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Von West nach Ost Boris Osmann: "Manche sind zu Recht verbittert"

Lassen sich junge Ossis und Wessis noch von alten Vorurteilen leiten? Gemeinsam mit der Braunschweiger Zeitung stellt die Volksstimme in loser Folge Menschen vor, die nach der Wende "rüber" sind: Von West nach Ost und umgekehrt. Heute: Der Apotheker Boris Osmann (41) und der Elektrotechniker Matthias Pfarrdrescher (36).

Von Elisa Sowieja 19.11.2014, 02:07

Volksstimme: Vier Jahre nach der Wende war Halle/Saale nicht gerade ein Magnet für junge Menschen. Trotzdem sind Sie damals aus dem nordrhein-westfälischen Mülheim dort hingezogen.
Boris Osmann: Das war keine ganz freiwillige Entscheidung. Ich wollte Pharmazie studieren, mein Abitur war nicht das beste und die Zentrale Vergabestelle hat mir einen Platz in Halle zugeteilt.

Darüber waren Sie wohl nicht sehr glücklich.
Halle stand nicht auf meiner Wunschliste. Und fast alle Klassenkameraden, die einen Studienplatz im Osten erhielten, haben ihn abgelehnt. Sie wollten lieber nach Münster, einige haben sich sogar grundsätzlich geweigert, im Osten zu studieren. Aber ich hatte das Gefühl, dass es Spaß machen könnte, diese Umbruchsphase mitzuerleben.

Hat es das denn?
Die ersten beiden Jahre waren schon speziell. Einige Kommilitonen lebten in Wohnungen mit Kohleheizung, damit hatte man als Wessi zuvor nie Kontakt. Außerdem gab es erstaunlich wenige Kneipen, und an den Wochenenden sind alle nach Hause gefahren. Nach dem ersten Staatsexamen überlegten dann viele, zu wechseln. Aber im Freundeskreis haben wir entschieden, dass wir das jetzt durchziehen. Die Studienbedingungen waren schließlich angenehm. Von da an habe ich mich in Halle wohlgefühlt. Ab 1995 hat sich die Stadt dann auch positiv entwickelt.

Wie hatten Sie den Osten zuvor erlebt?
Ich hatte mit dem Osten wenig zu tun. Dort lebten keine Verwandten, und in der Schule wurde die DDR nicht groß thematisiert. Aber ich hatte eine Brieffreundschaft mit einer Familie aus Sachsen, mit der ich als Siebenjähriger durch eine Flaschenpost in Kontakt gekommen war. Wir haben sie auch zweimal besucht. Daher wusste ich partiell, wie es im Osten aussieht.

Ein Jahr nach Ihrem Abschluss sind Sie nach Magdeburg gezogen. Wie kam es dazu?
Mein Vater hatte während meines Studiums eine Apotheke in Magdeburg gekauft. Ich habe sie 1999 übernommen.

Wo ist heute Ihre Heimat?
Mittlerweile ist es Magdeburg.

Wie lange hat es gedauert, bis es soweit war?
Das ging relativ schnell. Es lag allerdings nicht daran, dass ich Magdeburg sofort in mein Herz geschlossen habe. Vielmehr hatte ich keinen besonderen Bezugspunkt mehr zu Mülheim, weil viele Freunde weggezogen waren. Durch die Zeit in Halle fühlte ich mich in Sachsen-Anhalt ohnehin schon zu Hause. Magdeburg war der nächste Schritt. Wenn man eine Stadt als Heimat akzeptiert, kann man sich dort schnell heimisch fühlen.

Heimat ist für Sie also etwas, das man festlegen kann.
Für mich ist sie dort, wo ich meinen Lebensmittelpunkt aufbaue. Da ich hier selbstständig bin, ist es klar, dass ich nicht wieder nach Mülheim ziehen werde. Ich habe in Magdeburg eine Wohnung gekauft und lebe darin mit meiner Freundin. Abgesehen davon hinterlässt die Stadt heute einen sehr modernen Eindruck. Auch vom Gefühl her bin ich hier inzwischen angekommen.

Vermissen Sie etwas aus Ihrer früheren Heimat?
Im Westen gibt es gewachsenere Strukturen. Mülheim hatte Gastronomie, die man über Generationen kannte. Hier erlebe ich mehr ein Kommen und Gehen. Aber das bessert sich bereits.

Ohne den Mauerfall wären Sie wohl nie in den Osten gegangen. Wie gut erinnern Sie sich an die Nacht des 9. November?
Daran erinnere ich mich ex-trem gut. Ich war damals für ein Schulhalbjahr in England. Dass die Mauer geöffnet ist, konnte kaum jemand glauben - auch ich nicht. Ich möchte nicht missen, das in England erlebt zu haben. Denn die Medien dort waren, auch durch Margaret Thatcher, voll von Berichten mit der Tendenz: Es geht nicht, dass Deutschland wieder ein großes Deutschland wird; man kann nicht Nato und Warschauer Pakt in ein Land packen.

Ist die Mauer in den Köpfen Ihrer Meinung nach geblieben?
Bei einzelnen Personen aus dem Osten ist sie das, besonders unter den 40- bis 50-Jährigen. Manche sind zu Recht etwas verbittert, dass sie nicht den beruflichen Weg gehen konnten, den sie gern gegangen wären. Und was die Westseite betrifft: Wenn mich Leute von dort besuchen, sind sie oft überrascht, wie schön die Städte geworden sind.

Sehen Sie sich heute mehr als Ossi oder Wessi?
Ich sehe mich eher als Wessi, weil ich mit einigen Dingen großgeworden bin, die es nur im Westen gab - wie gewisse Musik und Fernsehserien. Aber im Grunde unterscheide ich nicht zwischen Ossi und Wessi, sondern zwischen Leuten, mit denen ich auf einer Wellenlänge liege und solchen, bei denen das nicht so ist.

Stört es Sie, wenn andere Sie als Wessi sehen?
Ich stehe dazu, Wessi zu sein, aber ich sehe das nicht in einer wertenden Weise. Ich besitze nicht die Eigenschaften, die wir manch landläufigen Vorstellungen zufolge haben.

Dann sind Sie gar nicht arrogant?!
Ich hoffe nicht! Aber im Ernst: In den klassischen Klischees erkenne ich mich nicht wieder.

Haben Sie das Gefühl, dass andere solche Klischees in Ihnen sehen?
Nein. Manche Menschen haben zwar Ost-West-Klischees. Aber ich denke nicht, dass diese Menschen sie auf einzelne Personen beziehen.