1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Schafscherer werden seltener

Berufswahl Schafscherer werden seltener

Die Zahl der Berufsschäfer sinkt und das Scherer-Handwerk ist fast ausgestorben, wie einer der besten Scherer Sachsen-Anhalts berichtet.

09.06.2017, 08:15

Schartau (dpa) l Es gibt kein Entrinnen. Mit geübtem Griff legt Bernd Schrödl das Schaf auf die Schurbank. Er hält es so, dass es sich nicht aus seiner Umklammerung befreien kann. Die Schermaschine summt, Stück um Stück löst sich die dichte Wolle von der Haut. "So muss es aussehen", sagt Schrödl schließlich und nickt mit dem Kopf in Richtung eines Vlieses, das auf dem Boden liegt. "Immer schön in einem Stück." Knapp drei Minuten braucht er, dann darf sich die Zibbe über ihre neu gewonnene Freiheit freuen – kahl geschoren für den Sommer. Suchend und verwundert blökt ihr Lamm: Es erkennt seine Mutter nicht wieder.

"Das dauert zwei, drei Stunden", berichtet Schafsbesitzer Walter Schotte. Einmal im Jahr lässt er seine acht erwachsenen Tiere scheren. Irgendwann hat es der ehemalige Schuhmachermeister mal selbst versucht – und wieder gelassen. "Das ist schwierig", sagt er voller Hochachtung. "Ich habe eine Stunde für ein Schaf gebraucht, und dann sah es nicht einmal schön aus. Gelernt ist eben gelernt." Der Grabower Bernd Schrödl ist einer der letzten seiner Zunft in Sachsen-Anhalt. Denn seit der Wende verschwinden die Schäfer mit ihren Herden immer mehr aus der Landschaft.

"Sie werden höchstens noch 150 Berufsschäfer mit ihren Herden durchs Land ziehen sehen", resümiert der Geschäftsführer des Landesschafzuchtverbands, Hans-Jörg Rösler. Für 2016 weist die Statistik mit 53.000 Mutterschafen immerhin ein paar Tiere mehr aus als im Jahr davor, doch 1991 waren es noch dreimal so viele. Den letzten großen Einbruch gab es 2011, als 60.438 Mutterschafe gezählt wurden. Damals wurde von der Mutterschafprämie auf die Flächenprämie umgestellt.

"Sie müssen das so sehen: Fläche bringt Geld, Schafe kosten Geld". erklärt Rösler. Eine Umfrage unter Kollegen habe ergeben, dass zwei von drei Schäfern glauben, es gebe sie in ein paar Jahren nicht mehr. Gründe seien das Alter, fehlender Nachwuchs, der Wolf, die Bürokratie und Einkommensprobleme.

Viele Schäfer haben den Wanderstab bereits an den Haken gehängt. Auch Bernd Schrödl hatte bis vor kurzem selbst 1200 Schafe und drei Angestellte. "Uns wird es nicht leicht gemacht", sagt er und hievt gemeinsam mit Schotte und dessen Enkel das nächste Schaf auf die Schurbank. Den letzten Grund, die Schafhaltung aufzugeben, lieferte Isegrim.

Grabow liegt mitten im Wolfsgebiet, und auch Schrödl musste Rissopfer verzeichnen. "Die Wölfe kommen bis an den Wohnort ran", erzählt er. "Das hätte ich nie gedacht!" Doch ganz trennen konnte er sich nicht. 25 Schafe behielt Bernd Schrödl als Hobby. Ansonsten züchtet er Trabrennpferde, bildet sie aus, fährt selbst Rennen – und schert Schafe.

"Es macht einfach Spaß", bekennt der 54-Jährige, der mehrfach die Meisterkrone der besten Scherer in Sachsen-Anhalt gewonnen hat. Er war Dritter bei den Deutschen Meisterschaften und bei Weltmeisterschaften in Neuseeland, Südafrika und Irland dabei. Weniger als eine Minute hat er in seinen besten Zeiten gebraucht, um ein Schaf von seiner Wolle zu befreien. Beim Wettbewerb geht es nicht nur um Zeit, sondern auch um Qualität. Es wird bewertet, wie der Scherer mit dem Tier umgeht, wie sauber die Wolle gewonnen wird und ob das Tier unverletzt bleibt.

"Zu DDR-Zeiten war das ein richtiger Ausbildungsberuf", erinnert sich Schrödl. Damals gab es noch viele Schafe, da habe er im Jahr um die 35.000 Tiere allein im Umkreis seines Wohnorts geschoren. In den 1990er Jahren reiste er durch ganz Deutschland. Zwölf Jahre hat er die Schafschur professionell betrieben. "Nach der Wende waren wir deutschlandweit noch 200 professionelle Scherer. Aber dann brach das System zusammen, und mit den Scherkolonnen aus Polen konnten wir preislich nicht mithalten."

Die Wanderjahre sind vorbei. "Man wird älter", gibt Schrödl zu und entlässt das nächste Schaf aus seiner Umklammerung. Ein Tier wiegt durchschnittlich 85 Kilo; um es zu bändigen, sollte man körperlich fit sein. "Wenn ich zugucke, wie jemand schert, bekomme ich einfach Lust", gesteht der gebürtige Parchauer und lässt das nächste Wollvlies zu Boden fallen.