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Agrarpolitik Sachsen-Anhalts Bauern haben die Nase voll

Immer mehr Bauern gehen auf die Straße und protestieren. Warum, das erklären drei von ihnen im Interview.

Von Massimo Rogacki 22.11.2019, 00:01

Magdeburg l So groß war der Unmut der Landwirte noch nie. Überall im Land werden Protestaktionen gegen die Agrarpolitik der Großen Koalition und gegen das Agrarpaket von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf die Beine gestellt. Allein in Magdeburg rollten Ende Oktober rund 400 Traktoren über die Straßen zur zentralen Kundgebung auf dem Domplatz. Jüngst demonstrierten 4000 Bauern in Hamburg am Rande der Umweltminister-Konferenz.

Kernbotschaft: Das Agrarpaket der Regierung gefährde landwirtschaftliche Familienbetriebe und die Zukunft des ländlichen Raums. Sorgen der Bauern: Die Produktion auf dem Acker oder im Stall werde erschwert, durch Verbote wie eine verschärfte Düngeverordnung sinken die Erträge, Maßnahmen griffen in die Eigentumswerte der Landwirte ein.

Sichtbares Zeichen des Protests: Bundesweit und vielerorts in Sachsen-Anhalt stehen grüne Kreuze in den Feldern. Landwirte haben sie aufgestellt, um die Menschen, die daran vorbeifahren, zu sensibilisieren: Kleine und mittlere Betriebe werden sterben, wenn nicht umgesteuert wird, so die Botschaft.

Der Landwirt Frank Böcker führt einen Betrieb in der nördlichen Börde. Christoph Plötze und Michel Allmrodt haben ihre Betriebe in der Altmark. Die Landwirte unterstützen die Bewegung „Land schafft Verbindung“, die die Proteste initiiert hat. Die Gruppierung hat sich Anfang Oktober über Facebook gegründet, die Bauern organisieren sich über ein Geflecht von WhatsApp-Gruppen, mehrere zehntausend sollen beteiligt sein.

Im Gespräch mit der Volksstimme möchten die Landwirte aus dem Norden Sachsen-Anhalts verdeutlichen, warum die aktuelle Politik in die falsche Richtung führt, warum sie das Agrarpaket der Bundesregierung für nicht praxistauglich halten.

Treffpunkt für ein Gespräch ist der Hof von Christoph Plötze im Tangerhütter Ortsteil Grieben. Der 33-Jährige ist in einem Familienbetrieb tätig. Er baut überwiegend Gemüse an. Seine Spezialdisziplin: Spargel. Er führt auch einen Hofladen und bietet Ferienwohnungen an.

Frank Böcker, 44, ist auf Marktfrüchte spezialisiert. Er besitzt Anteile an einer Biogasanlage und betreibt mit seiner Frau eine Imkerei. Mit dem Familienbetrieb macht er noch etwas Lohnarbeit für andere Landwirte. „Landwirtschaft allein ist längst nicht mehr auskömmlich“, sagt er.

Der Dritte im Bunde: Michel Allmrodt. Der 29-Jährige ist auf YouTube besser bekannt unter dem Namen Michel Deere. Dort berichtet er aus seinem Alltag in der Landwirtschaft. Er ist als Hofnachfolger fest eingeplant. Das Familienunternehmen baut ebenfalls Marktfrüchte an und betreibt eine Biogasanlage.

Warum protestieren Sie?
Frank Böcker: Nehmen wir als Beispiel mal die verschärfte Düngeverordnung. Was hinten bei den Tieren rauskommt, schmeißen die Menschen seit Jahrtausenden auf den Acker. Jetzt soll die Ausbringung von organischem Dünger bald nicht mehr erlaubt sein. Aufgrund fragwürdiger Daten über sehr hohe Nitratwerte. Deutschland hat europaweit angeblich das dreckigste Wasser. Dreckiger als das der Belgier oder Holländer.

Und das bezweifeln Sie?
Frank Böcker: Ja. Wenn die Werte an einer alten Güllepipeline gemessen werden, sind sie enorm hoch, obwohl das Wasser im Allgemeinen eine sehr gute Qualität hat. Andernorts in Europa werden die Werte anders erfasst. Da müssten klare Richtlinien gelten.
Michel Allmrodt: Eine unserer Kernforderungen ist deshalb auch: Wir brauchen profunde wissenschaftliche Studien.
Frank Böcker: Die gibt es ja. Und da wurde bereits herausgefunden, dass die durchschnittlichen Nitratwerte nicht das widerspiegeln, was nach Brüssel gemeldet wird.
Michel Allmrodt: Man fragt sich schon, wer in Deutschland die Messstellen auswählt. Ich habe das Gefühl, hier wird nach Schuldigen in der Landwirtschaft gesucht, um ein viel teureres Problem zu vertuschen. Marode Kanalisationen, überforderte Abwassersysteme. Es ist einfach, das der Landwirtschaft aufzudrücken. Dabei düngen wir seit vielen Jahren immer weniger. Und die Nitratwerte sollen immer schlechter werden? Irgendetwas stimmt da doch nicht.
Christoph Plötze: Man sollte sich mal die Frage stellen, wo das Abwasser der Klärwerke hingeht. Das Abwasser aus dem Klärwerk Tangerhütte wird in die Tanger eingeleitet.
Frank Böcker: Und wir werden als Hauptverursacher für die Verschmutzung der Oberflächengewässer hingestellt.

Sind die Landwirte teils selbst schuld an der Situation, wurde zu viel gedüngt?
Frank Böcker:
Denke ich nicht.
Christoph Plötze: Ich stimme zu. Was Bauern in Niedersachsen angeht. Ab den 70er, 80er Jahren hatten die viel Vieh und haben die Gülle in großem Umfang auf die Äcker ausgebracht. Darüber hat sich damals keiner Gedanken gemacht. Hier hat es damals die Politik versäumt, rechtzeitig regulierend enzugreifen. Ich bin selbst Fan von organischer Düngung. Wenn ich mit Mist dünge, ergibt das die besten Ackerstücken. Humus wird aufgebaut und ich kann E-Weizen mit hohem Rohproteingehalt ernten. Die Phosphor- und Kaliwerte sind natürlich auch besser. Und ich kann den Einsatz von mineralischem Dünger reduzieren.
Frank Böcker: Aber das Ausbringen von Mist schadet ja auch nicht, der Boden hat einen guten Humus-Wert. Und er ist in der Lage, Nährstoffe zu speichern. Anton Hofreiter (Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion, d. Red.) sagt, die Landwirte müssen endlich mehr Humus im Boden aufbauen. Da antworte ich: Wie denn, wenn wir keinen organischen Dünger mehr auf dem Acker ausbringen dürfen? Nur so geht das.
Michel Allmrodt: Das war auch das erste Argument nach der Dürre 2018. Die Landwirte machen nichts für Humus. abei ist es Hofreiters Partei, die am Humus zehrt, mit Forderungen nach weniger organischer Düngung und mehr mechanischer Bodenbearbeitung.

Der Gebrauch von Pflanzenschutzmitteln soll eingeschränkt werden. Ist Pflügen die Alternative?
Frank Böcker:
Beim Pflügen mineralisieren Nährstoffe, dabei wird CO2 freigesetzt und Humus abgebaut. Wenn in Maßen Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, könnten wir sogar CO2 einsparen, das wissen die wenigsten.
Christoph Plötze: Ich bin auch ein Pflug-Fan. Wenn ich mit dem Pflug drüberfahre, habe ich einen sauberen Acker. Aber es dauert sehr lang und ist kostenintensiv.
Michel Allmrodt: Im Feldbau agieren wir mit verschiedenen Werkzeugen. Der Pflug ist eines, Pflanzenschutzmittel ein anderes. In einigen Fällen ist Pflanzenschutz sinnvoll. Keinen Sinn würde es zum Beispiel ergeben, den Weizen kurz vor der Ernte totzuspritzen.

Benutzen Sie Glyphosat? Das Mittel ist ab dem Jahr 2023 verboten.
Frank Böcker: Ich benutze es, in Ausnahmefällen, aber auch nur, wenn es sein muss. In Maßen ist es sinnvoll, in Massen verkehrt. Das Problem ist: Wir brauchen in ganz Europa einheitliche Regelungen, die gibt es nicht. Leider wird immer vergessen, dass Umweltschutz auch in unserem Interesse liegt. Das ist unsere Lebensgrundlage. Und die der nachfolgenden Generationen.

Müssen generell Verbraucher mehr in die Pflicht genommen werden?
Frank Böcker: Zu gestalten – das ist Aufgabe der Politik. Und es muss dem Verbraucher klargemacht werden: Wenn es eine Wende geben soll, geht es nur mit seinem Verhalten. Sonst funktioniert es nicht.
Michel Allmrodt: Ich gebe mal ein Beispiel: Wir hatten bis vor kurzem einen gemischten Betrieb mit Milchkühen. Jetzt konzentrieren wir uns auf Marktfrüchte, Ackerbau und auf die Biogasanlage. Die letzten drei Jahre hatten wir eine Milchtankstelle. Die wurde anfänglich gut angenommen, mit der Zeit wurde es weniger. Im ersten Halbjahr hatten wir 50 Liter im Schnitt. Im vergangenen Halbjahr waren es noch 15 Liter. Das bringt uns 15 Euro. Der ganze Automat hat aber schon 13.000 Euro gekostet. Die breite Masse nutzt das nicht. Die wenigsten nehmen sich Zeit, über Ernährung nachzudenken.
Christoph Plötze: Und bei unserem Spargel rede ich mir den Mund fusslig. Warum ist Ihr Spargel nicht so schön weiß wie bei dem und dem Stand, warum ist der so krumm? Da antworte ich: Wir bauen Spargel für den Geschmack an, der muss nicht schneeweiß sein. Bei uns wird alles herkömmlich gemacht. Und im Endeffekt kommen die Leute wieder. Weil es schmeckt. Aber ich verstehe auch einige Apfelbauern: Die fahren 15 bis 20 Mal im Jahr mit der Spritze durch, weil die Äpfel für den Verbraucher tadellos aussehen müssen. Es geht nicht anders. Die Äpfel kauft keiner mehr, wenn die normal aussehen.

Denken Sie, dass Sie mit Ihren Protesten noch konkret etwas bewegen können?
Frank Böcker: Wir wollen einen fairen Umgang mit uns Landwirten, faire Bedingungen. Das fordern wir von der Politik. Aber wir wollen auch die Menschen sensibilisieren, das Bewusstsein der Verbraucher schärfen. Wir sind innerhalb weniger Jahre derart reglementiert worden, dass sich niemand darauf einstellen konnte. Landwirte sind in der Vergangenheit immer optimistisch gewesen, momentan ändert sich das.