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Marshall-Plan "Bau auf" im Westen

George C. Marshall gab 1947 den Auftakt zum Hilfsprogramm. Der Sachsen-Anhalter FDP-Politiker, Karl-Heinz Paqué, erinnert sich.

Von Steffen Honig 05.06.2017, 03:00

Magdeburg l In Europa herrschten auch zwei Jahre nach dem Krieg „Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos“, wie Marshall bei seinem Auftritt in der Harvard-Universität bei Boston ausführte. Die USA müssten alles dafür tun, zu normalen wirtschaftlichen Verhältnissen zurückzukehren. „Das Hilfsmittel besteht darin, diesen bösartigen Kreislauf zu unterbrechen und den Glauben der europäischen Völker an die wirtschaftliche Zukunft ihres Landes sowie Europas in seiner Gesamtheit wiederherzustellen“, formulierte Marshall das Ziel.

Dafür wurden zwischen 1948, als das Programm anlief, und 1952 rund zwölf Milliarden Dollar in 16 west- und südeuropäischen Ländern aufgewandt. Hilfen gab es mit Krediten, Lieferungen von Lebensmitteln, Rohstoffen und anderen Sachgütern.

Mit dem Marshall-Plan wollten die USA den Wiederaufbau der Wirtschaft und des Handels mit den Empfängerländern erreichen und zudem den Vormarsch des Kommunismus in Europa stoppen. Als die ersten Gelder des Programms 1948 flossen, gab es in Deutschland keinen Staat, sondern vier Besatzungszonen. Die US-Hilfe beschränkte sich auf die eigene Zone plus die der Briten und Franzosen.

Der Magdeburger Wirtschaftswissenschaftler und FDP-Politiker Karl-Heinz Paqué stammt aus dem Saarland, das in den Genuss des Marshall-Plans kam. Paqué hat den Erfolg des Hilfsprogramms in der eigenen Familie erlebt. „Mein Vater betrieb eine Brauerei und konnte durch den Marshall-Plan neues Gerät dafür beschaffen.“

Für das Unternehmen, durch Bombenschäden bis 1948 stillgelegt, war das die Grundlage, die Produktion wieder aufnehmen zu können und zu expandieren. Paqué-Bier aus St. Wendel wurde zu einer der bekanntesten Marken im Saarland. Paqué beschäftigte sich später wissenschaftlich mit dem Marshall-Plan und war Mitautor des 1992 erschienenen Buches „The fading miracle“ (Das verblassende Wunder). Dass der Marshall-Plan das deutsche Wirschaftswunder allein bewirkt hat, hält Paqué für eine „ganz große Legende“. Seine Bedeutung liege nicht unbedingt in der Quantität. Jedoch habe das Hilfsprogramm wesentliche Investitionsengpässe beseitigt.

Dazu erklärt er das „clever durchdachte“ Prinzip der Geldvergabe. In Deutschland herrschte damals Dollarknappheit. Der Kurs der jungen DM war nicht freigegeben worden, um die neue Währung nicht zu gefährden. Um Mittel aus dem Marshall-Mittel zu bekommen, musste ein bestimmter Betrag in deutscher Währung in „Counterpart Funds“ (Gegenwertfonds) eingezahlt werden, wofür zum jeweiligen Dollarkurs Investitionsgüter gekauft werden konnten. Dadurch war das Geld zweckgebunden und konnte nicht anderweitig verwendet werden.

Wie in der sowjetischen Zone gab es auch im Westen Deutschlands Demontagen. Während der Wert der Reparationen aus dem Osten für die Sowjetunion etwa 15 Milliarden Dollar betrug, kassierten die Westmächte aus ihren Zonen nur Besitztümer für rund 500 Millionen Dollar ein. Zudem war es widersinning, den Abbau parallel zum Aufbauprogramm laufen zu lassen. So wurden alte Maschinen zerlegt und durch neue, aus Geldern des Marshall-Plans finanzierte, ersetzt. Modernisierung durch die Hintertür. Qualitativ sei der Marshall-Plan aber von „überragender Bedeutung“ gewesen, sagt Paqué. Die USA hätten – bei allem Eigeninteresse – nach dem verheerenden Krieg klar gemacht: Wir stehen zu Europa! „Dies markierte der Höhepunkt der amerikanischen Macht“, konstatiert der Wissenschaftler. Der Marshall-Plan entfaltete seine Wirkung in einer entscheidenden Phase: Es herrschte eine hohe Arbeitslosigkeit in Westdeutschland, zehn Millionen Flüchtlinge aus den Ostgebieten mussten intergriert und ein Wachstumsschub organisiert werden. Die Menschen waren Amerika dankbar.

Im Osten Deutschland sah es noch trüber aus als im Westen. Nicht nur die Verwüstung durch den Krieg, sondern auch die Rohstoffarmut setzten der Wirtschaft zu. Ein Marshall-Plan wäre sehr zupassgekommen. Dagegen stand der sich verschärfende Kalte Krieg. Die sowjetische Führung fürchtete sehr zu Recht, dass US-Hilfe die Herzen der Leute schnell für die Amerikaner erwärmen würde.

Die sowjetische Besatzungszone – später DDR – blieb ausgeklammert, wie der komplette entstehende Ostblock. Der sowjetische Führer Josef Stalin verbot es den Vasallen-Regimes, die Dollar-Gaben aus Amerika anzunehmen.

Eine Ausnahme machte Jugoslawien. Nach dem Bruch Belgrads mit Moskau 1948 konnte Titos Selbstverwaltungs-Sozialismus doch noch vom auslaufenden Marshall-Plan profitieren.

Der Marshall-Plan im Osten – für Ökonom Paqué wäre das ohnehin vergebliche Liebesmüh gewesen. „Das hätte nichts gebracht.“ Durch die planwirtschaftlichen Strukturen wäre das erforderliche Investionsklima verhindert worden, die Rechtssicherheit hätte gefehlt.

Beim Wiederaufbau motivierten die Ostdeutschen keine harten Dollar, sondern kämpferische Lieder. „Bau auf“ sangen die FDJler mit Inbrunst. Das Lied wurde zum Lieblingssong des späteren SED-Generalsekretärs Erich Honecker.

Erst nach der Wende 1989 hatten auch die DDR-Bürger einen späten Gewinn vom Marshall-Plan – in Form der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Dort waren über die Jahre die Zinsen für Darlehen aus den Marshall-Plan-Fonds in Milliardenhöhe aufgelaufen. Viele Existenzgründer in Ostdeutschland konnten mit diesem Kapital starten.