Autobahn gesehen: Braune Schilder, die auf regionale Sehenswürdigkeiten verweisen. Sofort abfahren und anschauen? Nun ja.

Von Wolfgang Stelljes, dpa 15.10.2020, 03:19

Berlin (dpa/tmn) - Reisen bildet, selbst im Vorbeifahren. Man muss nur auf der Autobahn fahren und die großen braunen Tafeln beachten.

Sicher, dass man gerade das Sauerland oder die Lüneburger Heide streift, weiß man vielleicht auch so. Aber von einer Zevener Geest, einer "Gellert-Stadt Hainichen" oder der Gedenkstätte KZ Hinzert haben vermutlich bestenfalls Insider eine Ahnung.

Für die einen sind die "touristischen Unterrichtungstafeln", wie die Schilder im Amtsdeutsch genannt werden, Heimatkunde im Vorüberfahren oder Marketing entlang der Autobahn, für die anderen ein weiterer Beitrag zum Schilderwald an unseren Straßen.

Braun und weiß - das prägt sich ein

Keiner weiß, wie viele dieser braunen Schilder es genau gibt. Sie werden nicht zentral erfasst. Auf mehr als 3400 Schilder mit rund 1800 Motiven kommt Prof. Sven Groß. Der Tourismusforscher von der Hochschule Harz hat dazu Anfang 2020 eine Studie vorgelegt.

Demnach ist jeder Sechste einem solchen Schild schon mal spontan gefolgt. Zwei von drei Befragten gaben an, dass sie sich an Schilder und die abgebildeten Ziele erinnern können. Übersehen kann man die Tafeln eigentlich nicht. Sie sind um die zehn Quadratmeter groß und stets in den Farben Braun und Weiß gehalten.

Dorfkirchen, Irrgärten und Altstädte

Durchquert man das Land auf der A4 von West nach Ost, dann macht das erste Schild auf das "Industrieland NRW Technologieregion Aachen" aufmerksam und das letzte kurz vor der polnischen Grenze auf die "Europastadt Görlitz Zgorzelec". Wobei nicht in beiden Richtungen die gleichen Schilder stehen. Wer von Ost nach West fährt, muss zum Beispiel ohne Hinweis auf die "Dorfkirche Cunewalde", den "Irrgarten Kleinwelka" oder die "Pfefferkuchenstadt Pulsnitz" leben.

Fährt man auf der A7 von Nord nach Süd, dann liegen zwischen dem Nolde Museum an der Nordseeküste und der historischen Altstadt von Füssen gut 950 Kilometer - und weit mehr als hundert Schilder.

Volle Konzentration ist vor allem im Süden der Republik gefordert. 836 Schilder hat Sven Groß allein in Bayern gezählt.

Die erste Tafel wurde 1983 an der A8 bei Stuttgart aufgestellt. Sie lenkte die Aufmerksamkeit des Autofahrers auf Burg Teck. Anfangs durften solche Schilder maximal alle 20 Kilometer erscheinen und nur auf von der Autobahn aus sichtbare Kultur- oder Baudenkmäler oder Landschaften verweisen. Inzwischen sind die Behörden großzügiger.

Sich vom Kuriosen auf Abwege bringen lassen

Bettina Harms arbeitet bei der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr und ist für sechs Autobahnabschnitte im Raum Oldenburg zuständig. Beantragt jemand ein neues Schild, greift Harms zu den "Richtlinien für die touristische Beschilderung" und klärt zunächst, ob es sich um ein touristisch bedeutsames Ziel handelt. Dazu zählen Unesco-Welterbestätten, Kultur- und Baudenkmäler, Naturparks, aber auch Kriegsgräberstätten und Freizeitparks.

Wer aufmerksam durch die Lande fährt, entdeckt neben den Farben Braun und Weiß auch mal eine Möwe oder einen Schmetterling in Blau auf einem Schild. Und selbst wenn sich der touristische Nutzen kaum messen lässt, werden weitere Schilder hinzukommen.

"Das ist wirklich teils so Klein-Klein, dass man sich fragt: Ist das nötig?", sagt Tourismusforscher Groß. Zugleich räumt er als "Fan regionaler Spezialitäten" ein, dass auch er nur dank eines braunen Schildes auf die "Thüringer Kloßwelt Heichelheim" aufmerksam wurde. So werden diese Tafeln auch in Zukunft immer wieder die Reiseplanung beeinflussen. Oder doch wenigstens kleine Wissenslücken schließen.

© dpa-infocom, dpa:201014-99-942976/5

Oliver Killig
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Arno Burgi
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Hochschule Harz
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