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Bildung Stiefkind Privatschule

Im Kreis Stendal wirft ein Träger Politikern Stimmungsmache gegen seine Privat-Schule vor. Unmut regt sich auch andernorts.

Von Alexander Walter 27.08.2017, 01:00

Magdeburg l Im Frühling 2016 ist die Erwartung groß in Kamern. Alles deutet darauf hin, dass endlich wieder Leben in die Schule des 1300-Einwohner-Dorfs im Elb-Havel-Winkel (Kreis Stendal) einzieht. Der Trägerverein „neugierig“ hat das Ende der 90er Jahre geschlossene Schulgebäude gekauft, ein Konzept erarbeitet und den Genehmigungsantrag beim zuständigen Landesschulamt eingereicht. Vorgesehen ist eine Werkstattschule, die auch die Arbeit mit Tieren einschließt.

Aus dem Landesschulamt kommen positive Signale. Eine Gutachterin hat dem pädagogischen Konzept der Schule in einer inoffiziellen Stellungnahme bereits bescheinigt, beispielgebend zu sein. Damit scheint die entscheidende Hürde genommen. Denn: In Deutschland dürfen private Grundschulen gemäß Grundgesetz nur genehmigt werden, wenn sie sich ausreichend vom Angebot staatlicher Grundschulen abheben. Die Behörde spricht dann von einem „besonderen pädagogischen Interesse“.

Dann aber kommt doch alles anders: Im Landesschulamt hat die zuständige Mitarbeiterin gewechselt. Die neue Gutachterin ist anderer Meinung als ihre Vorgängerin. Am 26. Mai teilt die Behörde dem Träger mit, dass die Schule nicht genehmigt wird. Begründung: Das besondere pädagogische Interesse sei nicht gegeben. Dazu erhält der Verein eine Liste mit zu behebenden Mängeln.

Stefanie Wischer vom Trägerverein „neugierig“ kann das Vorgehen nicht nachvollziehen. Irritiert ist sie aber vor allem über das Verhalten von Mitgliedern des Stendaler Kreistages in der Sache. In mindestens drei Sitzungen von Kreistag und Schulausschuss nur Wochen vor dem Bescheid sprachen sich Mitglieder der Gremien offen gegen die Genehmigung der freien Schule aus und forderten eine Einflussnahme vom Landkreis (Protokolle liegen der Volksstimme vor). Grund für die Einwände war unter anderem die Sorge um den Bestand der staatlichen Grundschule im benachbarten Iden.

Für den Trägerverein stellt sich seitdem die eine Frage: Hat der Landkreis ein laufendes Verfahren beeinflusst, um den Bestand der öffentlichen Schulen nicht zu gefährden? Die Stendaler Kreisverwaltung weist das auf Anfrage zurück: „Ein Gespräch mit dem Landesschulamt hat zu dieser Thematik nicht stattgefunden“, sagt Sprecherin Angela Vogel. Ein Mitarbeiter habe in den Sitzungen darauf hingewiesen, dass der Landkreis nicht an der Entscheidung beteiligt sei. Tatsächlich steht das so in den Protokollen. Derselbe Mitarbeiter erklärt vor dem Kreistag laut Protokoll allerdings auch, dass der Kreis die Einrichtung der Privatschule nicht begrüße.

Versuchte Einflussnahmen gibt es, räumt Stefan Thurmann, Sprecher im Bildungsministerium ein. „Grundsätzlich dürfen sie bei der Genehmigung freier Schulen aber keine Rolle spielen und tun das auch nicht.“

Kamern ist nur ein aktuelles Beispiel. Auch insgesamt ist die Stimmung zwischen freien Trägern und dem Land derzeit angespannt wie lange nicht. Neben der Genehmigung von Grundschulen geht es um die Zulassung von Lehrern. Zuletzt durfte die freie Grundschule Angern (Bördekreis) eine Lehrerin in drei Fächern nicht einsetzen, obwohl diese zuvor in staatlichen Schulen in eben diesen Fächern gearbeitet hatte.

Laut Landesverfassung haben Privatschulen zudem Anspruch auf die „zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen öffentlichen Zuschüsse“. Nach Ansicht von Experten kommt das Land diesem Anspruch seit Jahren nicht nach. Derzeit sorgt ein Gutachten der Hannoveraner Jura-Professorin Frauke Brosius-Gersdorf im Landtag für Diskussionen. Darin kritisiert diese etwa, dass Privatschulen in den ersten drei Jahren keinerlei Unterstützung erhalten. Auch Bau- und Instandhaltungskosten würden nicht übernommen.

Stephan Rether von der katholischen Edith-Stein-Stiftung, die unter anderem das Magdeburger Norbertus-Gymnasium betreibt, kleidet die Folgen in Zahlen. Er spricht von einer Finanzlücke in Millionenhöhe. Die staatlichen Zuschüsse deckten nur zwei Drittel des Bedarfs. Die Stiftung prüft nun erstmals eine Klage.

Vom Land fordert Rether die Überarbeitung der Zuschussregelungen im Schulgesetz. Ob es dazu kurzfristig kommt, ist fraglich. Im Entwurf einer Novelle des Gesetzes ist die Finanzierung der Privatschulen bislang nicht berücksichtigt.

Der Verband der Privatschulen will das nicht akzeptieren. „Wir fordern seit Jahren eine Lösung. Da muss jetzt endlich etwas passieren“, sagt Chef Jürgen Banse. Der Verein „neugierig“ hat nach der erneuten Ablehnung seiner Schule in diesem Jahr bereits Konsequenzen gezogen. Er hat Klage eingereicht. Meinung