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Hochwasser 2013: Versicherung will für Neubau nicht aufkommen Dem Haus von Ehepaar Witte bleibt nur der Abriss

Zu den Häusern, denen die Flut die Standkraft geraubt hat, gehört das
von Brigitte und Otto Witte aus Kabelitz. Die Lehmwände sind pitschnass,
der Fußboden ist abgesackt- es bleibt nur ein Abriss. Und dann?

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 30.11.2013, 02:08

Kabelitz. "Die Versicherung will nicht zahlen!" Brigitte und Otto Witte sitzen mit hängenden Schultern im Wohnzimmer von Tochter Undine in Schönhausen und ringen um Fassung. Sie sind verzweifelt, wütend und voller Sorgen um die Zukunft. Dabei hatte die Versicherung anfangs noch große Hoffnungen gemacht, dass der Schaden beglichen wird. Das ändert sich, als der Statiker sein Urteil fällt: Eine Sanierung ist unmöglich. Denn das Haus ist alt, konnte den Wassermassen nach dem Fischbecker Deichbruch am 10. Juni nicht standhalten. "Mein Urgroßvater hatte das Haus etwa um 1840 gebaut. Es hat also schon im ersten Deichbruchwasser von 1845 gestanden und es überlebt", erzählt der 74-Jährige Otto Witte.

"Die Versicherung hatte sogar schon einen ersten Abschlag gezahlt. Doch dann hieß es auf einmal, wir hätten falsche Angaben gemacht, obwohl doch der Versicherungsvertreter selbst vor Ort war", ist Undine Witte entsetzt, dass die Versicherung nun sogar den Vertrag rückwirkend gekündigt hat. Jetzt kümmern sich Anwälte um die Angelegenheit.

"Und wer weiß, wie lange das dauert?" Die Senioren sind froh, dass sie bei den Töchtern Undine und Doreen in Jerichow und deren Familien sehr gut aufgehoben sind und dass sie sich auch um all den Schriftkram und die Behördengänge kümmern. "Sie sorgen sich sehr um uns und bemühen sich, alles so angenehm wie möglich zu machen. Aber wir brauchen unser eigenes Zuhause", wischt sich die 71-Jährige die Tränen vom Gesicht.

"Wir haben uns in dem alten Haus wohlgefühlt"

Gegönnt haben sie und ihr Mann sich wenig, bescheiden waren die Löhne bei der LPG und der Eberstation. Nach und nach sanierten sie das alte Haus, auch nach der Wende investierten sie Geld und machten es sich so wohnlich wie möglich. "Wir hatten keinen Palast, aber wir hatten ein Zuhause, in dem wir uns wohl fühlten und das unseren Ansprüchen genügt hat. Wir wollen auch gar keinen großen Neubau mit Schnickschnack, einfach nur unsere eigenen vier Wände, in denen wir uns wohlfühlen können."

An den Gedanken, dass ihr Heim abgerissen werden muss, können sich Wittes schwerlich gewöhnen - zu viele Erinnerungen hängen daran. Denn auch vom Inventar ist nicht allzu viel übrig geblieben. Otto Witte erzählt von der Zeit um den 10. Juni: "Einen Tag vorher fuhr die Polizei durch das Dorf und sagte, dass wir uns in Sicherheit bringen sollen, der Deich ist nicht zu retten. Also haben wir mit großer Hilfe unserer Kinder und Schwiegerkinder alles, was möglich war, hochgestellt oder auch ins Obergeschoss gebracht. Aber dass der Deich tatsächlich bricht und das Wasser so hoch kommt, wollten wir nicht wahrhaben."

Deshalb sind Wittes auch wie immer am Abend des 9. Juni zu Bett gegangen, "aber richtig schlafen konnten wir nicht". Gegen 0.30 Uhr schreckten sie vom Sirenenalarm hoch. Noch schnell riefen sie Undine in Schönhausen an, die zu diesem Zeitpunkt noch mit ihrem Mann in den Nachbarort kommen konnte. Während die Frauen kopflos den Kühlschrank leerten, kümmerte sich Otto Witte um seine Bienen. Die hatte er schon vorsorglich so vorbereitet, dass sie per Traktor und Anhänger nach Schönhausen gebracht werden konnten. Denn hier blieb das Gelände, auf dem das Haus von Undine Witte und Klaus-Dieter Ahlf steht, trocken. "Ich hatte entsprechende Karten, auf denen ich einsehen konnte, dass wir genauso hoch wie die Deichkrone liegen. Ringsum war zwar Wasser, aber zur Not konnten wir mit dem Traktor durchfahren und ins Dorf gelangen", so der Schwiegersohn.

Das mussten sie auch, als vor allem Ältere und Kranke am Mittwoch aufgefordert wurden, den Ort mit Hubschraubern zu verlassen. Auch wenn sie ungern gingen, folgten sie der Vernunft und ließen sich nach Stendal bringen. Hier empfing sie Tochter Doreen, die in einem Pflegeheim arbeitet. Bei ihr zu Hause in Jerichow blieben Wittes die nächste Zeit.

Alle Erinnerungen an früher sind weg

Inzwischen ist das Ehepaar wieder nach Schönhausen gezogen, wo mehr Platz ist. Zumindest ein paar Stunden am Tag verbringen sie zu Hause in Kabelitz. In der Waschküche kann Otto Witte den Ofen anheizen, der für etwas Wärme sorgt. Seine Frau bereitet Essen zu, sortiert die geretteten Dinge wie das Porzellan. Ihr Mann pusselt im Garten, kümmert sich um die Bienen. "Viel gibt es leider nicht zu tun! Ich würde wie andere gern etwas am Haus werkeln, aber das wäre ja umsonst."

Zeit zum Plaudern mit den Nachbarn ist genug. Aber auch von denen gibt es meist wenig Erfreuliches. Denn fast überall geht die Sanierung schleppend voran. Und auch die, die dachten, dass die Schäden gar nicht so groß sind, stellen inzwischen Risse oder Absackungen im Fußboden fest - das war anfangs gar nicht zu sehen.

Schmerzlich ist für Wittes, dass viele Erinnerungen an ihr Leben und auch das der Vorfahren mit der Flut vernichtet sind - nicht teuer, aber wertvoll. Der 74-jährige Senior erzählt von einer Eisenbahn aus Holz. "Die hatte ich als Drei- oder Vierjähriger bekommen. Sie hatte keine Räder mehr, aber ich hab sie beim Aufräumen nie weggeworfen - nun ist sie weg."

Weihnachten 2014 in einem kleinen eigenen Häuschen zu sitzen, das ist der Wunsch von Wittes. Ob er in Erfüllung geht, hängt von der Versicherung ab. Solange wissen sie sich bei den Töchtern gut aufgehoben.