1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Es bleibt beim Nein zu Obergrenzen

Linke Es bleibt beim Nein zu Obergrenzen

Die Linke war mal im Osten Protest- und Volkspartei. Jetzt steckt sie in der Krise. Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn im Interview.

Von Jens Schmidt 09.09.2016, 01:01

Volksstimme: Die PDS und später die Linke galten im Osten als Volkspartei, die regelmäßig 20 Prozent und mehr erzielte. In Sachsen-Anhalt ist Ihre Partei auf 16 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern jetzt auf 13 Prozent gerutscht. Was macht die Linke falsch?

Matthias Höhn: Die Rolle der Partei hat sich seit den 90er Jahren verändert. Auch die gesellschaftliche Situation ist heute eine andere. Insofern ist nicht jeder Vergleich völlig angemessen.

Noch 2014 erzielte die Linke in Thüringen 28 Prozent und sie stellte erstmals den Minister- präsidenten. Haben Ihre herben Verluste schon auch mit der Flüchtlingspolitik zu tun?

Schaut man sich die Ergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern an, stellen wir fest: Die AfD-Werte steigen dort von West nach Ost kontinuierlich an – das ist der beste Beleg dafür, dass die Flüchtlingsdebatte ein Symptom, aber nicht die Ursache dafür ist, was sich politisch gerade verschiebt. Viele Menschen fühlen sich in weiten Regionen von Politik allein gelassen. Soziale und gesellschaftliche Unsicherheit sind der Grund, warum sich viele von unserer Demokratie abwenden.

Vor allem sozial Abgehängte gehörten doch mal zur Wählerschaft der Linken. Warum gehen sie jetzt zur AfD?

Geredet wird gerade überall über Burka, Grenzsicherungen, Kriminalität – alles Themen, die Angst machen, aber mit den eigentlichen Problemen in Mecklenburg-Vorpommern und anderswo nichts zu tun haben. Die persönliche Lage der Menschen hat sich dort wegen der Flüchtlinge weder verbessert noch verschlechtert.

Die Menschen schauen eben über ihr Land hinaus und wollen Situationen, wie es sie anderswo gibt, nicht haben – wie es CDU-Landesvize André Schröder formulierte.

Er macht nichts anderes als die Unionskollegen Haseloff und Stahlknecht: Angst befördern. Sie alle bewerben sich offenbar als Pressesprecher der AfD. Sie bestätigen damit den Menschen, die AfD würde schon die richtigen Themen aufgreifen. Herr Haseloff sagt, jetzt müsse man verstärkt die EU-Außengrenzen sichern. Dabei ertrinken immer wieder Hunderte, weil Europas Grenze dicht ist. Was für hanebüchene Debatten. Wir müssen den Menschen die Ängste nehmen und ihnen Hoffnung machen.

Sind AfD-Wähler Rassisten?

Rassismus ist ein Alltagsphänomen, das in allen Teilen der Bevölkerung vorkommt. Natürlich ist es so, dass wir bei AfD-Wählern ein hohes rassistisches Potenzial finden. Aber wir finden auch andere Motive: soziales Abgehängtsein, Ablehnung des politischen Systems.

Muss die Linke an ihrer Flüchtlingspolitik etwas ändern?

Nein. Was dann passieren würde, sieht man ja bei Union und SPD: Sie haben ihre Position nach rechts korrigiert; aber geholfen hat das niemandem – außer der AfD. Alle demokratischen Parteien und auch die Öffentlichkeit sollten aufhören, Debatten zu führen, die nur die AfD stärken.

Aber den Gegenbeweis haben Sie noch nicht erbracht: Die Linke bleibt bei ihrer grenzenlos offenen Haltung, verliert aber mächtig an Zustimmung.

Wir bleiben dabei – Prinzipien darf man nicht von Stimmungslagen abhängig machen. Wenn eine Mehrheit morgen sagen würde, die Bundeswehr müsse in den Krieg ziehen, bliebe die Linke auch dabei: Nein, das muss sie nicht.

Wie wollen Sie Ihre kompromisslose Haltung bei künftigen Wahlen in Erfolg münzen?

Erstens, linke Politik braucht eine Durchsetzungsperspektive. Zweitens, die Leute müssen wissen, woran sie mit uns sind. Drittens, zu linker Politik gehört immer auch ein Schuss Utopie. Viertens, wir sind die einzigen, die verlässlich für eine Ablösung von Seehofer und Merkel stehen. Fünftens, eine Stimme für die Linke ist ein Statement für Weltoffenheit.

Ich erwarte vor allem von der SPD sich zu entscheiden: Will sie der Union das Kanzleramt dauerhaft überlassen oder einen Politikwechsel durchsetzen? Wenn Wähler spüren, dass ein Politikwechsel greifbar ist, dann sind sie von links auch mobilisierbar dafür.

Vielleicht erwarten abtrünnige Wähler mehr Realismus in der Flüchtlingspolitik. Selbst Ihre Bundestagsfraktionschefin Sahra Wagenknecht plädierte Anfang des Jahres für eine Obergrenze – wie steht die Partei heute dazu?

Es bleibt beim Nein zu Obergrenzen für Menschenrechte. Und was heißt Realismus? Wir haben doch mittlerweile einen großen Leerstand in den Erstaufnahmeeinrichtungen.

Aber es machen sich aus Afrika Zehntausende auf den Weg.

Ja, sie riskieren ihr Leben, aber EU und Bundesregierung tun fast nichts dafür, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Stattdessen schicken wir Waffen überall hin.

Also gilt für die Linke weiterhin: Jeder Mensch auf der Welt hat das Recht, dort zu leben, wo er will?

Ja. Es wäre auch eigenartig, wenn gerade wir Ostdeutschen anfangen, das Recht auf Freizügigkeit zu hinterfragen. Und selbst, wenn wir es täten: Es würde kein einziges Problem lösen. Wir können Menschen in Not nicht aufhalten.

Aber man könnte die Lasten auf viele europäische Schultern verteilen?

Wichtiger wäre es, über die Verteilung von Reichtum statt von Menschen zu reden. Das krasse Wohlstandsgefälle auf der Welt ist das zentrale Problem. Das lösen wir nicht, indem wir Zäune ziehen und uns auf die Insel der Glückseligen zurückziehen.

Die deutsche Wirtschaft sagt, Deutschland verträgt durchaus 500 000 Zuwanderer im Jahr. Für Arbeitnehmer hat ein gewisser Arbeitskräftemangel aber auch positive Seiten: Niedrige Arbeitslosigkeit, kein Wohnungsmangel, Firmen buhlen um Arbeitskräfte, es gibt die Aussicht auf höhere Löhne. Wie positioniert sich da die Linke?

Zunächst: Wir lehnen es ab, Flüchtlingsströme nach Wirtschaftlichkeitskriterien zu bewerten. Aber wenn wir über Arbeitsmigration reden, sage ich: Ja, Deutschland kann von Einwanderung profitieren, und das Land braucht eine moderne Einwanderungsregelung. Natürlich: Mit dem Rückgang der Bevölkerung geht auch Arbeitslosigkeit zurück. Aber wir sehen vor allem im Osten auch die negativen Folgen: Schulen schließen, die Wege zum Arzt werden immer länger, das Busnetz wird dünner, es fehlen Jüngere, die Ältere pflegen. Wir müssen den Menschen eine andere Antwort geben als: Gut, dass Ihr unter Euch seid. Wir wollen für eine gute soziale und kulturelle Infrastruktur sorgen und den Menschen zeigen, dass Zuwanderung eine Chance ist.

Doch Arbeitnehmer werden in den Tausenden Zuwanderern auch immer Job- und Lohnkonkurrenten sehen. Vor allem die so genannten kleinen Leute sind aber das klassische Klientel der Linken. Wie wollen Sie den Konflikt lösen?

So lange Menschen in Konkurrenz zueinander stehen, werden wir diesen Konflikt haben – das ist Kapitalismus. Den überwinden wir leider nicht in einer Legislaturperiode. Aber wir wollen als Linke schon jetzt etwas dafür tun, den Druck zu mildern, beispielsweise durch eine andere Verteilung von Arbeit und die Verhinderung von Dumpinglöhnen.

Viel diskutiert wird über die Burka – weil sie ein frauenverachtendes Symbol ist. Soll Vollverschleierung verboten werden?

Die Burka ist ein Unterdrückungsinstrument. Aber erstens: Ein Verbot ist der falsche Weg. Und zweitens: Die Debatte wurde von denjenigen angezettelt, denen es zuallerletzt um die Frauenrechte geht.

Viele Wähler der Linken sind nach rechts gewandert. Wie lange wird es die AfD geben?

Andere Wähler auch. Rechtspopulismus ist kein vorübergehendes Phänomen. Wer die Rechten langfristig zurückdrängen will, muss für einen Politikwechsel sorgen. Den wollen wir.

Der Mindestlohn ist ein Erfolgsthema der Linken. Doch wo sind die neuen Projekte?

Das Thema ist nicht erledigt – der Mindestlohn muss erhöht werden. Das Rentenniveau muss wieder steigen. Und die Ostangleichung wird mit dieser Regierung nicht kommen. Wenn vor allem junge Leute von einer Befristung in die andere geraten, können sie nur schwer eine Familie gründen, nichts ist planbar. Das muss sich ändern. Zudem werben wir für eine aufkommensneutrale Einkommenssteuerreform: Untere und mittlere Einkommen werden entlastet, höhere Einkommen stärker belastet. Und es muss Schluss sein mit der jahrelangen Kürzungsmanie. Es muss wieder in Zukunft investiert werden.