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Finanzen Auch ohne Moos was los in Schollene

Loitsche-Heinrichsberg ist reich, Schollene ziemlich arm - doch sieht man das den Dörfern an? Ein Spaziergang im September.

21.09.2015, 23:01

Schollene/Loitsche l Majestätisch blickt er über das abgeerntete Feld. Ganz ruhig steht der Storch auf der Wiese vor dem Ortseingang. Die Sonne scheint. Neben ihm grasen Kühe. Es ist kaum ein Laut zu hören. Eine Naturidylle. Hier soll die ärmste Gemeinde im Norden Sachsen-Anhalts sein? Kaum zu glauben.

Steffi Friedebold kennt im kleinen Schollene jeden Winkel. Die Bürgermeisterin lebt seit 47 Jahren in der Havelregion. „Unsere Natur sieht man anderswo so nicht. Damit konnten wir schon immer wuchern“, sagt sie.

Statistisch gesehen ist Schollene die fünftärmste Gemeinde Sachsen-Anhalts. Mit 277,53 Euro Steuereinnahmekraft pro Einwohner liegt die Kommune weit unter dem Landesdurchschnitt (636,60).Doch die Bürgermeisterin redet nicht gern über das, was sie nicht hat. „Wir haben ein sehr aktives Vereinsleben im Dorf. Das ist genauso wichtig für die Lebensqualität wie Geld“, sagt Steffi Friedebold. Eine Bürgerinitiative, die Kirche, die Feuerwehr, Karneval-, Fußball- und Heimatverein – in Schollene packen alle mit an, wenn es um die Organisation von Veranstaltungen geht, sagt die Bürgermeisterin.

Ganz besonders stolz sind die Schollener jedoch auf etwas anderes. Der Gemeinde ist es gelungen, einen Arzt für den Ort zu begeistern. Dafür wurde ein Mehrzweckgebäude saniert. Oben ist nun eine kleine Bibliothek, unten die Praxis. „Da sind viele andere Gemeinden schlechter dran“, sagt Steffi Friedebold selbstbewusst.

Wenn die 47-Jährige durch das alte Gemeindehaus läuft, knarzen die alten, abgewetzten Dielen. Das Gebäude ist ein wenig in die Jahre gekommen – so wie der kleine Tante-Emma-Laden schräg gegenüber. Dort stehen die alten Regale so eng aneinander, dass die Kunden nacheinander zur Kasse gehen müssen. Überholen fällt aus. Die Produkte sind ein wenig teurer als im Discounter. Dafür ist der Weg zum Auto kürzer – geparkt wird auf dem Bürgersteig.

Der Weg zur kleinen Dorfkneipe nebenan ist wegen des Spontanparkplatzes äußerst schmal. Am Haus fällt ein wenig Putz ab, doch die Speisekarte ist ordentlich: Schweinesteak mit Pommes gibt es für 8,20 Euro. Wenn es nicht gerade Fisch sein soll, kostet jedes Gericht weniger als einen Zehner.

So eine Gaststätte hätte Bettina Seidewitz auch gerne im Ort. Doch in Loitsche-Heinrichsberg hat die Gaststätte am Sportplatz nur am Wochenende auf. „Mehr lohnt sich für Loitsche einfach nicht“, sagt die Bürgermeisterin der reichsten Gemeinde des Landes. Loitsche-Heinrichsberg ist in puncto Steuereinnahmekraft pro Einwohner mehr als zwanzigmal so stark wie Schollene (5579,21 Euro). Die Gewerbesteuerzahlungen des Zielitzer Unternehmens K + S, das auch viele Flächen in Loitsche nutzt, machen es möglich. Bettina Seidewitz spricht eigentlich nicht gerne über die Zahlen. Doch ihr ist immerhin zu entlocken: „Wir müssen nicht auf jeden Cent schauen. “

Das ist in Loitsche nicht zu übersehen. Am Ortseingang steht ein hochmodernes Feuerwehrgerätehaus, am Sportplatz gibt es ein zusätzliches Kunst-rasenfeld, erst im Mai wurde die für rund 1,1 Millionen Euro umgebaute Kulturscheune eingeweiht. Investitionen in die Zukunft, sagt die Bürgermeisterin. „Aber wir gucken schon, dass wir nicht unsinnig Geld ausgeben. Es gibt keine goldenen Wasserhähne. Doch was gemacht werden muss, machen wir auch.“

Doch was gehört dazu? Ab wann beginnt Luxus? Darüber streiten die Gemeinderäte regelmäßig. Im Ortsteil Heinrichsberg wird ein zweites Dorfgemeinschaftshaus gebaut. Muss das sein? Die Bürger stimmten bei einem Begehren mehrheitlich dafür.

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Das Dorf wurde in den vergangenen Jahren Stück für Stück verschönert – Kopfsteinpflasterstraßen gibt es nur noch wenige. Inzwischen zieren viele bunte Blumen die zentral durch Loitsche verlaufende Stendaler Straße, die Grünflächen sind überall tipptopp gepflegt. Acht Gemeindearbeiter (teilweise in Teilzeit) kann sich Loitsche-Heinrichsberg leisten – im mehr Einwohner zählenden Schollene gibt es nur noch einen.

Ein wenig frustrierend sind die geringen finanziellen Möglichkeiten schon, sagt Bürgermeisterin Steffi Friedebold. Im Moment kann die 47-Jährige gar kein Geld ausgeben. Weil es der Verbandsgemeinde Elbe-Havel-Land in diesem Jahr bisher nicht gelungen ist, einen Haushalt aufzustellen, hat ihre Gemeinde keine Mittel zur Verfügung. „Das ist unbefriedigend“, sagt sie. „Und vor allem ist es schwer, das den Bürgern zu erklären.“

Ein schöner Septembernachmittag in der Altmark. Zwei Rentnerinnen haben es sich auf einer Bank am Schollener Ortsrand gemütlich gemacht. Der Wind bringt die hochgewachsenen Bäume ordentlich in Bewegung. Wie ihnen Schollene gefalle? Eigentlich habe sie sich hier immer wohlgefühlt, sagt Ingeborg Koch. Doch seit ein paar Jahren ist sie unzufrieden. „Alles nimmt man uns weg“, sagt die 80-Jährige und macht ein ernstes Gesicht. Seit diesem Schuljahr gibt es in dem Altmarkdorf keine Grundschule mehr. Die Kinder müssen nun teilweise eine Stunde mit dem Bus zur nächsten Schule fahren. „Früher sind die Kinder immer zu uns Alten zum Singen gekommen. Das ist vorbei.“

Die Lage der Gemeinde sei das Problem. „Wir liegen am Rand des Landkreises, am Rand der Verbandsgemeinde – wir haben nur Schaden. In Schönhausen wird gebaut, bei uns wird nicht mal mehr gefegt. Fahren Sie mal als Rollstuhlfahrer die Straße dahinten lang, da brechen Sie sich die Ohren“, schimpft Ingeborg Koch und zeigt nach links. Sie wohnt in einer Kopfsteinpflasterstraße, die jeden Stoßdämpfer an die Grenze bringt.

Helga Siegner versucht ihre Freundin zu beruhigen. „Ja, aber man muss auch das Gute sehen, Ingeborg. Die Natur ist doch einfach herrlich hier“, sagt sie, beugt sich leicht zu ihr herüber und tippt ihr dabei sanft auf den rechten Arm. Ingeborg Koch nickt. „Das stimmt.“

Seit wenigen Wochen gibt es in Schollene sogar eine kleine Attraktion – einen Strandabschnitt an der Havel. Die Berliner Zeitung bezeichnete diesen kürzlich als „schönsten Strand der Altmark“. Der weiße Sand hat ein bisschen was von „Mini-Ostsee“.

Ausspannen vor der Haustür – in dieses Lebensgefühl setzt Bürgermeisterin Steffi Friedebold große Hoffnungen. „Wer im Takt der Natur leben will, ist hier richtig. Wir haben nur wenige Wegzüge. Wer einen Job hat, der bleibt“, sagt sie. Doch in Schollene gibt es nur ein paar Handwerksbetriebe, einen Busunternehmer und einen Senioren-Wohnpark. Viele pendeln deshalb nach Rathenow oder gar nach Berlin.

In Loitsche-Heinrichsberg ist der größte Arbeitgeber der Region mit K + S direkt vor Ort. Den Kampf des Unternehmens gegen die Übernahme durch den kanadischen Konkurrenten Potash beobachtet man in der Börde sehr genau – die sprudelnden Gewerbesteuereinnahmen könnten damit abrupt versiegen.

Doch derzeit rollt der Rubel noch. Die Gemeinde versucht, junge Familien mit den Mitteln in den Ort zu locken. Sie bekommen Baugrundstücke für 10 statt 25 Euro pro Quadratmeter. Außerdem lockt sie mit Geldprämien: 1000 Euro gibt es für jedes neu geborene Baby, 7500 Euro für den Aus- oder Neubau eines Hauses. „Das lohnt sich. Wir haben jeden Monat mehrere Auszahlungen“, sagt Bürgermeisterin Bettina Seidewitz.

Das warnende Beispiel der Gemeinde Barleben – die einst ebenso hohe Geldprämien bot und nun wegen eines Gewerbesteuereinbruchs in den roten Zahlen ist – habe sie jedoch immer im Hinterkopf. „Wir bilden im Haushalt auch gewisse Reserven.“ Bei einer prognostizierten Gewerbesteuer von 4,6 Millionen Euro in diesem Jahr ist das kein Problem. Eine neue Sporthalle mit mehreren Feldern steht als Nächstes oben auf der Wunschliste.

Und doch – trotz der guten Finanzausstattung ist der Leerstand in Loitsche-Heinrichsberg genauso wie Schollene nicht zu übersehen. Dass einzelne Gebäude – auch im Ortskern – verfallen, können die Bürgermeisterinnen nicht verbergen. In Schollene ist sogar das alte, spätbarocke Schloss darunter. „Da haben wir leider keine Handhabe, das ist in Privatbesitz“, bedauert Steffi Friedebold. Es sei aber keineswegs der Fall, dass der Havel-Ort verfalle. „Eines kann ich versichern: Hier wird nichts zurückgelassen.“